Der Ökonom Manuel Slupina (35) vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung erklärt die Unterschiede in der Entwicklung Ostdeutschlands. Die Städte haben Vorteile, die Jugend aber verlässt die tiefe Provinz.

Herr Slupina, welche Regionen prosperieren im Osten?
Die Großstädte entwickeln sich gut, sie sind Wachstumsinseln. Das gilt insbesondere für Dresden und Leipzig, wo viele Jobs entstanden sind, ebenso wie für die thüringische Städtekette Erfurt, Weimar und Jena. Die Bevölkerung wächst auch wieder in Magdeburg, aber auch in Rostock im Norden. Natürlich boomt Berlin und sein Umfeld. Alles, was 40 Kilometer um die Hauptstadt liegt, profitiert von deren Anziehungskraft. Die Großstädte durchlitten in den 90ern schwierige Zeiten, sie haben die Trendwende geschafft.
Wo sind die Verlierer?
Manuel Slupina Foto: StZ
Nicht alle Regionen und Städte profitieren gleichermaßen. Der ländliche, periphere Raum hat Schwierigkeiten. Ein Grund liegt darin, dass junge Leute wegen des steigenden Bildungsniveaus in die Städte ziehen. Nach dem Abitur landen sie in einer Hochschul- oder Universitätsstadt. Später werden sie einen Job suchen, der ihrer Qualifikation entspricht. Den finden sie leichter in einer Stadt mit mehreren Hunderttausend Einwohnern. Leute zwischen 18 und 24 – wir nennen sie Bildungswanderer – suchen sich im Osten allenfalls zehn Zielorte und gehen meist nicht zurück in die ländliche Heimat. Städte, die früher von der Schwerindustrie oder dem Bergbau lebten, haben auch Probleme. Das gilt ebenso aber auch fürs Ruhrgebiet oder das Saarland.
Haben die neuen Länder auch Vorteile?
Bei den Pisa-Vergleichsstudien haben die Schüler aus dem Osten in Mathe und den Naturwissenschaften gut abgeschnitten, da belegten die ostdeutschen Länder die vorderen Plätze. Das ist eine Stärke. Ein zweiter Vorteil ist die traditionell hohe Erwerbstätigkeit der Frauen. In Sachsen liegt der Anteil der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen bei fast 60 Prozent, in Nordrhein-Westfalen bei 47 Prozent. Drittens hat der Osten Berlin, das sich zur attraktiven Großstadt entwickelt hat, zum Forschungsstandort mit Start-ups, Gründungen im IT-Bereich. Berlin wird ein Motor sein, es hat große Strahlkraft nach Brandenburg hinein.
In Thüringen ist die Arbeitslosigkeit geringer als in NRW. Braucht der Osten noch eine Förderung?
Man sollte nicht trennen zwischen Ost und West, sondern zwischen Regionen mit Dynamik und jenen, die von der Entwicklung abgehängt sind. Die brauchen eine Förderung, aber die gibt es auch in Nordhessen oder dem Nordrand von Bayern sowie in den Städten, deren Industrie abgewandert ist.
Warum liegt das Ost-Durchschnittseinkommen noch bei drei Viertel des Westens?
Die Produktivität in den neuen Ländern hinkt der in den alten hinterher. Das gestattet es den Unternehmen dort nicht, höhere Löhne zu zahlen. Im Osten fehlen Großunternehmen, wie wir sie im Westen haben. Die Struktur wird bestimmt von kleinen und mittelständischen Unternehmen, die bei der Lohnentwicklung nicht mithalten können.