Ist es nicht besser unglücklich zu sein? Wer mit einer gehörigen Portion Pessimismus und Realismus durchs Leben geht, den werden Rückschläge nicht so schnell umhauen. Eine Anleitung zum Unglücklichsein in 10 Schritten.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Alle reden derzeit von kommendem Unglück, von Pessimismus und vom Niedergang. Steigende Preise, Krisen, Konflikte, Klimawandel, Rechtsruck: All diese Themen werden den Deutschen auch in diesem Jahr unter den Nägeln brennen.

 

Deutschland, einig Pessimisten-Land

Die Mehrheit der Deutschen blickt durchaus skeptisch und sorgenvoll auf das Jahr 2024, wie eine aktuelle Umfrage der Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen zeigt. "Die Angst und die Unsicherheit der Menschen sind sehr ausgeprägt", sagt Ulrich Reinhardt, Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen, dem NDR.

Sechs von zehn Befragten würden deshalb skeptisch auf das kommende Jahr blicken – je älter, desto sorgenvoller. Auch die Angst vor einem wirtschaftlichen Abschwung sei groß. Nur noch jeder vierte Bürger meint, Deutschland stehe Ende des Jahres wirtschaftlich besser da als momentan.

Trübe Stimmung auch in der deutschen Wirtschaft: Viele große Branchen blicken mit Pessimismus auf die kommenden zwölf Monate. „Es ist selten, dass wir zwei Jahre hintereinander so eine schwache Dynamik sehen", betont Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). "Auf ein Jahr mit schlechten Aussichten folgt ein weiteres schwaches Jahr."

Besser unglücklich als glücklich?

Jeder will, dass sein Leben gelingt und er glücklich ist. Obwohl doch jeder genau weiß, dass Glück nicht von Dauer ist und ein Unglück selten allein kommt. Irgendwann macht jeder die Erfahrung: Ist ein Wunsch erfüllt und das Streben befriedigt, wähnt man sich für kurze Zeit glücklich. Doch schon bald kehrt der Drang nach mehr und neuem Glück umso stärker zurück.

Warum also den Spieß nicht umdrehen: Ist es nicht besser – zumindest hin und wieder – unglücklich zu sein? Wer mit einer gehörigen Portion Pessimismus und Realismus durchs Leben geht, den werden Rückschläge nicht so schnell umhauen.

10 Wege zum erfüllten Unglücklichsein

Dichter, Philosophen, Psychologen und Theologen haben sich ihre Gedanken gemacht, was Unglück ist und warum es manchmal besser ist unglücklich zu sein als glücklich. Wir zeigen Ihnen in10 Schritten, wie man zum glücklichen Pessimisten wird:

1. Auch Unglück will gelernt sein

Paul Watzlawick Foto: Imago/Skata

Die im Jahr 1983 veröffentlichte „Anleitung zum Unglücklichsein“ des Wiener Psychologen Paul Watzlawick (1921-2007) ist ein Klassiker des Misanthropismus. „Unglücklich sein kann jeder; sich unglücklich machen aber will gelernt sein“, lautet Watzlawicks Maxime.

Doch von Nichts kommt nichts, wie chon der römische Philosph Lukrez (99-53 v. Chr.) wusste. Das gilt auch für den Pessimismus, welcher der ständigen Übung bedarf. Watzlawicks Anleitung vermag jeden in tiefes Unglück zustürzen, der sich an die Anti-Ratschläge hält, falls er es unbewusst nicht ohnehin schon tut.

  • Tipp: Kosten Sie jeden der letzten schönen Stunden des Jahres 2023 aus und tanken Sie neue Kraft und Energie, um vorzubeugen. Denn bekanntlich kommt ein Unglück selten allein.

2. Alles schwernehmen

Fjodor Dostojewski Foto: Imago/United Archives International

„Was kann man nun von einem Menschen . . . erwarten?“, fragt der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski (1821-1881) in seinem Roman „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“. Man könnte ihn mit allen Erdengütern überschütten, ihm die Last des Krankwerdens und der Mühsal nehmen. Und doch wird er, der eigentlich glücklich sein müsste, sich für den Unglücklichsten aller Menschen halten. Andererseits lässt die Sorge ums tägliche Brot und Mühsal des Tages den Menschen kaum Zeit, um über sein Unglück nachzudenken.

