Der Ausschuss wühlt in der Vergangenheit, versucht aufzuarbeiten, Fehler und Schuldige zu finden, damit am Ende irgendetwas Gutes aus dem Desaster entstehen kann. Aber irgendwie erinnert das alles an die riesige Baustelle draußen vor der großen Stadt. Man buddelt und buddelt. Und irgendwo tauchen dann immer mal wieder die losen Enden irgendwelcher Kabel auf. Am Ende sitzt man da und fragt sich: Was machen wir nun damit? „Es gibt Tage“, sagt Martin Delius, „an denen rege ich mich richtig auf. Als Bürger.“

 

Der Flughafen, sagt Delius, sei so teuer, dass er alles betreffe, was in dieser Stadt sonst noch entschieden werde. Delius kümmert sich eigentlich um Bildungspolitik, er kennt sich aus mit verschimmelten Berliner Schulklos und damit, wie viel Lehrer, Sozialarbeiter, Ganztagsbetreuung und Schulessen die Kinder dieser Stadt brauchen könnten, wollte man ihnen eine wirklich gute Startbahn ins Leben bauen.

Und wenn Delius darüber nachdenkt, dann kann er sich in Rage reden. Über Basta-Manager wie Mehdorn. Über Bürgermeister und ihre Denkmäler. Und über Strukturfragen: „Dieses System ist idiotisch“, sagt Delius. „Es hängt völlig davon ab, wie verantwortungsbewusst Einzelne handeln.“

Die Eröffnung ist nach wie vor völlig in der Schwebe. Foto: dpa-Zentralbild

Delius ist Physiker, er denkt in Systemen. Und in diesem hier entdeckt er Ungeheuerliches. Denn: Die Art und Weise, wie in Deutschland Großprojekte geplant, gebaut und kontrolliert werden, hätte zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen können – je nachdem, welcher der Protagonisten wie agiert.

Seit eineinhalb Jahren allerdings ist er vor allem der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses BER. Seitdem besteht sein politisches Leben aus 2000 Aktenordnern a’ 500 Blatt, aus Gesetzestexten und aus Zeugenvernehmungen. Delius hat gelernt, was eine Brandschutzmatrix ist, er weiß, wie ein Vergabeverfahren für einen Generalplaner funktioniert, er kennt die Lärmschutzbestimmungen und die Strafprozessordnung.

Es gibt aber auch etwas, was er nicht versteht: Wie kann es sein, dass das wichtigste Infrastrukturprojekt der Republik einfach nicht zu bewältigen ist? Und vor allem: wieso kratzt das in dieser Stadt eigentlich niemanden?

Es ist Freitagmorgen, gleich wird der Untersuchungsausschuss tagen, erster Stock links, die Ei-Brötchen auf dem Büfettwagen sind schon wieder alle. Der Ausschuss tagt öffentlich. Im Zuschauerraum sitzt kein Mensch. Auf der Tagesordnung steht eine Zeugenvernehmung. Es tritt auf: ein Manager, Maßanzug, alerter Blick, raspelkurzes Haar. Freundlich antwortet der Mann, und was er erzählt, ist eine Kaskade von Ungeheuerlichkeiten.

Es gibt wenig, das den Untersuchungsausschuss überrascht

Von einem Projektsteuerer berichtet er, einer angesehenen Firma, die auf der Baustelle dafür verantwortlich war, dass nachher zusammen funktioniert, was von unterschiedlichen Unternehmen gebaut wird: „Er hätte jedes Teilpaket sichern müssen, Raumlufttechnik, Brandmeldeanlage, Lüftung“, sagt der Manager. „Das ist nicht passiert.“ Warum? „Weil das Angebot zu billig war, es gab zu wenig Personal.“ Was passierte dann? „Der Vertrag lief aus.“ Und dann? Verging Zeit. Und nichts wurde kontrolliert. Und keiner war verantwortlich. Und gleichzeitig wurde der Flughafen mitten im Bau laufend umgeplant, veränderte sich, wuchs, wurde teurer. Einiges sei, so sagt der Manager, „exorbitant schlecht gelaufen“. Eine Abgeordnete der Linkspartei fragt: „Hat das nicht irgendwann mal dazu geführt, dass Sie hätten sagen müssen, das klappt hier nicht?“ Der Manager sagt: „Es war ein fließender Prozess.“ Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses hören zu, mit unbewegten Mienen. Nach eineinhalb Jahren Fragen und Antworten gibt es wenig, was sie überraschen würde.

