Michael Mohs ist seit vielen Jahren niedergelassener Psychoanalytiker. Wir sitzen in seiner Praxis, die er im Keller seines Hauses im bayerischen Elchingen eingerichtet hat. Zwei Ledersessel stehen im Raum, Bücherregale, ein Schreibtisch und eine Couch, auf deren Fußende eine durchsichtige Plastikunterlage liegt. Von der Couch aus schaut man auf einen von grün bewachsenen Betonwänden eingefassten Innenhof, in dessen Mitte ein kleiner knorriger Laubbaum steht. In der Stille dieses Raumes kann man in die eigene Seele hinabtauchen, längst vergangene Erinnerungen wiedererwecken und daran arbeiten.

 

So geht es auch Michael Mohs an diesem Vormittag. Er, der sonst zuhört in diesem Zimmer, spricht nun selbst stundenlang über sich, seine Jugend als aufmüpfiger Gymnasiast in Ulm, seine Studentenzeit in den sechziger Jahren in Berlin, er erzählt von Ulrike Meinhof und der Springer-Presse, von Demonstrationen, Gewalt und Angst. Und von dem Trauerzug für Benno Ohnesorg durch die DDR, den er seinerzeit mit den Ost-Berliner Behörden aushandelte. „Ich hatte all das schon längst vergessen. Und nun“, sagt er und wedelt mit den Blättern in seiner Hand, „taucht die alte Zeit plötzlich wieder auf.“

Proteste gegen das Establishment

Der Trauerzug durch die DDR, „das war meine Idee“, erinnert sich Mohs. „Wir saßen damals beim AStA zusammen und überlegten, mit welchen Aktionen wir auf den Tod Ohnesorgs reagieren sollen.“

Es war der 3. Juni, der Tag nach dem tödlichen Schuss. Polizeiwagen hatten die FU in Dahlem umstellt, niemand kam hinein. Auf dem Campus patrouillierten Uniformierte der US-Militärpolizei mit umgehängter Maschinenpistole. Irgendwie war es Mohs und anderen Aktivisten vom AStA aber doch gelungen, in ihr Büro in der FU vorzudringen. „Wir saßen abwechselnd auf dem Dach, um das Militär unten im Blick zu behalten“, erzählt er. „Das war wie im Krieg.“

Mohs war 1966 nach Berlin gekommen, aus Ulm. Dort hatte er sein Abitur gemacht, an einem humanistischem Gymnasium, „das tendenziell monarchistisch organisiert war“, wie er sagt. Schon damals lehnte er sich gegen den autoritären Stil in seiner Schule auf, er organisierte mit Freunden religiöse und politische Arbeitskreise, gab eine Schülerzeitung heraus.

„Es war wie im Krieg.“

Michael Mohs ist seit vielen Jahren niedergelassener Psychoanalytiker. Wir sitzen in seiner Praxis, die er im Keller seines Hauses im bayerischen Elchingen eingerichtet hat. Zwei Ledersessel stehen im Raum, Bücherregale, ein Schreibtisch und eine Couch, auf deren Fußende eine durchsichtige Plastikunterlage liegt. Von der Couch aus schaut man auf einen von grün bewachsenen Betonwänden eingefassten Innenhof, in dessen Mitte ein kleiner knorriger Laubbaum steht. In der Stille dieses Raumes kann man in die eigene Seele hinabtauchen, längst vergangene Erinnerungen wiedererwecken und daran arbeiten.

So geht es auch Michael Mohs an diesem Vormittag. Er, der sonst zuhört in diesem Zimmer, spricht nun selbst stundenlang über sich, seine Jugend als aufmüpfiger Gymnasiast in Ulm, seine Studentenzeit in den sechziger Jahren in Berlin, er erzählt von Ulrike Meinhof und der Springer-Presse, von Demonstrationen, Gewalt und Angst. Und von dem Trauerzug für Benno Ohnesorg durch die DDR, den er seinerzeit mit den Ost-Berliner Behörden aushandelte. „Ich hatte all das schon längst vergessen. Und nun“, sagt er und wedelt mit den Blättern in seiner Hand, „taucht die alte Zeit plötzlich wieder auf.“

Proteste gegen das Establishment

Der Trauerzug durch die DDR, „das war meine Idee“, erinnert sich Mohs. „Wir saßen damals beim AStA zusammen und überlegten, mit welchen Aktionen wir auf den Tod Ohnesorgs reagieren sollen.“

Es war der 3. Juni, der Tag nach dem tödlichen Schuss. Polizeiwagen hatten die FU in Dahlem umstellt, niemand kam hinein. Auf dem Campus patrouillierten Uniformierte der US-Militärpolizei mit umgehängter Maschinenpistole. Irgendwie war es Mohs und anderen Aktivisten vom AStA aber doch gelungen, in ihr Büro in der FU vorzudringen. „Wir saßen abwechselnd auf dem Dach, um das Militär unten im Blick zu behalten“, erzählt er. „Das war wie im Krieg.“

Mohs war 1966 nach Berlin gekommen, aus Ulm. Dort hatte er sein Abitur gemacht, an einem humanistischem Gymnasium, „das tendenziell monarchistisch organisiert war“, wie er sagt. Schon damals lehnte er sich gegen den autoritären Stil in seiner Schule auf, er organisierte mit Freunden religiöse und politische Arbeitskreise, gab eine Schülerzeitung heraus.

