Der Stuttgarter hat den Ersten Weltkrieg in Farbfotos dokumentiert. Die Bilder wirken teilweise geradezu surreal.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Dem Tod begegnet man auf den Fotos von Hans Hildenbrand fast nie, höchstens in Form von Gräbern im schattigen Tann, und auch die fürchterliche Fratze des Krieges scheint nur selten auf. Seine Bilder von den Kriegsschauplätzen in der Champagne und den Vogesen, in den Jahren 1915 und 1916 aufgenommen, strahlen teils sogar eine ruhige, fast friedliche Stimmung aus – so zieht einmal eine kleine Karawane von Soldaten mit Pferden durch ein tief verschneites elsässisches Dorf. Die Nacht ist nahe, tiefrot steht schon die Sonne hinter den Hügeln.

 

Trotzdem, oder gerade deshalb, sind die Fotos von Hans Hildenbrand etwas ganz Besonderes. Denn er war einer von nur 19 Fotografen des Deutschen Reiches, die eine offizielle Akkreditierung besaßen und nahe der Front Aufnahmen machen durften. Hildebrand hatte ein Atelier in der Stuttgarter Marienstraße, er lebte davon, die Kriegsbilder als Postkarten zu vertreiben. Und er war damals der einzige unter den 19 Akkreditierten, der das noch neue Farbverfahren anwandte.

Erst von 1907 an waren die sogenannten Autochrom-Platten, die die Gebrüder Lumière erfunden hatten, in Deutschland erhältlich. Erstmals konnten damit nicht nur farbige Durchsichtsbilder erstellt, sondern auch Kopien angefertigt werden. Schon 1909 übernahm der professionelle Fotograf Hans Hildenbrand diese Technik.

Intensive Töne

So kennen wir nun die Farben des Krieges. Die Köpfe der Abwehrkanonen hatten einen hellblauen Farbüberzug, die grauen Uniformen der deutschen Soldaten weisen tatsächlich einen Stich ins Blaue auf, das Grün der Wiesen und Bäume ist auf vielen Fotos weggebombt und durch morastiges Braun ersetzt worden, und blutrot schaukelt der Mohn auf weiten Feldern langsam im Wind. Es ist ein zutiefst ungewohnter Anblick, denn sogar aus dem Zweiten Weltkrieg sind vorwiegend Schwarz-Weiß-Aufnahmen erhalten. Aber zu jeder Zeit starben die Soldaten in Farbe – die Fotos von Hildenbrand rücken den Krieg durch ihre intensiven Töne plötzlich ganz nahe heran.

Allerdings warnt der Düsseldorfer Medienexperte Andreas Weinhold, der sich lange mit den Fotos des Ersten Weltkrieges beschäftigt hat: „Schon vor 100 Jahren war die Wirklichkeit der Bilder extrem fragwürdig.“ Jedes Foto, das damals veröffentlicht wurde, musste die Militärzensur passieren. Das habe nicht nur lange gedauert, sagt Weinhold – die ersten Bilder dieses Krieges erschienen frühestens zwei Monate nach dessen Ausbruch in Zeitungen –, sondern es gab auch schriftliche Regeln, was auf den Bilder zu sehen oder vielmehr nicht zu sehen sein durfte.

„Jedes Bild hat deshalb eine Absicht“, sagt Weinhold: Man wollte die Überlegenheit der eigenen Soldaten zeigen, man wollte die angebliche Barbarei der gegnerischen Soldaten darstellen, oder man wollte Lügen verbreiten und Desinformationen streuen. „Bilder besitzen eine große Wirkmächtigkeit, sie wirken authentisch“, sagt Andreas Weinhold. „Dabei kann jedes Foto ganz leicht gefälscht werden.“

Schnappschüsse waren nicht möglich

Es gibt aber noch einen anderen, profaneren Grund, weshalb die Bilder Hildenbrands so ruhig wirken, nahezu „surreal“, wie Winfried Mönch vom Wehrgeschichtlichen Museum in Rastatt sagt, der die Lebensgeschichte Hildenbrands recherchiert hat. Selbst bei schönem Sonnenschein musste eine Platte mindestens eine Sekunde lang belichtet werden; sprich: Schnappschüsse waren nicht möglich. Es war beinahe ausgeschlossen, das Kampfgeschehen an der Front festzuhalten, zumal die Balgenkamera und die Ausrüstung rund 15 Kilo wogen. Es dauerte, das aufzustellen.

Dennoch sagen die Fotos viel über den deutschen Blick auf die Westfront aus. Vor allem die großen Zerstörungen in französischen Dörfern wurden mit einer befremdenden Selbstverständlichkeit abgelichtet, ja regelrecht zur Schau gestellt. Ein Foto zeigt ein völlig verwüstetes Dorf; dazwischen plaudern deutsche Soldaten miteinander, einige sitzen entspannt auf den Mauern der Ruinen. „Die Deutschen hatten anscheinend noch kein Gefühl dafür, was vorzeigbar war“, sagt Peter Walther, der gerade den Bildband „Der Erste Weltkrieg in Farbe“ vorgelegt hat und auch schon 2008 ein Buch über die „Endzeit Europa“ geschrieben hat. Er führt dies darauf zurück, dass die Deutschen selbst fast keine Angriffe auf ihre Städte hinnehmen mussten. In seinen Büchern sind auch Farbbilder ausländischer Fotografen zu sehen; vor allem in Frankreich gab es mehrere, die die neue Kunst gut beherrschten.

Seltsam ist, dass Hans Hildenbrand in Deutschland heute recht unbekannt ist, trotz seiner historisch bedeutsamen Autochrom-Fotografien und trotz seiner durchaus als steil zu bezeichnenden Karriere.

Seine Postkarten gingen um die Welt

Geboren 1870 in Bad Boll, eröffnete Hildenbrand 1896 sein eigenes Atelier und wurde binnen weniger Jahre königlicher Hoffotograf. Schon 1911 fotografierte er ausschließlich in Farbe. Er bereiste zahlreiche Länder in Europa, Nordafrika und im Nahen Osten. Seine Postkarten und auch seine stereoskopischen Doppelbilder gingen um die Welt – und zwar im buchstäblichen Sinne: 1926 wurde die National Geographic Society auf ihn aufmerksam; elf Jahre lang wurden seine Fotos regelmäßig in dem schon damals bekannten Magazin veröffentlicht. In der Nazizeit aber wird die Zusammenarbeit unmöglich.

Es ist mehr als eine Ironie der Geschichte, ja es ist tragisch, dass Hans Hildenbrands Fotos aus dem Krieg fast alle zerstört wurden – im Krieg. Im Jahr 1944 traf bei einem Luftangriff eine Bombe sein Haus, sein gesamtes Archiv verbrannte. So ist heute nur noch erhalten, was bereits veröffentlicht war – in Zeitungen, Zeitschriften und auf Postkarten.

Hildenbrand stirbt 1957 in Stuttgart. Sein Werk bleibe noch zu entdecken, betont Winfried Mönch. Und Peter Walther fasst zusammen, wie man Hildenbrands Arbeit zu bewerten habe: „Seine Fotos besitzen eine absolute Ausnahmestellung.“