Jürgen Neumann befördert seit 46 Jahren Kies, Kohle und Sand auf dem Neckar. Sein Frachtschiff „Wilhelm Hubele“ ist für ihn und seine Frau das zweite Zuhause. Ein Tag auf dem 100 Jahre alten Kahn.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Ein strahlend schöner Herbsttag am Ludwigsburger Neckarufer. Ein laues Lüftchen weht. Die letzten Blätter fallen von den Bäumen. Zwei Spaziergänger schlendern an diesem Montagmorgen auf dem holprigen Weg in Richtung Freibad Hoheneck. Der große Kran der Firma Hubele spiegelt sich auf der glatten Wasserfläche des grau-grünen Flusses.

 

Das Frachtschiff Wilhelm Hubele liegt seit dem Wochenende fest vertäut an der Anlegestelle in Neckarweihingen. Es wird gelöscht. Mit leisem Quietschen bewegt sich die mächtige Baggerschaufel hoch und runter, hoch und wieder runter. Die Zähne der Schaufel beißen alle paar Minuten in den Sand im Bauch des Schiffes und befördern diesen an Land.

11 Uhr: eigentlich sollten sich die rund 900 Tonnen Sand schon längst auf der Anlände der Firma Hubele türmen. Aber die Arbeit zieht sich in die Länge. Warum, weiß der Schiffsführer Jürgen Neumann auch nicht. Von solchen Kleinigkeiten lässt er sich aber schon lange nicht mehr aus der Ruhe bringen. Der Arbeits- und Fahrplan für die Woche steht. Und der Mann mit dem Wohlstandsbäuchle und dem herzhaften Lachen wird den Plan einhalten wie immer. „Gegen 18 Uhr sind wir in Kochendorf“, verspricht Jürgen Neumann. Am Mittwoch will er über den Rhein nach Fort Louis im Elsass tuckern, dort wieder 900 Tonnen Ladung bunkern und möglichst noch bis nach Mannheim zurückfahren. Am Freitagmittag soll das Schiff dann wieder in Hoheneck sein und sofort gelöscht werden. Zeit ist Geld. Die Firma Hubele braucht regelmäßig Sand und Kies für ihre Stammkunden.

Jürgen Neumann und seine Frau Uschi, beide 61, sitzen an diesem Vormittag in der rustikalen, holzvertäfelten Küche ihrer kleinen Schiffswohnung. Er trinkt einen Kaffee, streicht sich ein Wurstbrot. Der einzige Mitarbeiter an Bord ist der Matrose Radovan Riška, 41, aus der Slowakei. Er schrubbt wie närrisch das Deck.

Der Pott ist 105 Meter lang

Wilhelm Hubele, so hieß der ehemalige Firmeninhaber, so heißt das Ludwigsburger Unternehmen, das im Elsass eine eigene Kiesgrube betreibt und Neumanns Arbeitgeber ist, und so heißt auch der Lastkahn, Baujahr 1908, der mehrmals verlängert und erst in diesem Oktober in einer Werft in Holland generalüberholt worden ist. Die Wilhelm Hubele? Der Wilhelm Hubele? Oder das Wilhelm Hubele? „Das Wilhelm Hubele“, sagt Neumann, „das Schiff.“

Der Pott ist 105 Meter lang. Der riesige Deutz-Dieselmotor wurde 1961 eingebaut, er leistet rund 800 PS. Maximal 2000 Tonnen Kies, Sand oder Kohle kann das Schiff transportieren – wenn der Rhein genügend Wasser führt. Das tut der deutsch-französische Grenzfluss aber seit ein paar Monaten nicht mehr. „Wir brauchen unbedingt Regen“, sagt Neumann und guckt in den strahlend blauen Himmel. Weil die Pegel so niedrig sind, kann das Wilhelm Hubele derzeit nur knapp die Hälfte laden, andernfalls würde das Schiff auf Grund laufen.

Kurz vor 12. Die Reise beginnt. Die Ladefläche ist vorher mit 100 Tonnen Wasser geflutet worden, damit das Schiff wenigstens ein bisschen Tiefgang hat und nicht irgendwo ein Schleusentor streift. Neumann könnte jetzt Schrott in Stuttgart abholen und zu einem Stahlwerk in Frankreich fahren – aber das würde zu lange dauern, sagt er. Also wieder mal eine Leerfahrt, zunächst einen Kilometer gegen den Strom. Der Kahn muss wenden. Das geht nur vor der Schleuse Poppenweiler.

