Kunst und Wahrhaftigkeit in der Musik gehören zusammen: zum Tod des wunderbaren Sängers Kurt Moll.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Wie kommt der Tod im „Don Giovanni“? Als Gespenst. Anfang des ersten Aktes hat man bei Mozart den Komtur und Vater von Donna Anna - nebenbei erledigt vom Titelhelden, als ob der Widersacher gerade mal eine lästige Fliege wäre - schnell aus dem Weg geräumt. Ein Gesichtsloser mithin. Nun, kurz vor dem Ende der Oper, ist er mächtig wieder da.

 

Konventionelle Inszenierungen wissen mit dem Mann, der Don Giovanni endlich in die Knie und ins Grab - wenn auch nicht zur Reue - zwingen wird, kaum etwas anzufangen. Folglich tritt häufig eine etwas zu vitale Leiche vor die Leute. Je nach Temperament und Disposition gerät sie oft in Gefahr, sich trotz aller Donnerworte („Pentiti scellerato!“: „Bereue dein Leben!“, „Bereue, Verbrecher!“) ein bisschen lächerlich zu machen. Der Commendatore ist ein Mann ohne Geschichte. Meistens.

Osmin – Mann mit Gewaltpotenzial

Wenn nun aber Kurt Moll den Komtur verkörperte, waren die Geschichten auf einmal alle da. Man sah da nämlich einen Mann, der mehr war als nur alt, und der anderes im Sinn hatte, als lediglich Rache zu nehmen, Gott oder den Weltgeist mimend. Kurt Moll erspielte und ersang der Figur im Moment ein ganzes Leben: ein Leben als Vater und ein Leben als Mann. Und dass der geliebt hatte (was bei der kapriziösen Tochter nicht leicht gewesen sein dürfte), und dass der eigene Tod viel zu früh gekommen war, und dass ihn einfach alles zur Abrechnung drängte - das hörte man auch. Kann man mehr von einem Komtur verlangen?

Nicht viel anders war es mit dem Osmin in der „Entführung aus dem Serail“, einem Sklavenhalter mit doch recht bedrohlichem Gewaltpotenzial: Kurt Moll gab ihm nicht nur vokal etwas Besonderes mit, wenn er, wie der Sängerspezialist Jürgen Kesting schön geschrieben hat, niemals nur automatisch deklamierte, sondern „die Musik sang und die Worte mit Leichtigkeit und Mühelosigkeit dem Text hinzufügte“. Gleichzeitig erspielte Moll selbst diesem Osmin, selbst ein geschunden- gequälter Hund, eine sich sofort übermittelnde Menschlichkeit.

Leichte Distanz zu sich selbst

Perfekte Wort-Ton-Phrasen bei Mozart konnte Moll mit einer staunenswerten Leichtigkeit selbst ins schwere Wagner-Fach übertragen. Seine Gurnemanz-Erzählungen im „Parsifal“, in deren Verlauf ungeheure Wort- und Bedeutungsmengen bewältigt werden wollen, hatten immer etwas Soghaftes. Moll empfand sich, vollkommen zu Recht, als eine Art Generalschlüssel zu dieser Geschichte. Und schloss, so einfach wie möglich, die Tür auf.

Eine leichte Distanz zu sich selbst und zur Szene insgesamt brachte der 1938 geborene, eher unrustikale Rheinländer schon deswegen mit, weil er als Instrumentalist mit Gitarre und Cello begonnen hatte. Man versteht dann später orchestrale Klangfarbe besser, und ist sich nicht nur selbst genug. Stationen in Krefeld, wo er schon den Sarastro sang, Mainz und Wuppertal folgten bald richtig große Adressen. 1967 debütierte er in Bayreuth, dann in Wien und München, wo man ihn stets besonders liebte und feierte; 1979 schließlich an der Met in New York.

Obwohl Moll heikel sein konnte im Umgang mit Rollen - lange sparte er sich den Ochs von Lerchenau im „Rosenkavalier“ auf, um ihn dann freilich unter dem „Rosenkavalier“-Dirigenten schlechthin, Carlos Kleiber, zu singen – war sein Repertoire immens: Daland, Pogner und ein brillant-brutal-böser Hunding gehörten dazu (in Marek Janowskis „Ring“-Einspielung), aber auch Verdi-Figuren wie Monterone, Falstaff, Marchese und Philipp, der traurigste aller traurigen Väter: alles mit rundestem Legato gesungen, schön, aber nie zu schön. Wer die Kanten hören möchte bei Moll, muss auch den Liedsänger (mit Loewe und Schubert) berücksichtigen; wer den Komiker haben will, ist mit Komponisten gut bedient, deren sehr deutsche Charaktere Moll das peinlich Derb-Frivole zu nehmen wusste (bei Nicolai und Lortzing zum Beispiel). Moll machte das mit aller Subtilität, die ein besonderer Bass nur haben kann.

Genauso, wie er seine Rollen immer disponiert hatte, nämlich in der richtigen Relation zum wirklichen Leben, hielt Kurt Moll es mit seinem Abschied. Wo andere noch eine große Altersrollenrunde begonnen hätten, setzte er einen Punkt, auch, weil sein Herz nicht mehr so mittat, wie es immer sollte. Im Jahr 2006 tauchte Kurt Moll bei den Münchner Opernfestspielen ein letztes Mal auf, um den Nachtwächter in Richard Wagners „Meistersingern“ zu geben. Elfmal schlug die Glocke. Und Kurt Moll, der große Menschensänger, schied mit den Worten: „Bewahrt euch vor Gespenstern und Spuk,/daß kein böser Geist eur‘ Seel‘ beruck‘! Lobet Gott den Herrn.“ Danach war er Rentner, und er war es gerne. Am Sonntag nun ist, wie erst jetzt bekannt wurde, Kurt Moll im Alter von 78 Jahren gestorben.