Alice Schwarzer gilt vielen als moralische Instanz, oft ist sie scharfzüngige Anklägerin und stellt Männer an den Pranger. Nach ihrer Beichte, jahrelang Steuern hinterzogen zu haben, steht sie selbst in einem Sturm der Entrüstung.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Es ist ein leichtes Unterfangen, nach Zitaten von Alice Schwarzer zu forschen und diese – aus dem Zusammenhang gerissen – gegen die Urheberin zu wenden. „Das Motiv meines ganzen Handelns ist die Gerechtigkeit“, schreibt sie zum Beispiel an herausgehobener Stelle, zu lesen auf ihrer Website. In einem Interview sagte sie mal: „Viele Frauen sind es noch immer nicht gewöhnt, eigenes Geld zu haben oder mehr zu verdienen, als sie zum Leben brauchen.“ Sie seien über Generationen gewöhnt, ökonomisch abhängig zu sein. Die „Emma“-Herausgeberin hat sich über viele Jahre schon zu allem Möglichen geäußert, da ist einiges dabei, was im neuen Lichte angreifbar erscheint.

 

Über die Finanzkrise sagte Schwarzer: „Diese Männer (der Finanzindustrie) haben längst den Bezug zum Leben verloren. Sie klicken virtuelle Summen mit sechs, sieben, acht Nullen – und wundern sich, wenn sie plötzlich vor den realen Scherben stehen.“ Millionen von Menschen müssten dies dann mit ihren Steuern ausbaden.

Ein Fehler, den sie „aus ganzem Herzen“ bedauere

Wo immer möglich, stellt Schwarzer Männer an den Pranger. Diese sind bekanntlich auch führend bei der Steuerhinterziehung. Nun sorgt ausgerechnet die Ikone des Feminismus für etwas Gleichberechtigung auf diesem Feld. Als erste prominente Frau gesteht sie ein, ein Konto mit Schwarzgeld in der Schweiz versteckt zu haben. Dies hatte sie seit den achtziger Jahren mit (versteuerten) Einnahmen bestückt. „Zu meiner Beruhigung.“ Nachdem ein Hinweisgeber mit der Information hausieren gegangen war und im „Spiegel“ einen Abnehmer fand, bekennt die 71-Jährige: Dies sei ein „Fehler“ gewesen, „den ich aus ganzem Herzen bedauere“.

Offenkundig hatten erst die CD-Käufe der Länder und der Streit um das Schweizer Steuerabkommen Schwarzer im vorigen Jahr dazu veranlasst, sich beim Fiskus anzuzeigen. Viele Vermögende handeln mit Blick auf das Steuergeheimnis ähnlich, ohne dass es rauskommt. Mittlerweile hat Schwarzer 200 000 Euro an Steuern plus Säumniszinsen nachgezahlt und hält das Delikt für erledigt. Gegen die Veröffentlichung wendet sie sich wie gehabt mit Gegenangriff. Eine „Denunzierung“ und „Rufmord“ sieht sie in dem „Präzedenzfall“ sowie einen „Dammbruch für die Medien“.

Jetzt rollt die Lawine über sie hinweg

Damit trägt sie zu der Lawine bei, die nun über sie hinwegrollt. Bei Facebook, Twitter und in Foren ist die Zahl der Beiträge unüberschaubar. Der ARD-Talker Frank Plasberg warf am Montag umgehend sein „Hart aber fair“-Programm um. Schwarzer polarisiert seit Jahrzehnten, jetzt erst recht. Hatte sie als „Bild“-Kolumnistin nicht auch den Wettermoderator Jörg Kachelmann im Vergewaltigungsprozess zumindest zwischen den Zeilen schuldig gesprochen und das Ganze zum Geschlechterkampf stilisiert? Ausgerechnet eine selbst ernannte moralische Instanz der Republik bereichert sich auf Kosten der Allgemeinheit – welch Doppelmoral und Selbstgerechtigkeit, monieren die Kritiker.

Eine Art Rache für ihre Kampagnen?

Die Journalistin hat das Bundesverdienstkreuz erster Klasse erhalten und die Ehrengabe der Heine-Gesellschaft, den Kulturpreis ihrer Heimatstadt Wuppertal, die Mercator-Professur der Universität Duisburg-Essen und wurde zum „Ritter der französischen Ehrenlegion“ ernannt. Sie war Gastdozentin in Wien und Tübingen. In der Politik ist sie bisher hoch angesehen: An der durchaus wirkungsvollen Kampagne gegen die Prostitution, die sie im Herbst gestartet hat, beteiligen sich parteiübergreifend viele Persönlichkeiten. Der Appell hat nicht einmal 100 Tagen schon 10 700 Unterzeichner. Nun droht die an die Medien durchgestochene Steuerbeichte ihr Renommee zu demolieren. Die Bloßgestellte sieht darin eine Art Rache für ihre Anti-Prostitution-Kampagne oder für ihren Kampf gegen das Ehegattensplitting. Sie politisiert den Fall. Das Magazin verteidigt sich kühl: „Dass Schwarzer jetzt dem ,Spiegel’ eine illegale Veröffentlichung vorwirft, kann nur davon ablenken, dass sie selbst ihre Ehre verloren hat“, heißt es im „Spiegelblog“. Im Übrigen habe sie mehr als 20 Jahre Steuern hinterzogen. Bezahlt habe sie nur Steuern aus der Zeit, die strafrechtlich nicht verjährt gewesen sei. Die Zinsen aus den Jahren davor habe sie lieber behalten.

Am frühen Montagabend gab Schwarzer bekannt, dass sie eine „Stiftung für Chancengleichheit und Menschenrechte von Mädchen und Frauen“ gründen wolle, die in vielen Bereichen aktiv werden solle. Das Startkapital betrage eine Million Euro – künftig würden auch „Emma“-Gewinne eingesetzt. Die Stiftung werde seit Monaten vorbereitet. Wegen der „aktuellen Debatte“ werde sie aber mehrere Monate früher als geplant angekündigt.

„Das Private ist politisch“: diese altbekannte Devise von 1968 ist ein oft benutzter Satz von Alice Schwarzer. Er eignet sich freilich nicht als Waffe gegen sie. „Dieser Satz war nie als Aufforderung zu Geständnissen gemeint“, sagte sie 2011 dem „Spiegel“. Vielmehr hätten private Probleme in Wahrheit gesellschaftliche Ursachen. „Aber das heißt doch um Gottes willen nicht, dass man sein Privatleben öffentlich ausliefert oder gar, dass andere das Recht hätten, das zu tun.“