  • Tipp: Nehmen Sie sich Zeit und gönnen sich den Luxus, um ausgiebig über Ihr Schicksal nachzudenken. Dann werden Sie auch viel Gutes darin erkennen.

3. Wissen anhäufen

Johann Wolfgang von Goethe Foto: Imago/Heritage Images

„Alles in der Welt lässt sich ertragen, nur nicht eine Reihe von schönen Tagen“, schreibt Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832). Im ersten Teil seiner Tragödie „Faust“ lässt der Dichter sein Alter Ego Dr. Heinrich Faust akklamieren: „Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor . . . Es möchte kein Hund so länger leben!“

  • Tipp: Machen Sie es nicht wie Doktor Faust. Beschweren Sie Ihr Hirn nicht mit zu viel Unnützen, bis Sie den Wald voller Bäume nicht mehr sehen – sprich: Vor lauter Wissen den Durchblick vollends verlieren.

4. Den Glauben ablegen

Blaise Pascal Foto: Imago/Gemini Collection

Blaise Pascal (1623-1662) war wie nur wenige seiner Zeitgenossen mit Geistesgaben gesegnet – und doch oder gerade deswegen tief unglücklich. „Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen“, war der französische Mathematiker und Philosoph überzeugt.

„Der Mensch ist weder Engel noch Tier, und das Unglück will es, dass, wer einen Engel aus ihm machen will, ein Tier aus ihm macht“, schreibt er in seinen Tagebuchaufzeichnungen „Pensées“. Den am Leben Verzweifelnden rettete nur der Glaube an Gottes Barmherzigkeit. „Möge Gott mich nie verlassen“, waren seine letzten Worte auf dem Sterbebett.

  • Tipp: Lassen Sie nicht alle Hoffnung fahren. Bewahren Sie sich auch an trüben Tagen einen Rest Optimismus und Glauben, dass alles in ihrem Leben und der Welt am Ende gut ausgehen wird.

5. Hohe Ansprüche kultivieren

Arthur Schopenhauer Foto: Imago/Gemini Collection

Arthur Schopenhauers (1788-1860) pessimistische Philosophie atmet den Geist der Verneinung und Entsagung. Die Welt ist für ihn ein „Jammertal“, voller Leiden und Glück nur Illusion. Unglück lässt sich nicht vermeiden, sondern nur auf ein Mindestmaß reduzieren.

„Um nicht sehr unglücklich zu werden, ist das sicherste Mittel, dass man nicht verlange sehr glücklich zu sein“, lautet Schopenhauers Maxime. „Verneinung des Willens zum Leben allein kann uns erlösen, nicht der Selbstmord, der nur die individuelle Erscheinung des Allwillens vernichtet.“

  • Tipp: Wollen Sie glücklich sein, lesen Sie nicht zu viel von Schopenhauer. Sonst könnte dieser Oberpessimist Sie lehren, wie man in allem Lebensglück doch noch zu einem unglücklichen Menschen wird.

6. Vorbild: Unglücksrabe Hans Huckebein

Wilhelm Busch Foto: Imago/Piemags

Kennen Sie die Bildergeschichte „Hans Huckebein der Unglücksrabe“ von Wilhelm Busch (1832-1908)? „Gar manches ist vorherbestimmt; Das Schicksal führt ihn in Bedrängnis; Doch wie er sich dabei benimmt, Ist seine Schuld und nicht Verhängnis.“

Der gewitzte Rabe macht anderen das Leben schwer, klaut dem Spitz den Schinkenknochen, verdreckt Tantchens saubere Wäsche mit Heidelbeerkompott und säuft jedes Glas leer. Am Ende „aber naht sich das Malör“ in Gestalt von Likör. Huckebein endet kläglich, indem er sich mit dem Garn selbst stranguliert.

