Nachrichtenzentrale : Lukas Jenkner (loj)

Im Laufe des Jahres 2000 brachte Gurkaschs Ehefrau, die damals fernöstlich-spirituell unterwegs war, den Häftling ohne Perspektive, jemals in Freiheit zu leben, mit Yoga in Kontakt, genauer: mit den Fünf Tibetern, eine Abfolge von fünf Körperübungen. Was folgte, war für Dieter Gurkasch eine Art Offenbarung. Anfänglich noch skeptisch gegenüber der „Mädchengymnastik“, fühlte er sich jeden Tag ein bisschen besser, ruhiger und ausgeglichener. „Bei mir kamen spirituelle Prozesse in Gang“, erzählt er. Zum ersten Mal habe er die Kraft in sich gefühlt, sich dem wüsten Treiben seines früheren Lebens zu stellen – und wie ein kleines Kind zu heulen und zu trauern über das, was er mit seinem Hass angerichtet hatte. Gurkasch lernte eine wesentliche Lektion der Yoga-Philosophie: „Freiheit ist ein innerer Zustand“, sagt er.

 

Als drogensüchtiger Gangster bewaffnet nachts durch die Straßen zu streifen, habe damit nichts zu tun. Als er sich innerlich frei fühlte, war Gurkasch bereit, seinem Leben hinter den Gefängnismauern einen Sinn zu geben. Er begann eine Therapie, übernahm die Leitung der Gefängnisbücherei, gründete im Vollzug eine Yoga-Gruppe, engagierte sich in einem Verein, der Kultur in den Knast brachte – bis das Bundesverfassungsgericht am 4. Mai 2011 die Vorschriften der Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärte. Knapp sieben Monate später, am 30. November 2011, um 17 Uhr, öffnete sich für Dieter Gurkasch das Tor, das er jahrelang für immer verschlossen gewähnt hatte. Seine Habseligkeiten zog er auf einem Bollerwagen hinter sich her.

Heute, bald zwei Jahre später, gibt Yoga Dieter Gurkaschs Leben Struktur und Inhalt. Er steht jeden Morgen eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang auf und übt eineinhalb Stunden. Ansonsten ist er unterwegs und wirbt für seine Vision: Yoga und Meditation als niedrigschwelliges Therapieangebot im deutschen Strafvollzug zu verankern. „Yoga gibt Menschen positive Kraft. Erst, wenn du deine Schattenseiten annimmst, kannst du überhaupt damit beginnen, sie aufzulösen“, sagt Gurkasch. Heute ist er nicht nur Yogi, sondern auch gläubiger Christ. Lange Zeit habe er zu Inge D. gebetet, jener Frau, deren Leben er genommen hat. Heute hoffe er, dass einmal die Menschen, gegenüber denen er schuldig geworden sei, die Kraft aufbringen, ihm zu verzeihen. Egal, wie lange es dauert.