Einst stand Stefan Strumbel wegen illegalem Graffiti vor Gericht. Dann kaufte Karl Lagerfeld eine seiner grellen Kuckucksuhren, Strumbel wurde über Nacht zum Popstar. Jetzt will er ernster werden. Ein Roadtrip nach Rottweil.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Göppingen - In seiner wuchtigen schwarzen Mercedes G-Klasse sieht Stefan Strumbel aus wie eine Gangster-Rapper-Variante von Joseph Beuys. Die tätowierten Unterarme lassen jeden englischen Fußball-Nationalspieler vor Neid erblassen. Den Hut könnte man mit gutem Gewissen auch auf der Jagd auf Bambi im Schwarzwald tragen. Und für die von dem US-Rapstar Kanye West designten Turnschuhe zelten Sneaker-Anhänger ganze Nächte vor dem Streetwear-Shop. Stefan Strumbel hat die Schuhe von Adidas geschenkt bekommen – der Offenburger Künstler ist selbst ein kleiner Popstar und gut für das Image der Drei-Streifen-Schmiede aus Herzogenaurach.

 

Im November ist Stefan Strumbels Arbeit gleich dreimal in Baden-Württemberg zu bewundern. Noch bis Januar läuft eine Werkschau in der Städtischen Galerie Offenburg. Am 24. November nimmt die Oper Stuttgart „La Bohème“ wieder in ihr Repertoire auf, das Bühnenbild zu Giacomo Puccinis Oper hat Stefan Strumbel gestaltet. Und an diesem Freitag wird die Jahresausstellung des Kunstvereins in der Kunsthalle Göppingen eröffnet, bei der Strumbel unter dem Titel „Handle with care“ unter anderem ein drei Tonnen schweres Herz ausstellt. Das Herz aus Stahl durfte zuvor auf einem ehemaligen Nato-Testgelände in Rottweil vor sich hin rosten.

Roadtrip nach Rottweil. Stefan Strumbel hat den Heimat-Begriff in der Kunst in den vergangenen Jahren entstaubt. Den Durchbruch schaffte er am Ende der Nullerjahre mit grellbunten Kuckucksuhren. Als sich Karl Lagerfeld mit einer der Uhren bei sich zu Hause ablichten ließ, wurde Strumbel über Nacht berühmt. Danach bearbeitete er den Heimat-Begriff bis zum Exzess. „Jetzt ist es Zeit für einen neuen Werksprozess“, sagt Strumbel, während im Auto „La Bohème“ in voller Lautstärke tönt. „Die plakativen Heimat-Arbeiten waren schön. Meine neuen Sachen müssen aber ernster sein, es soll mehr um den Inhalt als um die Lautstärke gehen. In 200 Jahren sollen die Leute entscheiden, ob der Strumbel was hinterlassen hat“, sagt der 36-Jährige und dreht Puccini noch eine Spur weiter auf. Links und rechts fliegt der Schönbuch vorbei, während Stefan Strumbel am Steuer über die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft philosophiert.

Raststätten-Gedanken

Der Stau, dieser grausame Gefährte des Pendlers, sorgt dafür, dass die Autofahrt kurz unterbrochen wird. Wir verlassen die Autobahn und kehren ein. Deutsche Raststättenromantik. Es duftet nach Burgern, BBQ-Sauce und Geschmacksverstärker. Bei einem Croissant und einem Kaffee wird die Staubewältigung auch zur Vergangenheitsbewältigung, zur Selbsthinterfragung. Beruf oder Berufung Künstler? „Ich liebe meine Arbeit. Für mich fühlt sich das nicht nach Arbeit an, es ist wie Nahrung für mich“, sagt Strumbel. „Andererseits wünsche ich mir manchmal schon, zwischendrin auch mal abschalten zu können. Das fällt mir sehr schwer, mein Hirn rattert unaufhörlich.“ Um im Duktus der autobahnkompatiblen Kfz-Historie zu bleiben: der Strumbel läuft und läuft und läuft.

Dabei gab es einmal eine Zeit, in der es für Stefan Strumbel nicht ganz so rund lief. Als die Illegalität seiner Graffitikunst in den 90er Jahren – damals sprühte er auch in Stuttgart – rechtliche Folgen in Form von Hausdurchsuchungen und Gerichtsverhandlungen mit sich brachte. „Das war für meine Eltern keine leichte Zeit. Ihnen zuliebe habe ich dann ein Sporttherapiestudium in Karlsruhe absolviert. Inhaltlich hat mich das nicht sehr beschäftigt. Wenigstens war das Schulgebäude zu der Zeit aber immer schön bemalt.“ Beim Erzählen hat Strumbel einen Sinn für Dramaturgie. Nach einer längeren Kunstpause kommt die Pointe mit dem Briefpapier: „Das Briefpapier mit dem Briefkopf der Stadt Offenburg ist gleich geblieben, die Inhalte haben sich geändert. Früher kamen die Vorladungen auf städtischem Papier, heute ist es das Grußwort der Bürgermeisterin für meine Ausstellung“, sagt Strumbel und kostet seinen Triumph mit einem Grinsen aus.

