Er zeigt auf das Schwarze Tor, ein Teil der alten Stadtmauer. In der Ferne ganz links schiebt sich der Thyssen-Krupp-Riese ins Bild. Schon 170 Meter hoch, unübersehbar, alles überragend. „Was für ein Webfehler“, schimpft der Historiker und denkt in größeren Kategorien als Amtszeiten von Bürgermeistern und Gemeinderäten, die sich ein Wahrzeichen setzen wollten. Er ärgert sich über die Größe, die Maßlosigkeit des Projekts, das besser nach Frankfurt mit seinen Hochhäusern gepasst hätte. Er verteufelt den Flächenfraß der Stadt, der gestoppt werden müsse.

 

In einer der Gassen hat sich der Liebhaber alter Bausubstanz ein denkmalgeschütztes Haus saniert. So behutsam wie möglich, eine Sammlung Wagenräder steht im Flur, Gäste müssen einen Klingelzug mit Draht bedienen. Hecht ist ein Bewahrer, einer, der lieber zurückschaut als in die Zukunft und einer, der gerne referiert. Über

Guter Blick über die Wälder hinweg: die Aussicht von der deutschlandweit höchsten Panoramaplattform wird spektakulär sein. Foto: skystudio.eu

kunsthistorische Details etwa, wie das Relief am Haupteingang der Kapellenkirche, die fünf Minuten von seinem Zuhause entfernt ist. „Das Oktagon ist das Straßburger Münster – mit einem Turm bis in die Wolken“, erklärt Hecht. Die Rottweiler hätten sich im Mittelalter an dem Kirchenbau orientiert, die ambitionierte Architektur sei modellhaft für viele weitere Konstruktionen gewesen. Sie alle strebten in vorher unvorstellbare Höhen, die Planung war gewagt, die Berechnungsgrundlage oft mager.

Die Spitze schwankt einen halben Meter hin und her

Der Rottweiler Baueifer ist legendär. Genau daran wird angeknüpft, so sehen es die Verantwortlichen im Rathaus. Der Turm, entworfen von den Architekten Helmut Jahn und Werner Sobek, soll 2016 fertig sein. „Wir haben in ganz Deutschland lange nach dem richtigen Ort gesucht“, sagt Thyssen-Krupp-Projektkoordinator Peter Osterstock und zeigt in einem der Bürocontainer auf der Baustelle Illustrationen von Fahrstühlen der Zukunft. „Hier im Oberen Neckartal haben wir den idealen Platz gefunden.“ Nicht weit vom Flughafen, ganz in der Nähe des Forschungszentrums Pliezhausen und des Aufzugswerkes in Neuhausen auf den Fildern, wo der 50 Meter hohe Testturm schon lange nicht mehr ausreiche. Und genügend junge Ingenieure seien zwischen Stuttgart und Zürich auch zu finden. „Klar, dass sich nicht alle freuen, dass sie einen Turm vor die Nase gesetzt bekommen“, sagt Osterstock. Doch ein altes Bergwerk hätte es nicht getan, in der Tiefe fehle der Wind, denn der Turm werde an seiner Spitze zwischen 40 und 60 Zentimeter schwanken.

Der Oberbürgermeister macht Werbung für den Turm

Noch mal soll das den Rottweilern nicht passieren. In zwei Bürgerversammlungen hat die Stadt die Bedenken der Gegner aufgegriffen. Der parteilose Oberbürgermeister Ralf Broß trommelte nach Kräften für „ein neues Kapitel in der Bau- und Innovationsgeschichte“ seiner Stadt, die schon seit dem Mittelalter Türme errichtet und zu jeder Zeit Neues gewagt habe. Die höchsten Gebäude Rottweils sind auf einer Infotafel schematisch dargestellt, die sowohl draußen am Turm als auch im Stadtkern die Angst vor dem Neuen nehmen soll. „Tradition trifft Moderne“ steht da. Darüber kann Winfried Hecht, der ehemalige Stadtarchivar Rottweils, nur lachen. Ginge es nach ihm und der kleinen Truppe aktiver Mitstreiter, wäre alles anders gekommen.

Warum, das will der schwäbische Historiker auf einem Spaziergang erklären. Los geht es am Hochturm. Der steht auf einer Anhöhe und ist deshalb der höchst gelegene Punkt Rottweils, im 13. Jahrhundert wurde er als Gefängnisturm erbaut, heute nisten dort nur noch Krähen und Tauben. Winfried Hecht würde im Dunkeln hinauffinden, so oft war er schon oben, er weiß, wo Unerfahrene sich Beulen holen

„Da fehlt das Maß“, sagt Winfried Hecht, früherer Stadtarchivar von Rottweil, und sieht die denkmalgeschützte Silhouette in Gefahr. Foto: Heinz Heiss

und schätzt deren Staunen über die Aussicht. Es ist der beste Blick auf Stadt mit ihren roten Ziegeldächern. Rechts der spätgotische Kapellenturm, 70 Meter hoch, ein Zeigefinger Gottes, wie Hecht bemerkt. Hinter dessen Erbauung sei das mittelalterliche Rottweil geschlossen gestanden. „Die dachten, sie schaffen es bis zum Himmel“, erzählt der Historiker und hält sich am Geländer fest, der Wind bläst sacht an diesem Sommerabend. In den darauffolgenden Jahrhunderten mussten sie aber immer wieder pausieren. Mal ging das Geld aus, mal kam ein Krieg dazwischen, im Barock wurde ein modischer Zwiebelturm montiert, später kam wieder das ursprüngliche Zeltdach drauf. Bei den sakralen Bauten hätte es nie Proteste gegeben, genauso wenig wie bei den Bauten zur Verteidigung der früheren Reichsstadt, von denen leider nur wenige übrig geblieben seien, sagt Hecht.

