Das Spektrum von „extra 3“ liegt zwischen bissiger Subversion und zahnlosem Klamauk. Die Erdogan-Reaktion beschert der Satiresendung nun ungeahnte Aufmerksamkeit. Früher wurden die Macher häufiger mal zum Rundfunkrat zitiert.

Stuttgart - Die Hierarchen von öffentlich-rechtlichen Sendern haben bekanntlich viele Sorgen. Dass sie sich vor ihren Mitarbeitern fürchten, ist indes nicht bekannt. Ende der 1970er Jahre war das möglicherweise noch anders. „Die hatten mehr Angst vor uns als wir vor denen“, sagte kürzlich Wolf von Lojewski, der vor allem als Moderator der „Tagesthemen“ und des „Heute-Journals“ bekannt wurde. Gemünzt war die Äußerung auf seine Mitarbeit bei dem NDR-Magazin „Extra 3“. Von Lojewski gehörte zu den ersten Gesichtern der Sendung, die im September 1976, also fast genau vor vierzig Jahren, erstmals im NDR Fernsehen zu sehen war. Zu von Lojewskis Zeiten eine sehr anarchische Sendung und eher ein mit „Panorama“ vergleichbares Politmagazin – erst ab Anfang der 1990er Jahre wandelte sich „Extra 3“ zum Satireformat.

 

In den vergangenen Tagen erlangte das Magazin so viel Aufmerksamkeit wie noch nie in seiner Geschichte. Seitdem bekannt wurde, dass dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan ein kurzer satirischer „Extra 3“-Film über ihn derart missfallen hat, dass er den deutschen Botschafter in der Türkei einbestellt hat, ist die Zahl der Klicks für dieses Video allein bei YouTube auf 4,5 Millionen gestiegen. Der Wirbel um „Erdowie, Erdowo, Erdogan“, so der Titel der erstmals am 19. März ausgestrahlten Parodie eines Nena-Songs, sorgte zudem dafür, dass die aktuelle Sendung am vergangenen Mittwoch ihre bisher besten Zuschauerzahlen erreichte. 880 000 Menschen (Quote: 4,5 Prozent) schauten bundesweit zu, als die Redaktion Erdogan als „Mitarbeiter des Monats“ auszeichnete.

Es hagelte früher schon Beschwerden

„Extra 3“ war fast immer eine Spielwiese, auf der außergewöhnlich viel erlaubt war, hier probierten viele namhafte Journalisten Sachen aus, die sie sich später verkneifen mussten. Zu den Moderatoren gehörten in der Anfangsphase auch Dieter Kronzucker, der als Erfinder der Sendung gilt, und Rolf Seelmann-Eggebert, der heutige Adelsexperte der ARD. In den Nullerjahren präsentierte unter anderem Jörg Thadeusz die Sendung. Der derzeitige Moderator Christian Ehring macht diesen Job seit 2011. In dieser Phase gelang es dem Magazin, das jeden Mittwoch im NDR Fernsehen ausgestrahlt wird, einen monatlichen Sendeplatz für eine Extra-Ausgabe im Ersten zu ergattern. Am Donnerstag, den 14. April, ist „Extra 3“ dort wieder zu sehen.

Besonders eng verbunden mit der Geschichte von „Extra 3“ ist der Name Hans-Jürgen Börner, der die Sendung von 1989 bis 1997 leitete und moderierte. In dieser Phase brachte „Extra 3“ oft die katholische Kirche gegen sich auf, hohe Funktionäre beschwerten sich regelmäßig beim Rundfunkrat. Ein Beitrag über die Osterfeierlichkeiten im Vatikan, vom stets mit Fliege auftretenden Börner anmoderiert als Fortschreibung der „Tradition von Kirchenparodie im zeitgemäßen Stil“, konnte da schon mal unter dem Titel „The Comedy Club of Rome“ laufen. 1995 hieß ein Beitrag „Wenn Jesus heute gekreuzigt würde“ – mit dem 2013 verstorbenen Satiriker und Schriftsteller Horst Tomayer in der Rolle des Jesus. Später sagte Börner, es sei „Auszeichnung und Belastung zugleich” gewesen, dauernd „vor dem Rundfunkrat antanzen zu müssen“. In den 1990er Jahren liefen allerdings auch Beiträge, die sich am Privat-TV-Humor orientierten.

Höhepunkte mit Heinz Strunk

Das Spektrum bei „Extra 3“ liegt oft zwischen bissiger Subversion und zahnlosem Klamauk. Das Aufsehen in Sachen Erdogan täuscht etwas über die aktuellen Qualitätsschwankungen der Sendung hinweg. Die Reihe „Neulich im Bundestag“, in der Abgeordneten albern gesprochene Texte in den Mund gelegt werden, ist missratenes Teenager-Fernsehen, die regelmäßigen Auftritte des Schriftstellers Heinz Strunk, der gerade für den Literaturpreis der Leipziger Buchmesse nominiert war, gehören dagegen oft zu den Höhepunkten. Strunk firmiert bei „Extra 3“ als „Experte für alles“ und verhohnepipelt dabei oft den Jargon von Managern und Beratern („High Performer“).

Und es gab durchaus schon bessere Songparodien als „Erdowie, Erdowo, Erdogan“. 2013 etwa stichelten die NDR-Satiriker gegen die Flüchtlingspolitik des Hamburger Senats – und bedienten sich dabei an „Hamburg meine Perle“, einer heimattümelnden Hymne des in der Region beliebten Schlagersängers Lotto King Karl. Die Hauptfigur in dem Film ist Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, er ist dort ähnlich oft zu sehen wie Erdogan in dem aktuellem Video. Der Hamburger Regierungschef verhielt sich allerdings anders als der türkische: Den Gefallen, sich öffentlich zu dem Spottlied zu äußern, tat Scholz dem NDR nicht.