Nun verbringt der Schwede Fioretos seit Langem große Teile des Jahres mit Frau und Kind in Berlin. Ist er nicht selbst ein ausländischer Vater? Die Frage entlockt ihm ein Lachen, dann ein paar Sätze, die scheinbar vom Thema wegleiten: Er habe lange Zeit die Züge der vorangegangenen Generation, die er an sich selbst beobachtet habe, nicht akzeptieren können. „Jetzt spüre ich mehr und mehr, wie ich buchstäblich zu meinen Eltern verkomme. Das ist übrigens ein herrliches Gefühl“, denn es vertiefe nicht nur das Verständnis der Eltern, sondern füge auch der Selbstbeobachtung etwas hinzu. Im „Letzten Griechen“ heißt es: „Menschen bestehen aus anderen Menschen.“

 

Vermutlich ist es kein Zufall, dass dieser Schriftsteller, der das instabile, interessante Leben zwischen unterschiedlichen Herkünften bedacht hat wie wenig andere, in seinen beiden jüngsten Büchern die Familie als Hort der Verlässlichkeit wie des Gedächtnisses zu imaginieren scheint. Er hält das für möglich – „ich schreibe vielleicht Verlässlichkeit hinzu; das sind natürlich kleine Übungen in Vergeblichkeit“ – , weiß aber, dass es sich bei diesem emotionalem Heimatboden um etwas Schwankendes handelt. Schließlich wird gerade in Familien „viel vergessen, verdrängt, entstellt“.

Ob gerade darum „Die halbe Sonne“ irgendwie anders ausgefallen ist als die Romane zuvor? „Meine Geschwister hätten sicherlich ein anderes Porträt unseres Vaters gezeichnet. Ich wollte eines machen, das multipel aussieht, aus verschiedenen Versatzstücken, die nicht immer harmonieren. Mir war es wichtig, im Buch nicht alles zu sagen und die Disharmonien, die durchaus existierten und mit prägend waren, indirekt wirken zu lassen. Die Verletzlichkeit meines Vaters hat sich oft über das, was er verschwieg, ohne es zu wissen, ausgedrückt. An diese Verletzlichkeit wollte ich herankommen, ohne sie zu deformieren.“ Dabei sei etwas „in der DNA der Sprache“ geschehen, sie sei „karger“ und „kahler“ geworden. „Dieses Buch wollte mit weniger Mitteln dasselbe erzeugen, was in den früheren Büchern mit viel mehr Wortgewalt geschaffen wurde. Vielleicht ist es eine Art minimalen Reichtums? In Zukunft, fürchte ich, wird die Fiktion, die Illusionskraft des Erzählens mit weniger Worten zurechtkommen müssen.“

Jetzt muss ein anderes Verhältnis zur Wirklichkeit her

Allerdings ist es mitnichten so, dass Aris Fioretos’ Vorgängerbücher naives Vertrauen auf die Illusionskraft des Erzählens atmeten. Immer hat dieser Autor – Übersetzer von Hölderlin, Nabokov und Derrida, Herausgeber der gesammelten Werke von Nelly Sachs – sich durch kluge Verbeugungen in alle Richtungen als Spieler im großen Spiel der Literatur positioniert. Aber jetzt „interessiert es mich nicht mehr, Literatur aus Literatur zu machen. Was würden wir denn von einem Gebet halten, dessen Gegenstand die Religion wäre?“ Jetzt „muss ein anderes Verhältnis zur Wirklichkeit her“. Man darf auf den nächsten Roman, an dem Fioretos zurzeit arbeitet, sehr gespannt sein.

Ist er nicht selbst ein ausländischer Vater?