Weiter geht die irre Autofahrt, die freitägliche Raserei nach Rottweil. Was hat Strumbel für Göppingen genau geplant? Dort erregte er vor wenigen Wochen mit einer sozialen Skulptur in der Tradition von Joseph Beuys Aufsehen, als er eine Blutspendeaktion in eine Performance umdeutete. „In Zeiten, in denen virtuelle Freundschaften echte Verbindungen überlagern, gibt es doch nichts Verbindenderes als das Blut der anderen“, so Strumbel. Mit einem Herz will Strumbel in der Göppinger Kunsthalle nun an die Blutspendeaktion anknüpfen. Die Halle selbst hat Stefan Strumbel lila und schwarz angemalt. „Rot ist die Farbe des Blutes der Armen, blaues Blut steht für Adel und für Reichtum, beides zusammengemischt ergibt die heilige Farbe Lila“, sagt Strumbel.

Ein Herz für Barbarossa

Mit dem monumentalen, drei Meter hohen Herzen nimmt Strumbel aber auch Bezug zur Stauferstadt Göppingen, zu Friedrich I. „Barbarossa ist im Fluss Saleph in der heutigen Türkei ertrunken. Sein Herz blieb für immer verschwunden. Nun kehrt es in riesiger Form zurück nach Göppingen“, erklärt Strumbel. Zu jedem Stichwort konstruiert er einen Bezug. Wenn ihm ein Gedanke im Gespräch besonders bemerkenswert erscheint, nimmt er ihn über die Diktierfunktion seines Handys auf.

Zwischendrin zeigt er Fotos auf seinem Handy und konstruiert dabei Bezüge zu seinen Ausstellungen, während sein Beifahrer Angst hat, dass wir uns bei Tempo 140 gleich an der Leitplanke dekonstruieren. Strumbel kennt aber keine Gnade. „Habe ich dir schon meinen Kurzfilm gezeigt? ‚La Bohème und der Schwarzwald’? Der ist skandalös gut, den stelle ich aus“, sagt Strumbel und führt ein Handyvideo vor, das eine andere Fahrt von ihm dokumentiert. „Und jetzt Achtung, wenn sie auf der Bühne stirbt, fahre ich in den Tunnel, und der Scheibenwischer geht an. Genial, oder?“, freut sich Strumbel, das Handy in die rechte Hand geklemmt. Wir werden gleich auf einen Lkw auffahren. Ob der Künstler-Autofahrer das bemerkt? Wenn nicht, wer schreibt dann diesen Text?

Runter von der Autobahn. Auf der Landstraße fährt ein Leichenwagen vor uns her. Hoffentlich kein schlechtes Zeichen. Nächste Abfahrt Göllsdorf. Strumbels Herz wartet auf einem ehemaligen Nato-Testgelände auf uns. „Wir sind auf jeden Fall falsch“, flucht der Künstler auf einem Schotterweg. Das Navi hat aufgegeben. Auf einmal taucht eine Schafherde wie aus dem Nichts auf, die Tiere sind grün markiert, aber nicht durch winzige Punkte, sondern durch riesige Farbverläufe. „Geil, das sind Graffiti-Schafe, die würde ich genauso ausstellen. Hier auf dem Land brauchst du halt kein LSD“, jubiliert Stefan Strumbel, ehe er sich wegen allgemeiner Orientierungslosigkeit wieder selbst beschimpft. „Fuck you Strumbel! Ah, Moment, an die Kühe erinnere ich mich, wir sind doch richtig.“ In verbotenem Tempo geht es über Waldwege. Und plötzlich taucht mitten im Wald eine bunkerartige Anlage auf.

Kunst auf dem Nato-Gelände

Der Bildhauer Jürgen Knubben residiert mittlerweile auf dem ehemaligen Nato-Gelände mitten im Naturschutzgebiet. Statt kaltem Krieg wird hier jetzt Kunst verarbeitet. Neben Knubbens Wohnhaus befindet sich eine kleine Halle, in der Strumbels Herz wartet. Dahinter hat Knubben einen Skulpturenpark angelegt, wechselnde Künstler stellen hier im Freien aus. Unter der Ausstellungsfläche, hinter der Halle, befindet sich ein echter Bunker.

Knubbens Sohn Gabriel betreibt eine kleine Stahlfirma, er hat das Herz nach den Plänen Strumbels gebaut. „Ah, da kommt er ja, der Verrückte“, begrüßt Gabriel Knubben Stefan Strumbel euphorisch. Um den herzigen Koloss zu konstruieren, waren sechs Männer nötig, die vier Wochen gebraucht haben. „Die einzelnen Stücke waren so schwer, dass wir sie zum Teil zu zweit halten mussten, während einer geschweißt hat“, erklärt Gabriel Knubben.

Im Angesicht seines Mammutherzens wird Strumbel euphorisch. „Da haut es dir das Blech weg, oder?“ – „Du kannsch zufrieden sein“, sagt Jürgen Knubben. Ein größeres Lob wurde auf Rottweiler Gemarkung noch nie ausgesprochen. Als Jürgen Knubben seinen Besuchern noch die Skulpturen rund um das Haus zeigt, fährt ein Roller vorbei, der wie ein Schaf klingt. Vielleicht war ja doch was im Trinkwasser? „Dass du mir die Skulpturen bisher nicht gezeigt hast, Jürgen“, beschwert sich Strumbel bei Knubben. „Du hast halt immer so pressiert, wenn du da warst“, erwidert Knubben. Mit Strumbels Tempo kann eben keiner mithalten. Wie kann es sein, dass dieser Künstler scheinbar nie stillsteht, immer das nächste Projekt vor Augen hat? Die einzig mögliche Erklärung: sein Herz schlägt schneller.