Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

„Das Schöne am Professorenberuf ist, dass Sie keinen Vorgesetzten haben und auf eigene Rechnung denken können“, sagt er. Im achtköpfigen Senat des Bundesverfassungsgerichts gilt immer „die Macht der Acht“. Kein Job für Solisten also. Aber nun zurück im universitären Betrieb ist Di Fabio seinem jugendlichen Berufswunsch, Privatgelehrter werden zu wollen, in Grunde „schon sehr nahgekommen“.

 

Sein Gutachten, das die bayerische Landesregierung in der Hochzeit der Migrationskrise bei ihm in Auftrag gab – es ging um die Pflicht des Bundes, die Grenzen zu kontrollieren –, hat ihm die Aufmerksamkeit der politischen Öffentlichkeit gesichert. Di Fabio spricht sehr bewusst von Migrationskrise, weil er findet, man müsse sich klar sein, welche Begriffe man verwende. Er wollte einen möglichst neutralen Blick für das Geschehen. Sein Gutachten wurde so etwas wie das Ass im Ärmel des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Es sollte wohl eine Verfassungsklage vorbereiten, mit Sicherheit aber die Bundeskanzlerin unter Druck setzen. Denn die Richtung, in die es gehen würde, war klar.

Der Ex-Sozialdemokrat hat mit den Grünen geliebäugelt

„Dazu habe ich mich ja schon öffentlich vorher geäußert“, sagt Di Fabio. Im Kern hieß das damals: Der Bund hat zur Grenzsicherung nicht alles getan. Wie viele Menschen sei er im Sommer 2015 besorgt gewesen, und „bei einer Krise dieses Ausmaßes fängt man als Verfassungsrechtler von ganz alleine an, darüber nachzudenken“. Er habe für den Freistaat aufgeschrieben, was er ohnehin gedacht habe. „Ich wusste, dass ich dafür einen Preis zahle.“ Vor diesem Fehltritt, wie er die Entscheidung für das Gutachten selbstironisch nennt, habe die Bundeszentrale für politische Bildung sein im Frühsommer 2015 erschienenes Buch „Schwankender Westen“ über die Identitätskrise Europas ins Programm nehmen wollen. Danach nicht mehr. Ein prominenter Sozialdemokrat habe empört gefragt: Wie können Sie nur? Reaktionen wie diese „leuchten mir nicht ein“. Würde sie ihn fragen, würde er als Ex-Sozialdemokrat, der in den 80er Jahren mit den Grünen geliebäugelt hat, der SPD gerne ein neues Parteiprogramm schreiben. Tut sie aber nicht.

„Ich bin parteipolitisch gar nicht gebunden“, sagt er – und wundert sich, dass viele anderes glauben. In seinem Arbeitszimmer hängen Fotografien von Friedrich Ebert, dem ersten sozialdemokratischen Reichskanzler, Ludwig Ehrhard, dem Vater der sozialen Marktwirtschaft, von dem Hitler-Attentäter Georg Elser und dem Soziologen Niklas Luhmann. Wegmarken im Leben eines Mannes, dessen Götter als junger Mann die linken Theoretiker Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas waren. „Ich war überzeugt, dass Intelligenz immer links sein muss.“ Die Begegnung mit Luhmann bringt sein Denken ins Wanken. Das sei doch ein Konservativer, sagt ein Freund. Na und, kontert Di Fabio. Die Freundschaft zerbricht, weil Di Fabio auf der Qualität der Gedanken Luhmanns beharrt.