Man kennt den Geheimagenten seiner Majestät aus dem Kino. Ian Fleming aber, sein Erfinder, hat ihn in seinen Romanen anders geschildert. Das lässt sich bald wieder nachlesen. Ein Ludwigsburger Verlag bringt die Krimis in neuer Übersetzung raus.

Stuttgart - Man rettet die Welt nicht, indem man die Nase in die Anhänge der Erläuterungen zum Kommentarband bezüglich der Ausführungsvorschriften über Dienstanweisungen gemäß Beamtenschonungsgesetz Paragraf Soundso steckt. Ein wenig spontan, selbstständig und vielleicht auch selbstherrlich sollte man schon sein. So hat der frühere Milchmann, Bademeister, Bodybuilder und autodidaktische Schauspieler Sean Connery den erfolgreichsten Zupacker des Abenteuer- und Spektakelkinos denn auch angelegt, als er Anfang der sechziger Jahre die Rolle des Geheimagenten James Bond ergatterte. 007 ruft nicht eben oft bei seinen Vorgesetzten an, um zu fragen, ob’s auch recht sei, was er als Nächstes vorhabe.

 
Der Eigensinn von Connerys Bond ist so ausgeprägt, dass auch Nichtleser ahnen: mit dem Helden der Buchvorlage ist dieser Agent nicht unbedingt deckungsgleich. In England und Amerika hat sich diese sofortige Emanzipation der Filmfigur von den Regeln und Eigenarten, die der Bond-Erfinder Ian Fleming festgeschrieben hatte, aber nicht gleich drastisch ausgewirkt.

In Großbritannien war die 1953 mit „Casino Royale“ auf den Markt getretene Buchreihe nämlich längst ein Erfolg und gelegentlich auch der Gegenstand empörter oder angewiderter Kritikertiraden. In den USA wurden die Bücher zu Bestsellern, als das „Life Magazine“ 1961 eine Liste mit den zehn Lieblingsbüchern von Präsident John F. Kennedy veröffentlichte. Flemings „Liebesgrüße aus Moskau“ stand mit drauf.

Tradition der Missachtung

In Deutschland allerdings tat man sich damals mit Bond wie mit der ganzen Kriminalliteratur viel schwerer. Den Publikationen haftete das Verschämte, Billige, selbstverkleinernd Plumpe an, mit dem sich Räuberpistolen für die ungenügend Gebildeten in einer vom Bildungsbürgerdünkel tyrannisierten Buchwelt durch den Dienstboteneingang drückten. Da wundert es kaum, dass der Ludwigsburger Cross Cult Verlag für Ende September nicht nur den Beginn einer umfassenden Neuausgabe von Flemings Romanen ankündigen kann. Die von Anika Klüver und Stephanie Pannen neu übersetzten Bücher werden erstmals überhaupt ungekürzt auf Deutsch erscheinen.

Die tradierte Missachtung der Bond-Bücher mag ein wenig damit zu tun haben, dass Ian Fleming bereits am 12. August 1964 im Alter von 56 Jahren gestorben ist. So konnte man den Erfinder der Figur leicht als Teil einer fast bedeutungslos gewordenen Vorgeschichte des Kinophänomens abtun. Aber es gibt einen weiteren Grund, warum Feingeister und selbst dem Reißerischen gegenüber aufgeschlossene Köpfe die Bond-Romane nicht besonders anziehend gefunden haben könnten. Der Autor Ian Fleming ist ein ganz besonders irritierender Charakter.

Im Zweiten Weltkrieg war der Mann persönlicher Assistent des Geheimdienstchefs der Marine. Die nachverfolgbaren Wurzeln der Bond-Bücher in realen Erfahrungen und Kenntnissen des Autors verstärken die Ahnung, auch andere Elemente der Bücher als nur taktische und technische Details seien dem realen Fleming anzupinnen: der britische Nationalwahn, der latente Rassismus, die sadistischen Untertöne, die Frauenverachtung, die zynische Sicht auf die Welt als Ort weniger Wölfe und vieler Schafe.

Ian Fleming, eine schillernde Figur

Versucht man, Ian Fleming näherzukommen, stößt man auf eine widersprüchliche Figur, auf einen großen Menschenbezauberer zu Lebzeiten, der in der Rückschau wenig Einnehmendes hat. Ian Fleming, am 28. Mai in London geboren, war der Enkel eines steinreichen schottischen Selfmadebankers. Sein Vater, hoffnungsvoller Nachwuchspolitiker und Freund Winston Churchills, fiel als Kriegsheld 1917. Ian, einer von vier Söhnen, erbte nicht das Vermögen, aber jede Menge Erwartungsdruck. Den setzte er in eine Mischung aus Rebellion, Tagträumerei, Netzwerkbildung und Missmutsbrüterei um. Als Eton-Abbrecher gab er in der Schweiz den künftigen Jungliteraten, dann landete er ohne Vorkenntnisse im Journalismus, wechselte in Londons Bankenwelt, kam im Krieg zum Geheimdienst und landete nach 1945 wieder beim Journalismus.

Der wiederholte Quereinsteiger Fleming begann stets in herausgehobener Position, was er nicht allein seinen Familienbeziehungen, sondern auch seinem persönlichen Auftreten zu verdanken hatte. Faszinierend dann aber, dass er nie eine weitere Karriere machte. Er war von allem schnell gelangweilt und enttäuscht, auch von sich selbst. Er gerierte sich als Snob und Dulder, als Visionär und Pessimist, und er eroberte Frau um Frau fast so, als mache ihm das achtlose Fallenlassen mehr Spaß als die Verführung zuvor.

James Bond ist nicht einfach die Wunscherfüllungsfantasie eines großen Jungen, der nie die früh erträumten Abenteuer maßgeschneidert geliefert bekommen hatte. Bond ist Ian Flemings Versuch, die ganze Welt auf den Kopf zu stellen, das Bröseln von Oberschichtenherrlichkeit und britischem Weltreich zu negieren und die Klemme eines zwischen alten Standards und neuen Zeiten Gelandeten zu sprengen. Bond ist der Offenbarungseid des Unglücks eines trotz vieler Privilegien vermeintlich zu kurz Gekommenen.

Zu Zeiten, als man hierzulande in Schriftstellern gern moralische Autoritäten und sozialethische Schülerlotsen sehen wollte, mag die Figur Fleming noch abgeschreckt haben. Inzwischen sieht man sie gelassener. Vom 24. September an kann man ausprobieren, wie sich Flemings Bond-Romane heute lesen. Wir werden unsere Erfahrungen dann in der Krimikolumne „Killer & Co.“ online protokollieren.