Von oben sieht der Flughafen schon fast fertig aus. Foto: dpa-Zentralbild

Sie wissen von der irren Idee, eine Brandschutzanlage von Hand zu betreiben, von Arbeiten, die ein halbes Jahr lang ohne Pläne ausgeführt wurden, von Bauteilen, die mittendrin einfach abgerissen wurden, weil sich das Konzept änderte, von Mängellisten mit mehr als 20 000 Positionen.

Während die Grünen den Manager noch ein bisschen befragen, twittert Delius ungeduldig: „Was glaubt Ihr noch herauszufinden/aufzudecken?“ Aber er meint gar nicht seine Kollegen, sondern den gerade neuesten Skandal seiner Piratenpartei.

Irgendwann gegen Mittag kommt ein Kamerateam des Regionalfernsehens in den Sitzungssaal. Die Journalisten wollen keine Details. Sie brauchen Delius vor der Kamera. Denn wieder mal hat Hartmut Mehdorn, Geschäftsführer der Flughafengesellschaft, an diesem Morgen irgendwas gesagt. So wie eigentlich immer, seit er vor einem Jahr den Job übernahm. Über Flugrouten. Oder die Idee, Tegel nicht zu schließen. Oder so wie an diesem Tag, über eine Eröffnung nicht vor 2016. „Der Mann geht mir auf die Nerven“, sagt Delius. „Er hält mich von der Arbeit ab.“ Was kann die Arbeit der Parlamentarier bringen?

Fehler und Schuldige

Der Ausschuss wühlt in der Vergangenheit, versucht aufzuarbeiten, Fehler und Schuldige zu finden, damit am Ende irgendetwas Gutes aus dem Desaster entstehen kann. Aber irgendwie erinnert das alles an die riesige Baustelle draußen vor der großen Stadt. Man buddelt und buddelt. Und irgendwo tauchen dann immer mal wieder die losen Enden irgendwelcher Kabel auf. Am Ende sitzt man da und fragt sich: Was machen wir nun damit? „Es gibt Tage“, sagt Martin Delius, „an denen rege ich mich richtig auf. Als Bürger.“

Der Flughafen, sagt Delius, sei so teuer, dass er alles betreffe, was in dieser Stadt sonst noch entschieden werde. Delius kümmert sich eigentlich um Bildungspolitik, er kennt sich aus mit verschimmelten Berliner Schulklos und damit, wie viel Lehrer, Sozialarbeiter, Ganztagsbetreuung und Schulessen die Kinder dieser Stadt brauchen könnten, wollte man ihnen eine wirklich gute Startbahn ins Leben bauen.

Und wenn Delius darüber nachdenkt, dann kann er sich in Rage reden. Über Basta-Manager wie Mehdorn. Über Bürgermeister und ihre Denkmäler. Und über Strukturfragen: „Dieses System ist idiotisch“, sagt Delius. „Es hängt völlig davon ab, wie verantwortungsbewusst Einzelne handeln.“

Die Eröffnung ist nach wie vor völlig in der Schwebe. Foto: dpa-Zentralbild

Delius ist Physiker, er denkt in Systemen. Und in diesem hier entdeckt er Ungeheuerliches. Denn: Die Art und Weise, wie in Deutschland Großprojekte geplant, gebaut und kontrolliert werden, hätte zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen können – je nachdem, welcher der Protagonisten wie agiert.

Wowereit hört weg

Es hätte also zum Beispiel genauso gut passieren können, dass der BER einfach im Juni 2012 eröffnet worden wäre. Hätte der verantwortliche Landrat im Kreis Dahme-Spree sich nicht märkisch-stur quer gestellt, hätte er einfach zugestimmt, dann würden heute die Flugzeuge fliegen. Das wäre denkbar gewesen. Es sind schon Flughäfen ohne funktionierenden Brandschutz in Betrieb gegangen. Andererseits hätte es genauso gut passieren können, dass dieser Flughafen nie gebaut worden wäre. „Wenn Wowereit das Ding nicht zur Chefsache gemacht hätte, gäbe es den BER vielleicht heute nicht“, sagt Delius. Man hätte einen anderen Standort gesucht, die Pläne umgeworfen, sich den Lärmschutzüberlegungen unterworfen.

