Die verschreckte Mittelschicht zieht sich von den Pegida-Umzügen zurück. Damit reduzieren sich die Demonstrationen zunehmend auf radikale Gruppen, Neonazis und Hooligans. Sie finden in Sachsen einen besonders nationalistischen Nährboden vor.

Dresden -  Eine Stimmung „wie auf einem Reichsparteitag“ glaubten kritische Beobachter vor einigen Tagen auf dem Leipziger Augustusplatz zu spüren. Zwar brachte der islamkritische Ableger Legida nur noch einige Hundert Leute auf die Straße. Doch wer kam, sprach Klartext. Nachdem sich Vertreter der Mittelschichten zunehmend aus der Bewegung zurückziehen, reduziert sich diese auf einen radikalen Rest, der auch offen gegen Ausländer hetzt. Sebastian Striegel, der für die Grünen im Sächsischen Landtag sitzt, sprach von einem „Naziaufmarsch 2.0“.       Ähnliches war zuletzt auch andernorts zu erleben, etwa bei Sügida im südthüringischen Suhl. Laut Peter Reif-Spirek, Vizechef der Thüringer Landeszentrale für Politische Bildung, versuchen nun „Neonazis mit der erfolgreichen Mobilisierungsmarke Pegida aus ihrer politischen Isolation zu kommen“.

 

Wieder ist es der Osten, der hierfür den Nährboden liefert. Nur – warum?      Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung nimmt hier die Zahl der Menschen mit rechtsextremem Weltbild erst seit einigen Jahren so stark zu. Seit 2006 explodierte sie von 6,6 auf 15,8 Prozent, während sie im Westen der Republik von 9,1 auf 7,6 Prozent schrumpfte. Über die Ursachen streiten Experten. Klar scheint nur, dass eine besondere DDR-Prägung als Wurzel hierfür inzwischen zu kurz fasst. Denn gerade die 14- bis 30-jährigen, die im Grunde gar keine Ossis mehr sind, machen den Forschern Angst: „Hier wächst eine Generation heran, die alle bisherigen Gruppen in ihrer rechten Einstellung zu überbieten droht“, registrieren sie.   

Zudem gibt es den homogenen Osten offenbar nicht mehr. So verließen nach der Einheit rund 1,5 Millionen Menschen die neuen Länder – und gerade in den besonders ausgebluteten Regionen Vorpommerns und Sachsens, die an Polen und   Tschechien grenzen, beobachten Soziologen ein spezielles Phänomen: Während teils ganze Abschlussjahrgänge an Mädchen diese strukturschwachen Landkreise verließen, blieben schlecht ausgebildete junge Männer arbeitslos zurück. Sie mischten sich hier mit Zuzüglern aus dem Westen, die kleine Gewerbebetriebe aufbauten und sich ambitioniert einbrachten – von der Feuerwehr über den Sportverein bis zum Kirchenchor. Nicht wenige von ihnen seien jedoch Rechtsextremisten, die sich hinter bürgerlicher Fassade breitmachten, um den Alltag zu „unterwandern“, beobachteten Soziologen des Berlin-Instituts.

Männerüberschuss begünstigt rechtes Denken

Auch die langjährigen NPD-Spitzen in den Landtagen von Schwerin und Dresden, Holger Apfel und Udo Pastörs, seien solche Westimporte. Offenbar hätten sie geschickt zu nutzen gewusst, dass in Gegenden mit „deutlichem Überschuss an jungen Männern rechtes Gedankengut auf besonders fruchtbaren Boden fällt“, schlussfolgern die Wissenschaftler. In 14 von 16 Kreisen, in denen Rechtsextremisten über sechs Prozent der Stimmen bekamen, lebten weniger als 85 Frauen je 100 Männer im Alter zwischen 18 bis 35 Jahren.

Doch Dresden ist nicht Anklam oder das Elbsandsteingebirge. Dresden ist allerdings Sachsen, und das in seiner ganz speziellen Ausprägung. Der Magdeburger Theologe und Sozialwissenschaftler David Begrich erlebt hier eine Art „regionalen Nationalismus“: Das selbstgerecht-rückwärtsgewandte Kleinbürgertum der sächsischen Kapitale gefalle sich mehrheitlich in einer unumstößlichen „Überzeugung, wie man zu leben und sich zu verhalten hat und wie nicht“, meint er. Auch für den Göttinger Demokratieforscher Michael Lührmann, der selbst aus Sachsen stammt, ist „nirgendwo in Deutschland die Ablehnung des Anderen tiefer in Politik und Kultur verankert“ als hier.

Er macht zwischen Oberlausitz, Sächsischer Schweiz und Erzgebirge einen „sächsischen Bibelgürtel“ aus und in diesem ein „ultrakonservatives Milieu“, dem Homoehe und Abtreibung ebenso suspekt seien wie Linke und Muslime.      Selbst der Dresdener Grünen-Stadtrat Johannes Lichdi nennt die Elbmetropole ein „borniertes und engherziges Provinznest“, in dem sehr viele die demokratischen Freiheiten seit 1990 „nie verstanden oder akzeptiert“ hätten. Zwar dürften sie nun reisen, zugleich fühlten sie sich aber vom Westen „belogen und betrogen“, weil der sie nun mit den „Verwirrungen offener Gesellschaften“ konfrontiere, in denen „jeder seinen eigenen Weg suchen“ müsse.

