Das Löschen ist ihr Job: Im „Maulwurf“, der neuen Hausproduktion des Stuttgarter Renitenztheaters, sind Redakteure damit beschäftigt, Internetkommentare zu entfernen.

Stuttgart - Endlich zeigt er sich! Der Hügel sind genug gewühlt! Überall sind in den vergangenen Wochen massenhaft die vom Konzeptionskünstler Ottmar Hörl angefertigten Erdenreichbewohner aus Kunststoff aufgetaucht. Zugehörige Plakate zieren noch immer die Stadt: „Der Maulwurf“, das von Hans Holzbecher eigens fürs Renitenztheater inszenierte Kabaretttheaterstück, hat jetzt Premiere gefeiert.

 

Im kulturellen Untergrund kursiert ja dieses nicht auszumerzende Gerücht, manch blinder Kleinkunstkritiker verließe gewisse Vorstellungen schon in der Pause und mache sich schnurstracks auf den Heimweg. Das ist selbstredend totaler Quatsch. Man geht natürlich in die Kneipe. Um zu vergessen  . . . Ein Scherz, ein Scherz! Und überhaupt: Wer den Maulwurf zur Halbzeit verlässt, verpasst das Beste.

Leider enttäuscht die einleitende Hälfte. Marc (Jörg Pauly) und Willi (Frank Stöckle), zwei Redakteure der Zeitschrift „Fakt!“, sitzen am Schreibtisch, blicken ratlos auf den bühnenbreiten Computerbildschirm im Hintergrund und scrollen durch die Leserkommentare: „Gabriel ist so fett, der kriegt sicher 10% auf Tiernahrung *kotz*!“ Mit der Vorgesetzten Nadine (Michelle Brubach) diskutieren sie, ob das Satire sei oder wenigstens witzig oder ob man es direktemang entfernen könne. Das Löschen ist ihr Job.

Die Armee der Facebook-Kinder

In dieser Mediensatire von René Sydow und Daniel Hedfeld geht es thematisch um alles, was eine Zeitung beschäftigt. Sprich: alles. Die Handlung dient dabei zuvörderst dem Themenaufgriff. Der titelgebende Maulwurf der Redaktion ist ein unbekannter User namens „Fakt 42“, der Aphorismen ins Netz stellt wie: „Sich eine Meinung zu machen bedeutet, sich die Freiheit einer Entscheidung zu nehmen“. Warum derlei Kalendersprüche überhaupt ein ernsthaftes Problem darstellen, bleibt unklar. Sei’s drum: Als schließlich noch der Topjournalist und vermeintliche Henri-Nannen-Preisträger Dietrich (schön kokettierend: Holger Güttersberger) hinzustößt, verdächtigt bald jeder seinen Nächsten.

Während anfangs wohlfeiles, sich jeglicher Komplexität verwehrendes Gefasel ab und an von gitarrengestützten Liedchen unterbrochen wird, blitzt das Können des Autors, Kabarettisten und feinen Rhetorikers Sydow im zweiten Durchgang häufiger auf. Etwa wenn Stöckle in einem Solo vor die Menge tritt, um über Marc Zuckerberg, den „Cäsar von heute“, zu sprechen: Selbiger verteile zwar großzügige Spenden an Schulen, knüpfe diese jedoch an die Anschaffung von Computern mit spezieller Software, die „personalisiertes Lernen“ ermöglicht, freilich aber auch sämtliche Daten der Kinder sammelt. So könne der Facebook-Chef „Biografien lenken und sich eine Armee aufbauen“. Zudem folgt ein mutiges, vom Ensemble gemeinsam gesungenes Plädoyer für die Vernunft und gegen Religion, also gegen Religion an sich, nicht nur gegen die der anderen. Solche Momente sind kraft- und eindrucksvoll und witzig zugleich – wie Kabarett eben sein sollte. Nur leider machen sie sich vor allem zu Beginn, gleich dem selten anzutreffenden Maulwurf, rar.