Bloß: das alles interessiert niemanden. Ein paar Tage später tagt das Parlament. Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister, selbst ernannter spiritus rector des Flughafens, Ex – und inzwischen Wieder-Aufsichtsratschef, sitzt auf der Regierungsbank ganz vorne rechts. Wowereit schaut auf sein Buchenfurniertischchen, die Hände liegen platt ausgebreitet links und rechts neben ein paar Blatt Papier. Der Regierende hört weg.

Schluss mit dem Mehltaugefühl

Am Rednerpult steht Andreas Otto, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen, und begründet mit Emphase seinen Antrag für ein ganz neues Expertengremium, das nun mal endlich den Bau des Flughafens überwachen soll. Zwei Drittel der Plätze im Plenum sind leer.

Als Wowereits rot-rote Koalition Anfang des Jahrtausends antrat, da wollte sie Schluss machen, Schluss mit diesem Berliner Mehltaugefühl, Schluss mit einer teigigen Subventionsmentalität, mit dieser Mischung aus Großmannssucht und Schaffnwaschon. Delius sagt, es sei doch interessant, dass Wowereit inzwischen manchmal eine Argumentationsfigur verwende wie damals Klaus-Rüdiger Landowsky, Schlüsselfigur im Bankenskandal, der die Hauptstadt ruinierte. Landowsky nannte jeden einen „Antiberliner“, der die Bankenaffäre für schlimm hielt. „Und Wowereit wirft jetzt allen Kritikern vor, nur die Stadt schlecht zu reden.“

Viele Gipfeltreffen haben wenig Erfolg gebracht. Foto: dpa

Gegenüber vom Plenum liegt das Casino. Der Regierende macht gerade eine Pause, einen Tisch weiter sitzt Ole Kreins, verkehrspolitischer Sprecher in Wowereits SPD-Fraktion, Mitglied im Untersuchungsausschuss. Er ist im Stress, drei Rederunden an diesem Tag. Und jetzt noch Fragen zum Flughafen. „Bloß, weil die Journalisten eine Geschichte wollen.“ Dabei findet Kreins eigentlich alles gar nicht so schlimm. Ein Beispiel: „Alle berichten nur von den 22 000 Mängeln auf der Mängelliste. Dass nur 200 davon systemrelevant sind, will keiner wissen.“ Ein anderes Beispiel: „Die Medien behaupten, dass jeder Monat, in dem der Flughafen nicht in Betrieb geht, 17 Millionen kostet, manche behaupten sogar, es seien 35 Millionen. Dabei sind es eher sechs bis neun Millionen.“ Alles Polemik.

Wenn man Ole Kreins eine Weile zuhört, dann hat man irgendwann das Gefühl, er rede von einem Bus, der zehn Minuten Verspätung habe. „Faktisch“, sagt Ole Kreins, „berührt das Thema die wenigsten Menschen in der Stadt. Die Leute regen sich über jede Straßensperrung mehr auf als über diesen Flughafen.“

Berliner Wirklichkeit

Das ist eine sehr präzise Beschreibung der Berliner Wirklichkeit. Zum Flughafen gibt es alle paar Tage einen neuen Aufreger. Und die Stadt winkt müde ab. Die Verantwortlichen haben in den letzten knapp zwei Jahren Sätze gesagt, die einen fassungslos machen könnten – aber stattdessen fallen diese Ungeheuerlichkeiten lautlos wie Daunenfedern zu Boden.

Gerade zum Beispiel hat sich der Siemens-Chef Joe Kaeser zu Wort gemeldet – der Chef jener Firma, die mit der Brandschutzanlage zu tun hat, welche nicht funktioniert. Es sei doch völlig ausreichend, wenn der Flughafen in fünf bis zehn Jahren eröffne. Bloß keinen Stress. Und dieser Tage bekannte Mehdorn, der gerade ein Jahr im Amt ist, dass er immer noch nicht sagen kann, wann etwa „das Ding fliegt“: „Wir werden erst einen Termin nennen, wenn wir mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen können: Ja, das halten wir ein.“ Eindreiviertel Jahre nach der geplanten Eröffnung. Reaktion? „Er hat unser Vertrauen“, sagt Wowereit.

Der Untersuchungsausschuss zum Flughafen ist für diesen Freitag fertig mit seiner Sitzung. Zur anschließenden Pressekonferenz kommt kein Mensch. „Aber“, sagt Martin Delius. „Der Abschlussbericht wird spannend werden.“