Maßarbeit in der Schleuse

Der Neckar bei Poppenweiler ist etwa 110 Meter breit. Neumann am Steuer und sein Matrose, der ihm vom Bug aus über Funk alle paar Sekunden den Abstand zum Ufer durchgibt, leisten Maßarbeit. „Das muss passen“, sagt der Schiffsführer, „sonst fliegen mir die Ruder weg.“ Im Nu ist das riesige Frachtschiff gedreht und tuckert schließlich mit 15 Kilometern in der Stunde flussabwärts, vorbei an dem verwaisten Freibad in Richtung Marbach.

„Talfahrt im Unterwasser Poppenweiler“, ruft Jürgen Neumann in den Telefonhörer, der über Funk mit allen anderen Schiffen auf dem Neckar verbunden ist. Sicher ist sicher. Fast alle Kähne verfügen zwar über ein GPS- und ein Radarsystem, aber die Technik könnte ja mal ausfallen. Jürgen Neumann thront in seiner Kabine. Seine Gattin kocht ihm eine deftige Kartoffelsuppe mit Würstchen. Der Matrose schrubbt immer noch das Schiff.

Schleuse Marbach. „Guten Morgen“, wünscht Neumann dem Schleusenwärter über Funk, „ich fahre gleich in den Kanal.“ Er drosselt das Tempo. In der Schleusenkammer beweisen Radovan und Jürgen – auf diesem Schiff sind alle per Du –, wie gut sie zusammenarbeiten. Alles passt. Das Einfahren und das Schleusen dauern kaum zwanzig Minuten. „Alles Roger“, sagt Jürgen Neumann und grinst.

Immer noch lacht die Sonne vom Himmel, und sie strahlt mit dem Käpt’n um die Wette. Neumann deutet auf die Uferlandschaft: „Das kannst du in keinem Reisebüro kaufen.“ Der Neckar sei der schönste Fluss Deutschlands. Das Wasser so sauber, dass er manchmal drin bade. Neumann fährt seit 46 Jahren auf Binnenschiffen. Aufgewachsen in Bad Friedrichshall, begleitete er schon als Bub seinen Vater, einen Neckarlotsen, zur Arbeit. Wo der Fluss am schönsten ist, könne er gar nicht sagen. „Alles hat seinen Reiz“, die Felsengärten bei Besigheim zum Beispiel, der Odenwald.

Nur selten kommt ein Schiff entgegen

Immer mehr Touristen entdeckten diese Schönheit. Neumann erzählt von den vielen Gästen auf den Campingplätzen am Neckar. Auch Holländer und Briten. Wenn er in einem Büro oder in einer Fabrik schaffen müsste, das wäre schlimm, sagt er. Am Ufer gondeln die Weinberge vorbei.

Nur selten kommt ein anderes Schiff entgegen. Früher, sagt Neumann, sei mehr los gewesen. Laut einer Auskunft des Wasser- und Schifffahrtsamts Stuttgart ist vor 15 Jahren deutlich mehr Schüttgut wie Kohle, Sand und Kies auf dem Neckar befördert worden: zehn Millionen Tonnen gegenüber zurzeit sieben Millionen. Die Menge der beförderten Containerfracht hingegen legt jährlich um fast zehn Prozent zu. Walter Braun, der Leiter des Amts, setzt darauf, dass die Schleusenkammern bald verlängert werden. Dann könnten auch längere Frachter auf dem Neckar fahren.

Das Wilhelm Hubele nimmt auch die nächsten Schleusen im Nu: Pleidelsheim, dann Hessigheim, Besigheim und Horkheim. Jürgen Neumann winkt dem Kapitän eines anderen Kahns zu. Er kennt jeden auf dem Neckar. Und er macht keinen Hehl daraus, dass er hier der Chef ist. Als ihm der Schleusenwärter in Kochendorf am Abend einen der schlechteren Plätze zum Anlegen zuweist, steuert er einfach seinen üblichen Lieblingsplatz an. Wär’ ja noch schöner.

Feierabend in Kochendorf

Neumann ist beim Hubele angestellt. Doch wer einen Tag mit ihm an Bord verbringt, könnte meinen, der Vater von zwei längst erwachsenen Töchtern arbeite als selbstständiger Unternehmer. Er plant die Etappen, fährt an manchen Tagen 14 Stunden lang fast nonstop, an anderen nur die Hälfte. Er hat immer ein Auto an Bord, das er abends nach der Arbeit auch mal an Land setzt – um seine Kumpels zu treffen.

Ein Griff zum Telefon. „Uschi, machst du bitte Cappuccino. Danke!“ Es wird dunkel und dann rasch stockfinster. Der Laie kann kaum mehr erkennen, wo das Schiff aufhört und wo das Ufer beginnt. Neumann aber hat noch seinen „inneren Radar“. An der Schleuse Kochendorf endet der Arbeitstag. Um 18.02 Uhr. Jürgen Neumann guckt sehr zufrieden: „So pünktlich ist nicht mal die Bahn.“