Der überraschende Abgang von Sigmar Gabriel ist abgehakt, die SPD wendet sich nun der Zukunft zu. Der Kanzlerkandidat Martin Schulz muss sich eine Wahlkampfstrategie überlegen – innenpolitisch ist er noch ein unbeschriebenes Blatt.

Berlin - Der SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, einer von vielen, die sich von Sigmar Gabriels Abgang am Dienstag überrumpelt fühlten, konnte sich beim gemeinsamen Statement mit Martin Schulz nach einer Fraktion-Sondersitzung einige versteckte Hiebe gegen den scheidenden SPD-Chef nicht verkneifen. Er verpackte diese in überschwänglichem Lob für dessen Nachfolger Schulz, den er wie einen Erlöser pries. Dieser sei mit „großem Beifall empfangen und mit noch größerem Beifall verabschiedet worden“, so Oppermann. Er sprach von einer regelrechten „Aufbruchstimmung“. Schulz sei „ein Kanzlerkandidat, der den vollen Rückhalt der Bundestagsfraktion“ habe. Ein Mann „mit einer großen persönlichen Glaubwürdigkeit“, mit dem man „jetzt etwas bewegen“ könne.

 

Ähnliches wurde Gabriel zuletzt in der Fraktion kaum noch zugeschrieben, am Ende nicht einmal mehr von Oppermann, der lange zu dessen letzten Gefährten gezählt hatte. Zu Gabriel selbst nur so viel: „Eine dienende Rolle“ werde er nun als Außenminister im Wahlkampf spielen. Soll wohl heißen: Klappe halten!

Ganz schön keck: „Unser Kanzlerkandidat soll Kanzler werden“

Damit beließ es Oppermann auch mit der Vergangenheitsbewältigung und wandte sich schnell der angeblich für die Sozialdemokratie jetzt so strahlenden Zukunft zu. Martin Schulz sei einer, der „die Bundesregierung von vorne führen“ wolle, einer der – anders als der zaudernde Gabriel – am Zaun des Kanzleramts rüttle, von Siegeswillen getragen: „Unser Kanzlerkandidat soll Kanzler werden“, so Oppermann.

Ganz schön keck, diese Ansage, vor dem Hintergrund, dass die SPD von den Demoskopen bei 20 Prozent gesichtet wird und für sie außer in der Fortsetzung der ungeliebten großen Koalition als Juniorpartner keinerlei Machtoption in Sicht ist. Schulz ließ sich deshalb auch gar nicht erst auf Koalitionsaussagen ein, sondern beließ es zunächst dabei, auf seine Tugenden zu verweisen. Als Bürgermeister von Würselen habe er ein Gespür für die Sorgen und Nöte „der hart arbeitenden Menschen entwickelt, die sich an die Regeln der Demokratie halten und wünschen, dass die Demokratie Regeln schafft, die sie schützen“. Das müsse „für die SPD Leitlinie in diesem Wahlkampf sein“. Ganz schön wolkig ist das, aber was soll er auch sonst sagen. Völlig unvorbereitet startet er in diese Auseinandersetzung, innenpolitisch ist er ein unbeschriebenes Blatt, da wird er bald nachlegen müssen.

Mit Merkel verbindet Schulz viel: beide schätzen sich

Die Ausgangslage, eigene Vorstellungen durchzusetzen, könnte schlechter sein. Die Parteilinke lag ihm zuletzt zu Füßen, und das sicher nicht, weil sie den eher konservativen Schulz wegen ideologischer Standfestigkeit schätzen würde, sondern weil ihr sogar ein Pragmatiker wie Schulz lieber war als Gabriel. Für dieses sehnsuchtsvolle Werben wird die SPD-Linke einen Preis zu entrichten haben, aber noch ist nicht klar, welchen.

Offen ist auch, wie Schulz jene Frau angeht, die er aus dem Kanzleramt vertreiben will. Mit Merkel verbindet ihn viel, die beiden schätzen sich. Schulz wird sich womöglich schwertun, in den Angriffsmodus zu schalten. Es ist ihm ja auch bei der Europawahl in der Auseinandersetzung mit seinem Freund Jean-Claude Juncker schwergefallen, so zu tun, als sei dieser ein kaum wählbarer Politiker. Andererseits hat er, weil er ja nicht Minister geworden ist, den Vorteil, nicht als Regierungsmitglied der Merkel-Crew agieren zu müssen. Das verschafft Schulz „Beinfreiheit“.

Eine Rot-Rot-Grün-Koalition ist für Schulz keine echte Option

Sein Umgang mit Merkel wird gleichwohl eine der Hauptfragen sein, die schnell zu klären sind, denn die Kanzlerin genießt auch in Reihen der SPD große Sympathien. Eines ist auszuschließen: Schulz wird nicht bereit sein, mit der Linken zu flirten, solange deren Außen- und Europapolitik von Sahra Wagenknecht bestimmt wird. Auch wenn Schulz sich zuletzt zu einem Treffen einiger Freunde von Rot-Rot-Grün einladen ließ, ist diese Variante für ihn keine echte Option. Das wirft allerdings die Frage auf, wie er dann seinen Machthunger stillen will? Einer Ampel mit Grünen und FDP gegenüber wäre Schulz zwar aufgeschlossen, aber auch die scheint außer Reichweite. Gleichwohl dürften Grüne und FDP von Schulz eher verschont bleiben – vorsichtshalber.

Der Hauptgegner, das zeigt sich schon jetzt, steht für ihn sehr weit rechts. Ihm scheint es gelegen zu kommen, dass die AfD ihn als angeblichen Vertreter eines überkommenen europäischen Bürokratenfilzes zur Zielscheibe auserkoren hat. Schulz hat im harten Schlagabtausch mit ähnlichen Gruppierungen als Präsident des Europaparlaments bewiesen, dass er mit deren Protagonisten umzugehen weiß. Er wird da keiner Auseinandersetzung aus dem Weg gehen, auch deshalb, weil die Gegnerschaft gegen alles, was rechts ist, die SPD eint wie kaum ein anderes Thema.

Die SPD werde immer ein „Schutzwall für die Demokrate“ bleiben, sagt Schulz

Die Demokratie sei gefährdet, mahnt er. Dass es einem Abgeordneten wie Björn Höcke möglich sei, „in einer Partei zu verbleiben, obwohl er das Mahnmal der ermordeten Juden im Herzen Berlins als Schandmal bezeichnet, zeigt: Die Fliehkräfte der Krise setzen die Kräfte der Demokratiefeinde frei“, so Schulz. Die SPD werde immer „ein Schutzwall für die Demokratie“ bleiben. In der SPD wird da keiner widersprechen. Aber was er zur Rente zu sagen hat, bleibt damit ungeklärt. Die Euphorie wegen des Rückzugs von Gabriel wird in der SPD sehr schnell der Frage weichen: Was nun, Herr Schulz?