Der Klassenverbleib stärkt die Position des VfB-Managers Robin Dutt. Jetzt will er den Club erneuern – und kritisiert zum Auftakt des Neuanfangs schonungslos die Fehler der vergangenen Jahre.

Stuttgart - Am Ende eines Samstagnachmittags, den kein VfB-Fan je vergessen wird, steht Robin Dutt in den engen Katakomben des Paderborner Stadions und sieht müde aus. Mitgenommen ist auch er, gezeichnet von den Qualen des monatelangen Abstiegskampfes, der in der ostwestfälischen Provinz ein glückliches Ende gefunden hat. Von erhöhtem Pulsschlag spricht der Stuttgarter Manager nach dem 2:1-Zittersieg, von gewaltiger Erleichterung und großem Stolz auf die Mannschaft. Doch sein Blick schweift immer wieder ab, hinauf zur Decke, wo ein Fernseher hängt.

 

Während Robin Dutt so redet, läuft dort die Zusammenfassung dieses Abstiegsendspiels zwischen dem VfB und Paderborn. Er sieht noch einmal, wie die Gastgeber ganz am Anfang in Führung gehen und Daniel Didavi den Ausgleich erzielt; er sieht die vielen vergebenen Chancen seiner Mannschaft und das erlösende Siegtor von Daniel Ginczek. Und dann sieht er sich selbst jubeln, er fällt dem Trainer Huub Stevens nach dem Schlusspfiff als Erster um den Hals – und in genau diesem Moment sagt Dutt: „Ich hätte dringend Urlaub nötig. Doch die Arbeit geht jetzt erst richtig los.“

Es wird eine andere, viel angenehmere Arbeit sein als die, die hinter ihm liegt, und jene, die ihm gedroht hätte, wäre der VfB abgestiegen. Das 2:1 in Paderborn hat alles verändert. Das gilt für die Spieler, die noch vor ein paar Wochen die großen Versager waren und am Samstagabend als Helden am Stuttgarter Flughafen empfangen werden. Und das gilt auch für Robin Dutt, der nicht länger fürchten muss, in die VfB-Geschichte als erster Manager seit 40 Jahren einzugehen, der den Club in die zweite Liga geführt hat.

Moderator des Abstiegskampfes

Er wäre nicht der Hauptschuldige gewesen, er trat seinen Dienst erst im Januar an, als das Schiff längst massiv Schlagseite hatte. Doch gehört es zu den unerbittlichen Gesetzmäßigkeiten des Fußballs, dass ein Abstieg trotzdem mit seinem Namen verbunden gewesen wäre. Gestärkt geht der Manager jetzt aus dem Stahlbad der letzten sechs Monate hervor.

Rückblick: an Skepsis und Vorbehalten fehlt es nicht, als sich der VfB um die Jahreswende entscheidet, Robin Dutt als neuen Sportchef zu engagieren, versehen mit Vorstandsposten und Vierjahresvertrag. Ein Trainer, der zuvor in Leverkusen und Bremen gescheitert war? Ein Mann, der seinen Job als DFB-Sportdirektor nach kürzester Zeit mit der Begründung hinwarf, lieber als Trainer arbeiten zu wollen? Ein ehemaliger Landesligaspieler, der noch nie als Clubmanager gearbeitet hat? Dutt spürt schnell, dass sich die Begeisterung über seine Verpflichtung in Grenzen hielt.

Trotzdem schlüpft er vom ersten Tag an in die Rolle, die ihm zugedacht ist: die des starken Mannes. Der Präsident Bernd Wahler, der das Vertrauen der Fans verspielt hat, zieht sich zurück und ist froh, seinem neuen Vorstandskollegen die Bühne überlassen zu können. Als Moderator des Abstiegskampfes versteht sich Dutt, übernimmt fast die komplette Öffentlichkeitsarbeit – und trifft Entscheidungen, die sich als richtig erweisen.

Er verpflichtet erstens in der Winterpause den Mittelfeldspieler Serey Dié, einen 30-jährigen Afrikaner mit Irokesenhaarschnitt, der in Basel ausgemustert wurde. Mit großer Skepsis wird auch er in Stuttgart empfangen – und erweist sich in den entscheidenden Spielen als wichtiger Stabilisator und furchtlose Führungskraft, als Glücksgriff also auf dem Transfermarkt. Genau übrigens wie Daniel Ginczek und Filip Kostic, die ein halbes Jahr vorher zum VfB gekommen sind, den VfB am Ende gerettet haben – und Dutts Vorgänger Fredi Bobic ein Stück weit rehabilitieren.