Anderswo geht die Justiz mit Rechtsextremen anders um

So, wie halt viele Ostdeutsche bis 1989 eine „Eingabe schrieben, notfalls an den SED-Generalsekretär – das half immer“, sagt Grit Hanneforth vom antifaschistischen Kulturbüro Sachsen, so forderten gerade ältere Sachsen nun erneut: Die „da oben“ müssten endlich etwas gegen ihre Unzufriedenheit tun. „Nur eben sie selbst nicht...“ Sachsens Staatspolitik – seit 1990 von einer allmächtigen CDU bestimmt – fördert solches Phlegma gezielt. Man mag Ehrenamtler, doch politische Teilhabe ist unerwünscht. Volksbegehren gelten aufgrund sehr hoher Hürden als chancenlos. „Abwarten, aussitzen, abmoderieren und im Notfall scheinheilige Symbolik“, charakterisiert Sachsens Linke-Chef Rico Gebhardt diesbezüglich die Politik von Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich.     

Die Wut, die Tillichs Statement, der Islam gehöre nicht zu Sachsen, außerhalb des Landes erzeugte, ist denn in Dresdener Behörden auch nicht nachvollziehbar. Hätte das NSU-Trio sonst von Sachsen aus zehn Jahre lang unbehelligt seine Morde planen können? Wäre es andernorts in Deutschland denkbar, dass eine Ägypterin im Gerichtssaal von einem Rechtsradikalen während ihrer Aussage ermordet wird? Würden woanders Regierungschefs benachbarter Bundesländer juristisch verfolgt, weil sie sich fünf Jahre zuvor an der Blockade von Neonaziaufzügen beteiligten?    

   Auch anderswo in Deutschland gibt es eine rechtsextreme Szene, doch geht die Justiz anders damit um. Als etwa die deutschen Innenminister nach den NSU-Ermittlungspannen beschlossen, Tötungsdelikte nachträglich auf mögliche rechtsextreme Motive zu überprüfen, wurden 745 Fälle neu beleuchtet – darunter 216 allein in Baden-Württemberg, aber nur ganze zwei in Sachsen.       So verwundert es auch nicht, dass Pegida in Dresden stets weiträumig von Polizei abgeschirmt wurde, um dem Gegenprotest die Wirkung zu nehmen. Und die Dresdener Polizei war es auch, die es fertigbrachte, einzig aufgrund einer ominösen „geheimdienstlichen Anschlagswarnung“ für den 19. Januar kurzerhand das Demonstrationsrecht auszuhebeln – also auch jeden Anti-Pegida-Protest.   

Offener Schulterschluss von Pegida und Hogesa

Prompt gingen denn auch sächsische Beamte „unsouverän und aggressiv“, wie es in Internetblogs aus dem NoLegida-Lager stand, gegen die zahlenmäßig weitaus stärkeren Gegenprotestler vor. Dabei war schon eine Woche zuvor die Polizei nicht eingeschritten, als Ordner des rechten Legida-Zuges Journalisten attackierten und einen Fotografen niederrissen. „Danke Polizei“, hieß es später auf der Facebook-Seite von Legida.   

   Ausdrücklich Dank sagte auf der Legida-Bühne dann auch ein Herr im langen brauen Mantel eben diesen Ordnern: den „lieben Hools“ aus mehreren, nicht nur ostdeutschen Städten. Es war der erste offene Schulterschluss von Pegida und Hogesa (Hooligans gegen Salafisten), gegen die inzwischen wegen der Straßenschlachten in Köln und Düsseldorf ermittelt wird. Jener Mann, den keiner kennt, der sich aber wie der große Kindergartenreformer Friedrich Fröbel nennt, verglich die Hooligans gar mit den Lützowschen Freikorpsjägern im Kampf gegen Napoleon.      

Eher von einer „modernen SA“ spricht dagegen der Potsdamer Extremismusexperte und Journalist Olaf Sundermeyer. Für ihn, der in Dortmund aufgewachsen ist, haben „rechtsmotivierte“ Fußballfans erst den Erfolg fremdenfeindlicher Bewegungen wie Pegida ermöglicht. Womit sich er Kreis mit Dresden wieder schließt. Denn gewalttätige Anhänger des SC Dynamo schaden hier schon seit Jahren dem Image des Klubs wie der Stadt. Als dann nach dem Elbehochwasser 2013 ein gewisser Lutz Bachmann im Dynamostadion ein Hilfezentrum organisierte, kam man sich womöglich näher. Bevor Bachmann Pegida gründete, erhielt er zunächst noch den sächsischen Fluthelferorden.