25 Jahre nach dem Mauerfall fährt der StZ-Reporter Martin Tschepe mit dem Fahrrad die ehemalige deutsch-deutsche Grenze entlang. Am Mittwochabend ist er in Bad Königshofen in Bayern angekommen. Vorher hat er Point Alpha besucht, die einst wohl wichtigste US-Beobachtungsstation in Hessen.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Bad Königshofen - Der Tag bei Schmuddelwetter war super interessant – und anstrengend, man sollte die Berge in der Rhön nicht unterschätzen. Start am Morgen in Vacha in Thüringen. Vorbei an einem bunt bemalten Häuschen, auf dem „in Freiheit“ steht, und an einem riesigen Kaliwerk – und weiter, gleich super steil bergauf, zu Point Alpha, dem einst wohl wichtigsten US-Horchposten in Hessen, direkt an der alten Grenze zur DDR. Ein Mahnmahl erinnert an die Toten an der Grenze.

 

„Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“, ist auf dem Monument zu lesen, Willy Brandts legendärer Spruch vom 10. November 1989. Eine bundesdeutsche Fahne flattert im Wind.

Gleich nebenan können die Besucher den einstigen Horchposten besuchen. Ein Wachturm der US-Streitkräfte, amerikanische Panzer, eine US-Flagge in luftiger Höhe. Ein übergroßes Poster zeigt Helmut Kohl, Michael Gorbatschow und George Buch senior, wie sie 2005 mit dem Point-Alpha-Preis in Point Alpha ausgezeichnet werden. Für die Klasse einer Gießener Fachoberschule ist das alles Geschichtsunterricht zum Anfassen. Die jungen Leute sind noch keine zwanzig, für sie ist der Mauerfall so weit weg wie für Vierzig-, Fünfzigjährige die Kuba-Krise. Sie seien sehr interessiert, sagt die Lehrerin, die die Klasse begleitet, und die aus Ludwigsburg stammt.

Früherer US-Major: „Es war immer total langweilig“

Ein Mitarbeiter des Info-Zentrums erklärt, dass Point Alpha einst super wichtig gewesen sei für den Westen – kein anderer Landzipfel habe so weit in das Herrschaftsgebiet des Warschauer Pakts hinein gereicht. Die östlichen und die westlichen Soldaten hätten sich von den nur wenigen hundert Meter entfernten Wachtürmen ständig mit Fernrohren beobachtet. Die Amerikaner seien sich während des Kalten Kriegs sicher gewesen: wenn die Russen und ihre Verbündeten angreifen, „dann passiert das genau hier“.

Am Kassenhäuschen bezahlt ein Mann den Eintritt für jenes Areal, das er wie seine Westentasche kennen dürfte. Er sei US-Major gewesen und habe von 1988 bis 1991 in Point Alpha gedient, erzählt der Ex-Soldat aus Ohio. Er wolle seiner Frau zeigen, wo er einst im Einsatz gewesen ist – genau 25 Jahre nach dem Fall der Mauer. Welche Erinnerungen hat er an die Jahre direkt am Eisernen Vorhang? Der Mann lacht und sagt: „Es war immer total langweilig“ – bis 1989. Dass er dabei war in Deutschland, als die Mauer fiel, das sei „die unglaublichste Erfahrung gewesen“, die er je gemacht habe. Wenn er an all die „glücklichen Gesichter“ der Männer, Frauen und Kinder aus der damaligen DDR denke, als diese erstmals über die Grenze durften und auch noch 100 D-Mark beschenkt bekamen, dann sei er immer noch dankbar, dass er das miterlebt hat – und all die Langeweile ist vergessen. Findet er gut, dass Deutschland vereinigt ist? „Of course“ – na klar.

Weiter zum „Haus an der Grenze“, in dem Geschichte lebendig wird – und die Gäste Trabi-Modellautos kaufen können. Und dann mitten hinein in die Rhön. Über Tonn, Hilders nach Fladungen. Von Hessen nach Thüringen, nach Bayern – innerhalb von nur ganz wenigen Kilometern. In Fladungen könnte man das Rhönmuseum besichtigen. Viele Ortschaften empfangen die Besucher mit dem Schild „Die Rhön – UNESCO-Biosphärenreservat“.

Vom Zonenrandgebiet zum Besuchermagnet

Vorbei am angeblich nördlichsten Gasthaus Bayerns „Zur Waimarschmiede“ im Ort Waimarschmiede. Etwas später rechter Hand ein alter DDR-Wachturm und gleich daneben ein riesiges Friedenskreuz. Dann kurz zum Skulpturenpark „Deutsche Einheit“ direkt auf dem Grenzstreifen von Thüringen und Bayern. In Berkach ein jüdischer Friedhof, bei Behrungen das Deutsch-Deutsche Freilandmuseum. In Haberstadt ein Wachturm. Dann ist die Etappe geschafft. Ankunft in Bad Königshofen im Grabfeld. Endlich.

Das Hotel Schlundhaus direkt am Marktplatz ist ein wahrer Geheimtipp. Ich wäre niemals in dem uralten Gebäude mit den einzigartig ausgestatteten Zimmer gelandet, wenn ich nicht den Grenzweg in Angriff genommen hätte. Ein wahrer Glücksgriff ist das Schlundhaus mit dem Dachzimmer, das flugs zur Schreibstube umfunktioniert wird. Jetzt gibt’s erstmal ein Weißbier. Prost Bayern, du schönes Land. Der Wirt, der das Schlundhaus seit 38 Jahren betreibt, erzählt, dass er enorm von der Vereinigung profitiert habe. „Früher waren wir doch im Zonenrandgebiet.“ Heute kämen die Gäste aus allen Himmelsrichtungen.

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