Zweitens hält Dutt an Huub Stevens fest, obwohl die Lage immer dramatischer wird und der Niederländer selbst die Vorlage zur sofortigen Trennung liefert. Er sei „ratlos“, sagt Stevens nach dem 1:2 in Hoffenheim – die Bankrotterklärung eines Fußballtrainers. Die Versuchung ist groß, die Entlassung eine ernsthafte Option, auch wenn Dutt später im verklärten Rückblick immer davon spricht, keine Sekunde an Stevens gezweifelt zu haben. Irgendwann tut er dies tatsächlich nicht mehr – und sorgt für Geschlossenheit innerhalb der Mannschaft und für Ruhe im Umfeld.

Drittens schließlich strahlt Dutt selbst genau diese Ruhe aus, die es nach Jahren der vielen Führungskrisen beim VfB lange nicht gegeben hat. Er vermittelt Zuversicht – auch dann noch, als nach dem 2:3 auf Schalke alles verloren scheint. Drei Spiele bleiben noch, alle müssen gewonnen werden. Wie man heute weiß, hätten auch sieben Punkte nicht genügt. „Bei allem Respekt“, sagt Dutt, es sei doch nicht zu viel verlangt, gegen Mainz, Hamburg und Paderborn Siege zu erwarten, man spiele schließlich nicht gegen Barcelona oder Chelsea.

Fredi Bobic kommt am Ende nicht gut weg

In den Pokalmodus wechselt Dutt in diesem Saisonendspurt und erklärt die letzten drei Spiele zum Viertelfinale, zum Halbfinale, zum Endspiel. Eine bestechende Idee, die einerseits dazu beiträgt, dass die Spieler, die zuvor fast zwei Jahre lang nicht zwei Spiele am Stück gewinnen konnten, an ihre Chance glauben. Andererseits versammelt sich das Publikum in lange nicht erlebter Geschlossenheit hinter der Mannschaft. Überschäumend ist die Begeisterung bei den Spielen gegen Mainz und Hamburg.

Der VfB gewinnt gegen Mainz, er besiegt auch Hamburg, obwohl der Gegner früh in Führung gegangen war. Und auch im alles entscheidenden Spiel in Paderborn lässt sich die Mannschaft von einem 0:1 nicht aus der Fassung bringen, spielt unbeirrt weiter und gewinnt völlig verdient. „Wir müssen dem Verein ein Kompliment machen“, sagt der Kapitän Christian Gentner nach dem Happy End, „die Ruhe und die klare Linie haben uns sehr geholfen.“ Dutt selbst, normalerweise kein Mann des ausgeprägten Understatements, zwingt sich in der Stunde der Genugtuung zur Bescheidenheit: „Ich habe den geringsten Anteil am Klassenverbleib“, sagt der Manager nach dem Sieg in Paderborn.

Zwei Tage später sitzt Robin Dutt zur Mittagszeit in den Katakomben des Stuttgarter Stadions, wieder trägt er ein dunkles Sakko, doch diesmal sieht er deutlich frischer aus als in Paderborn. Wieder gehört die Bühne ihm, jetzt ist er in noch stärkerer Position, auch wenn der Präsident das Eingangsstatement halten darf. Dutt ist es, der nun gnadenlos die Arbeit seiner Vorgänger kritisiert und gewissermaßen zur Generalabrechnung mit Fredi Bobic ausholt.

Eine „strukturierte Kaderplanung“ habe es nicht gegeben; die Zusammensetzung der Mannschaft lasse „kein System erkennen“; man habe „irgendwann vergessen, den eigenen Nachwuchs mitzunehmen“; die Vernetzung zwischen Profis, Scouting und Jugend sei „komplett verloren gegangen“, eine einheitliche Spielphilosophie „nicht vorhanden“; man habe, was die Verpflichtung neuer Trainer und Spieler betrifft, „nur in der Kurzfristigkeit gedacht“ und nun viele überflüssige Profis, für die es „keinen Markt“ gebe. Kurzum: „So kann sich bei einem Bundesligaverein kein Erfolg einstellen.“

Binnen weniger Minuten zerlegt Dutt die Vereinspolitik der vergangenen Jahre in seine Einzelteile – und bittet um Verständnis. Er wolle niemandem die Schuld geben, er nennt auch keine Namen. Er sehe sich nur „in der Pflicht“, in aller Deutlichkeit zu benennen, warum der VfB nun schon zum zweiten Mal hintereinander so kurz vor dem Abgrund stand.

So weit soll es nicht noch einmal kommen, dafür will Dutt sorgen. Unmittelbar nach der Rettung hat er sich darangemacht, die Runderneuerung des VfB einzuleiten. Ein umfangreiches Maßnahmenpaket trägt er jetzt vor und verkündet die Verpflichtung neuer Mitarbeiter in sämtlichen Bereichen. „Keine One-Man-Show“ werde es beim VfB mehr geben, künftig werde alles im Team entschieden. Dass dadurch nächstes Jahr alles besser wird, mag der Manager allerdings lieber nicht versprechen: „Wir sind noch einmal von der Schippe gesprungen“, sagt Robin Dutt, „das heißt aber nicht, dass wir die Intensivstation schon verlassen haben.“