Der Historiker Hecht hält das Projekt für maßlos

Er zeigt auf das Schwarze Tor, ein Teil der alten Stadtmauer. In der Ferne ganz links schiebt sich der Thyssen-Krupp-Riese ins Bild. Schon 170 Meter hoch, unübersehbar, alles überragend. „Was für ein Webfehler“, schimpft der Historiker und denkt in größeren Kategorien als Amtszeiten von Bürgermeistern und Gemeinderäten, die sich ein Wahrzeichen setzen wollten. Er ärgert sich über die Größe, die Maßlosigkeit des Projekts, das besser nach Frankfurt mit seinen Hochhäusern gepasst hätte. Er verteufelt den Flächenfraß der Stadt, der gestoppt werden müsse.

In einer der Gassen hat sich der Liebhaber alter Bausubstanz ein denkmalgeschütztes Haus saniert. So behutsam wie möglich, eine Sammlung Wagenräder steht im Flur, Gäste müssen einen Klingelzug mit Draht bedienen. Hecht ist ein Bewahrer, einer, der lieber zurückschaut als in die Zukunft und einer, der gerne referiert. Über

Guter Blick über die Wälder hinweg: die Aussicht von der deutschlandweit höchsten Panoramaplattform wird spektakulär sein. Foto: skystudio.eu

kunsthistorische Details etwa, wie das Relief am Haupteingang der Kapellenkirche, die fünf Minuten von seinem Zuhause entfernt ist. „Das Oktagon ist das Straßburger Münster – mit einem Turm bis in die Wolken“, erklärt Hecht. Die Rottweiler hätten sich im Mittelalter an dem Kirchenbau orientiert, die ambitionierte Architektur sei modellhaft für viele weitere Konstruktionen gewesen. Sie alle strebten in vorher unvorstellbare Höhen, die Planung war gewagt, die Berechnungsgrundlage oft mager.

Die Spitze schwankt einen halben Meter hin und her

Der Rottweiler Baueifer ist legendär. Genau daran wird angeknüpft, so sehen es die Verantwortlichen im Rathaus. Der Turm, entworfen von den Architekten Helmut Jahn und Werner Sobek, soll 2016 fertig sein. „Wir haben in ganz Deutschland lange nach dem richtigen Ort gesucht“, sagt Thyssen-Krupp-Projektkoordinator Peter Osterstock und zeigt in einem der Bürocontainer auf der Baustelle Illustrationen von Fahrstühlen der Zukunft. „Hier im Oberen Neckartal haben wir den idealen Platz gefunden.“ Nicht weit vom Flughafen, ganz in der Nähe des Forschungszentrums Pliezhausen und des Aufzugswerkes in Neuhausen auf den Fildern, wo der 50 Meter hohe Testturm schon lange nicht mehr ausreiche. Und genügend junge Ingenieure seien zwischen Stuttgart und Zürich auch zu finden. „Klar, dass sich nicht alle freuen, dass sie einen Turm vor die Nase gesetzt bekommen“, sagt Osterstock. Doch ein altes Bergwerk hätte es nicht getan, in der Tiefe fehle der Wind, denn der Turm werde an seiner Spitze zwischen 40 und 60 Zentimeter schwanken.

Immer höher wird gebaut, immer schneller müssen die Aufzüge sein, und Thyssen-Krupp, einer der ganz Großen in der Branche, will sich das globale Geschäft nicht entgehen lassen. Auf zehn Meter pro Sekunde bringen es die Lifte des Konzerns im One World Trade Center in New York, in Rottweil sollen sie bis zu 18 Meter pro Sekunde schaffen. „Wir können zwar beschleunigen, aber nicht abbremsen“, bedauert Osterstock – deshalb sei der Testturm mit seinen zwölf Schächten so wichtig. Dabei müsse die Fahrt noch angenehm sein für den menschlichen Körper, Druckausgleichssysteme werden deshalb gleich miterprobt.

Die Glasfaserhülle soll dezent beleuchtet werden

Auf den Fotos von Osterstock ist der Turm schon vollendet, umhüllt von einem netzförmigen Glasfasergewebe, das dezent beleuchtet werden soll. So sieht die Zukunft aus, die Gegenwart ist windig und

Auf der hydraulischen Arbeitsplattform wird im Drei-Schicht-Betrieb Beton gegossen. Foto: skystudio.eu

laut, auf 170 Meter Höhe legen Eisenflechter und Verschalungsbauer im Drei-Schicht-Betrieb Hand an, Tag und Nacht, bei Regen und Sonne. Ein Dixi-Klo erspart ihnen die fünf Minuten-Fahrten in die Röhre. Noch sind dort, wo später Highspeed-Lifte sausen werden, leere Schächte.

Die Arbeitsplattform schaukelt wie das Deck eines Schiffs bei leichtem Seegang. „Das sind wir gewöhnt, das macht uns nichts“, sagen zwei der Eisenflechter und müssen zur Seite treten, weil über ihnen der Kran einen Behälter mit Beton einschwenkt. Von der Aussicht haben sie nichts. Ein Bretterzaun schirmt sie von ihrer Umgebung ab, er soll sie vor Schwindel bewahren. Und fast könnten sie vergessen, wie sie sich täglich dem Himmel entgegenarbeiten, wäre da nicht das freigesägte Rechteck, das den Blick öffnet für die kleine Welt ganz unten.