An der Freien Universität in Berlin schrieb sich Mohs am Psychologischen Institut ein. Sehr engagiert trieb er dort die Reform der Studienordnung voran. Im AstA aber sei er, wie Mohs heute erzählt, nicht sehr angesehen gewesen. „Was vor allem daran lag, dass ich einen Sportwagen fuhr, einen Triumph Spitfire. Und das ging ja eigentlich gar nicht als linker Student.“

Architektur wie bei Kafka

Es hätten dann auch erstmal alle gespottet, als er mit seiner Idee eines Trauerzuges durch die DDR kam. „Ich solle doch mit meiner Spitfire mal rüber fahren, dann werde ich schon sehen, wie weit ich komme, sagten einige.“ Aber Mohs ließ sich nicht beirren. Am 5. Juni 1967, drei Tage nach Ohnesorgs Tod, gingen er und ein zweiter Student vom AStA zum Grenzübergang an der Heinrich-Heine-Straße. „Man erwartete uns offenbar schon. Zwei Männer fuhren mit uns in einem Wartburg quer durch Ost-Berlin, in die Normannenstraße.“

Dass dort die Stasi-Zentrale lag, habe er nicht gewusst, sagt Mohs. Er sei davon ausgegangen, im Innenministerium zu sein. „Ich weiß noch, dass es ein riesengroßer grauer Gebäudekomplex war. Wir wurden über unzählige Treppen geführt, um Ecken herum und durch lange Gänge. Eine gruselige, Angst machende Architektur, als habe Kafka dieses Gebäude entworfen.“ In einem Raum seien sie dann auf vier Männer gestoßen, drei Deutsche, ein Russe. „Ich hab gesagt, das und das wollen wir und ganz wichtig: Keine Kontrollen bei Ein- und Ausreise.“ Die DDR-Leute seien sehr abweisend gewesen, erinnert sich Mohs, vor allem der Verzicht auf die Passkontrolle, das ginge ja nun wirklich nicht. „Dem Russen dagegen waren wir sympathisch, der hat uns unterstützt. Hier gehe es um Politik, sagte er zu seinen deutschen Kollegen, nicht um irgendwelche Formalien.“

Tatsächlich kam der Trauerzug quer durch die DDR zustande. Am Nachmittag des 8. Juni 1967, gegen 17.45 Uhr, öffnete die DDR ihren Grenzübergang Drewitz und ließ den Leichenwagen und die rund 200 Pkw, in denen sich an die 800 Studenten auf den Weg zu Ohnesorgs Beerdigung in Hannover machten, passieren. Das gleiche Bild in Marienborn – auch hier ging der Schlagbaum hoch, als sich der Konvoi näherte. „Alles ohne Kontrolle. Wir brauchten auch nicht die übliche Transitgebühr von 10 DM entrichten. Selbst am späten Abend, als nach und nach die Wagen mit den Trauergästen aus Hannover über die Transitstrecke zurückfuhren, winkten die DDR-Grenzer alle Autos mit schwarzen Fahnen einfach durch.“

Enttäuschte Hoffnungen

Am Kontrollpunkt in Drewitz übergab eine Delegation der DDR-Grenztruppen ein Blumengebinde an die AStA-Organisatoren. Eine Motorradeskorte der Volkspolizei begleitete den Trauerzug. Die gesamte DDR-Autobahn nach Marienborn war gesäumt von FDJlern, die die mit schwarzen Trauerbändern geschmückten blauen Fahnen der Jugendorganisation senkten, als der Konvoi vorbeifuhr.

Michael Mohs kann es heute noch kaum fassen, was sie damals geschafft hatten. „Es war das erste und das letzte Mal, dass die DDR ihr Hoheitsrecht aufgegeben hat, welches sie sonst so widerlich streng an ihren Grenzen auslebte“, sagt er. Für ihn selbst sei daher die Aktion auch mehr gewesen als nur eine politische Demonstration gegen die Gewalt der West-Berliner Polizei. „Es war für mich auch ein Versuch, die Spaltung zwischen Ost und West aufzuheben und zu zeigen, seht her, wir könnten ohne Grenzen leben.“

Sollte Mohs damals ernsthaft auf eine friedenstiftende Botschaft des Ohnesorg-Konvois gehofft haben, so wurde er schnell enttäuscht. Die SED nutzte die Aktion für Propaganda gegen den „Notstandsterror der West-Berliner Polizei“. Und im Westen wurde die DDR-Hilfe für den Trauerzug als Beweis dafür gewertet, dass die Studentenbewegung nichts anderes sei als die 4. Kolonne der Kommunisten.

Bürgerliches Leben danach

1972 beendete Mohs sein Psychologiestudium in Berlin und kehrte zurück nach Ulm. Er baute Rehabilitationseinrichtungen und Wohngemeinschaften in Baden-Württemberg für psychisch Kranke auf. Er ging in die Kommunalpolitik, setzte unter anderem die Einrichtung unabhängiger Kinderläden durch, wie er sie aus Berlin kannte. Zweimal trat er der SPD bei, zweimal verließ er die Partei wieder, enttäuscht. Bis heute betreibt Mohs seine kleine Praxis in Elchingen und leitet in Ulm ein Ausbildungsinstitut für künftige Psychotherapeuten.

Ob er noch Fotos von damals habe, aus Berlin? „Weiß ich gar nicht“, sagt der 74-Jährige und lacht leise. Auf einem Buchumschlag sei aber einmal ein Foto gewesen, von einer Demonstration vor dem Amerika-Haus. „Da bin ich drauf“, sagt er, „ganz am Rand.“