Auch im Opernhaus, das von der Zerstörung verschont geblieben war, versuchte man mit Akribie, die höfischen Spuren zu tilgen. Die Königsloge wurde kaschiert, die Verzierungen des Littmann-Baus aus dem Jahr 1905 kunstvoll geglättet und übertüncht; sie kamen erst bei der Restaurierung in den achtziger Jahren wieder zum Vorschein und wurden wiederhergestellt. 1953 meldete Stuttgart "Wir sind trümmerfrei!" - als erste deutsche Großstadt. Eugen Mertz war schon ein Jahr zuvor überraschend gestorben.

Die ersten Planer waren keine Visionäre


Wer heute mit leichter Hand die Planungsfehler und die Abrisssünden der damaligen Stadtväter anprangert, der vergisst leicht, worum es in diesen Aufbaujahren tatsächlich ging: um Wohnungen und noch mal Wohnungen! Sodann um Schulen und Krankenhäuser, um Gewerbe und Industrie. Und um den Verkehr auf Straße und Schiene, schließlich auch auf dem Neckar. Das tägliche Tempo war atemberaubend, das heute oft nostalgisch verbrämte Wirtschaftswunder - es hat wirklich stattgefunden. Die Vorstellung aber, das alles hätte zwingend ohne jeden Irrtum, ohne jede Fehlinvestition oder ohne die später notwendigen Korrekturen vonstattengehen müssen - eine unrealistische Forderung. Die ersten Planer der Nachkriegszeit hatten zwar, wie Eugen Mertz, Visionen - aber Visionäre waren sie nicht.

Wer den Stuttgarter Städtebau der fünfziger und sechziger Jahre fair betrachtet und bewertet, der erkennt sofort, es gab sowohl Haarsträubendes als auch Großartiges. Es gab den unverzeihlichen Abriss des jüdischen Kaufhauses Schocken von Mendelssohn an der Eberhardstraße, und es gab den genialen Bau des Fernsehturmes von Fritz Leonhardt oder die großartige neue Liederhalle von Rolf Gutbrod. Es gab die rüde Beseitigung des alten Steinhauses an der Stiftskirche - für eine Handvoll Parkplätze, und es gab das restlose Abtragen jener alten Kaserne hinter dem Neuen Schloss, in der einst die Hohe Karlsschule gesessen hatte. Es gab frühzeitig die kluge Verlagerung des Campus in den Vaihinger Pfaffenwald und es gab die mehr oder minder geglückten Versuche, neue Wohngebiete in den Außenbezirken anzusiedeln.

Apropos Neues Schloss. Nicht alles, was die neue demokratische Obrigkeit seinerzeit im Schilde führte, konnte sie ohne öffentliche Debatte und teilweise massive Proteste in die Tat umsetzen. Als das Neue Schloss, bis auf die Außenmauern niedergebrannt, vollends abgerissen werden sollte, wuchs der Widerstand der Bürger zum Orkan. Die Stuttgarter Zeitung darf heute mit Fug und Recht von sich behaupten, maßgeblich zum Kompromiss beigetragen zu haben: das Schloss wurde außen rekonstruiert, innen teilweise mit dem alten Glanz versehen, dazu zog man praktische Bürogeschosse ein.