Nun verbringt der Schwede Fioretos seit Langem große Teile des Jahres mit Frau und Kind in Berlin. Ist er nicht selbst ein ausländischer Vater? Die Frage entlockt ihm ein Lachen, dann ein paar Sätze, die scheinbar vom Thema wegleiten: Er habe lange Zeit die Züge der vorangegangenen Generation, die er an sich selbst beobachtet habe, nicht akzeptieren können. „Jetzt spüre ich mehr und mehr, wie ich buchstäblich zu meinen Eltern verkomme. Das ist übrigens ein herrliches Gefühl“, denn es vertiefe nicht nur das Verständnis der Eltern, sondern füge auch der Selbstbeobachtung etwas hinzu. Im „Letzten Griechen“ heißt es: „Menschen bestehen aus anderen Menschen.“

Vermutlich ist es kein Zufall, dass dieser Schriftsteller, der das instabile, interessante Leben zwischen unterschiedlichen Herkünften bedacht hat wie wenig andere, in seinen beiden jüngsten Büchern die Familie als Hort der Verlässlichkeit wie des Gedächtnisses zu imaginieren scheint. Er hält das für möglich – „ich schreibe vielleicht Verlässlichkeit hinzu; das sind natürlich kleine Übungen in Vergeblichkeit“ – , weiß aber, dass es sich bei diesem emotionalem Heimatboden um etwas Schwankendes handelt. Schließlich wird gerade in Familien „viel vergessen, verdrängt, entstellt“.

Ob gerade darum „Die halbe Sonne“ irgendwie anders ausgefallen ist als die Romane zuvor? „Meine Geschwister hätten sicherlich ein anderes Porträt unseres Vaters gezeichnet. Ich wollte eines machen, das multipel aussieht, aus verschiedenen Versatzstücken, die nicht immer harmonieren. Mir war es wichtig, im Buch nicht alles zu sagen und die Disharmonien, die durchaus existierten und mit prägend waren, indirekt wirken zu lassen. Die Verletzlichkeit meines Vaters hat sich oft über das, was er verschwieg, ohne es zu wissen, ausgedrückt. An diese Verletzlichkeit wollte ich herankommen, ohne sie zu deformieren.“ Dabei sei etwas „in der DNA der Sprache“ geschehen, sie sei „karger“ und „kahler“ geworden. „Dieses Buch wollte mit weniger Mitteln dasselbe erzeugen, was in den früheren Büchern mit viel mehr Wortgewalt geschaffen wurde. Vielleicht ist es eine Art minimalen Reichtums? In Zukunft, fürchte ich, wird die Fiktion, die Illusionskraft des Erzählens mit weniger Worten zurechtkommen müssen.“

Jetzt muss ein anderes Verhältnis zur Wirklichkeit her

Allerdings ist es mitnichten so, dass Aris Fioretos’ Vorgängerbücher naives Vertrauen auf die Illusionskraft des Erzählens atmeten. Immer hat dieser Autor – Übersetzer von Hölderlin, Nabokov und Derrida, Herausgeber der gesammelten Werke von Nelly Sachs – sich durch kluge Verbeugungen in alle Richtungen als Spieler im großen Spiel der Literatur positioniert. Aber jetzt „interessiert es mich nicht mehr, Literatur aus Literatur zu machen. Was würden wir denn von einem Gebet halten, dessen Gegenstand die Religion wäre?“ Jetzt „muss ein anderes Verhältnis zur Wirklichkeit her“. Man darf auf den nächsten Roman, an dem Fioretos zurzeit arbeitet, sehr gespannt sein.

Zumal man sich beim Aufsuchen der Wirklichkeit einen vorstellen muss, der sehr viel über Literatur nachgedacht hat und den an Romanen noch immer am meisten interessiert, wie sie die Möglichkeiten des Romans erkunden. Aber er bleibt dabei: „Beim Schreiben kann nur der erste Impuls zählen. Vertraust du deiner Intuition nicht, wird daraus nichts.“ Und wie hält man sich das kritische Nachdenken über das, was man da gerade tut, vom Leib? „Na, man kann sich doch austricksen. Wie machen Sie es denn, wenn Sie sich verlieben, aber dem Menschen, mit dem Sie zu tun haben, nicht ganz vertrauen?“

Schon wieder solche Sätze, die scheinbar vom Gegenstand weg und in Wahrheit an die hochentzündlichen Übergänge von Leben und Schreiben führen. Ablenkung zählt ohnedies nicht zu den Dingen, die Aris Fioretos schätzt. Deshalb lebt er auch genau da, wo überall was los ist und ihn keiner bei der Arbeit stört: „Berlin lässt dich in Ruhe. Die Stadt interessiert sich kein bisschen für dich. Wenn du willst, kannst du mit Schlafmütze auf die Straße gehen. Im besten Fall treten die Leute einen Schritt zur Seite.“