  • Tipp: Verscherzen Sie es sich nicht mit allen. Gehen Sie Ihren Mitmenschen nicht zu sehr auf die Nerven, sonst wird niemand mehr Sie mögen. Nichts ist in einer Pechsträhne so wichtig, wie sich auf andere verlassen zu können.

7. Auf die Ewigkeit setzen

Friedrich Nietzsche Foto: Imago/Pond5 Images

Friedrich Nietzsche (1844-1900) glaubte sich vom Unglück verfolgt. Niemand könne ihm entrinnen, weil es jeden mit eisernen Griff umklammert hält. In seinem Buch „Also sprach Zarathustra“ schreibt der Dichter und Philosoph: „Die Welt ist tief, Und tiefer als der Tag gedacht. Tief ist ihr Weh –, Lust – tiefer noch als Herzeleid: Weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit –, – will tiefe, tiefe Ewigkeit!“

  • Tipp: Lesen Sie nicht zu viel Nietzsche, sonst leidet Ihre Laune darunter. Auf die Ewigkeit zu setzen ist ein gewagtes, aber dennoch lohnendes Unterfangen. Sich nach Herzenslust auszutoben und seinen Trieben nachzugeben, wird irgendwann öde.

8. Früher war alles besser

Sind Sie ein Erinnerungsoptimist? Dann sind Sie sicher auch der Meinung, dass früher alles besser war. Generationen von Kindern mussten sich das Loblied der Erwachsenen auf die Vergangenheit anhören, wenn diese mal wieder ihr Unbehagen über die „Jugend von heute“ loswerden wollten.

Der Satz „Früher war alles besser“ wird dadurch nicht richtiger, dass er inflationär gebraucht wurde und wird. Er sollte besser lauten: „Früher war nichts besser, aber vieles anders.“

  • Tipp: Wollen Sie sich das Leben nicht vergällen, sehen Sie Früheres kritisch und freuen sich über Gegenwärtiges. Leben Sie im Hier und jetzt und das Schicksal wird es gut mit Ihnen meinen.

9. Den Humor verlieren

Karl Valentin Foto: Imago/United Archives

Die Welt verdankt dem großen bajuwarischen Humoristen Karl Valentin (1882-1948) einen dialektischen Humor sondergleichen. „Hoffentlich wird es nicht so schlimm wie es schon ist!“ – „Ich freue mich heute noch, dass es mir gelungen ist, den heutigen Tag noch zu erleben.“ – „Der Mensch is guad, de Leit’ san schlecht!“

Weisheiten wie wie diese vermögen das Leiden am Leben erträglicher zu machen. Unglücklich ist schließlich jeder. Es kommt immer darauf an, wie man damit umgeht.

  • Tipp: Lesen Sie ausgiebig Karl Valentins Werke und Sie werden dem Unglück dieser Welt nur noch höhnisch ins Gesicht lachen.

10. Irrsinn des Lebens

Harvey Cox Foto: Imago/Piemags

Der amerikanische Theologe Harvey Cox (geboren 1927) ist vor allem bekannt geworden durch seinen Bestseller „Stadt ohne Gott?“ (1965). Darin formuliert er die bahnbrechende These, dass Gott in der säkularen Welt nicht weniger, sondern eher mehr gegenwärtig sei als in den Kirchen.

In seinem Buch „Das Fest der Narren – Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe“ (1969) beschreibt der Theologe Cox, der an der Harvard Divinity University in Boston (Bundesstaat Massachusetts) lehrte, wie man den Wahnsinn des Alltags überstehen kann, ohne zum miesepetrigen Grantler zu werden.

  • Tipp: Wenn Sie sich trotz allem Glück oder Unglück Ihren Humor bewahrt haben und über sich selbst lachen können, wird Ihnen Ärger und Gram nichts anhaben können. Wie sagt Harvey Cox: „Wo Lachen und Hoffnung verschwunden sind, da hat der Mensch aufgehört, Mensch zu sein.“