Nach der Parlamentswahl in Polen hofft man in Berlin und Brüssel auf einen veränderten Geist der Regierung in Warschau – auch um beim Thema Migration voranzukommen.

Berlin: Tobias Heimbach (toh)

Es könnte das Ende einer Eiszeit sein. Seit Jahren steht es schlecht um das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen, ein zentraler Grund dafür: Die langjährige Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS). Nach ersten Ergebnissen hat sie bei der Parlamentswahl in Polen zwar die meisten Stimmen erhalten, doch das Bündnis aus drei Parteien unter Oppositionsführer Donald Tusk hat wohl die Mehrheit der Parlamentssitze. Was heißt der mögliche Regierungswechsel für die deutsch-polnischen Beziehungen?

 

„Als jemand der in Polen geboren ist, hat mein Herz gejubelt als ich die Ergebnisse gesehen habe“, sagte Agnieszka Brugger, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. „Ich setze darauf, dass sich die deutsch-polnischen Beziehungen unter einer möglichen neuen Regierung verbessern werden. Gerade die plumpen anti-deutschen Angriffe werden hoffentlich ein Ende haben“, sagte sie dieser Zeitung.

Anti-deutsche Töne im Wahlkampf

Auch im Wahlkampf waren anti-deutsche Töne weit verbreitet, Oppositionsführer Tusk wurde beispielsweise als „Agent Deutschlands“ dargestellt. Ein Streitpunkt zwischen Berlin und Warschau war in der Vergangenheit auch die Forderung der PiS-Regierung an Deutschland über Reparationen für das im Zweiten Weltkrieg erlittene Leid der Polen. Im Oktober 2022 hatte sie daher Zahlungen in Höhe von 1,3 Billionen Euro gefordert.

Laut Max Brändle, Leiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Warschau, wird das Thema aber nicht verschwinden. Er sagte, ein Großteil der Polen teile die Meinung, dass Deutschland eine angemessene Form der Wiedergutmachung leisten solle. „Die PiS hatte diese Frage jedoch stets benutzt, um mit der Forderung nach Reparationen Stimmung gegen Deutschland zu machen“, sagte Brändle. An einer echten Lösung habe sie nie Interesse gehabt. „Die deutsche Bundesregierung wäre gut beraten, wenn sie dieses Thema mit mehr Empathie angeht und an einer konstruktiven Lösung arbeitet“, sagte er dieser Redaktion. „Die Gelegenheit wäre nach einem Regierungswechsel günstig.“

Neben der verbesserten Stimmung im deutsch-polnischen Verhältnis rechnen Politiker auch mit Fortschritt in konkreten Politikbereichen. Viele Hoffnungen verbinden sich direkt mit Donald Tusk. Der mögliche neue Premier war bereits von 2007 bis 2014 Regierungschef. Von 2014 bis 2019 amtierte er als Präsident des Europäischen Rates, der die Interessen der Mitgliedsländer vertritt.

„Ich bin mir sicher, Donald Tusk wird sich konstruktiv einbringen – gerade bei schwierigen Fragen wie einer gemeinsamen Migrationspolitik. Es ist ein großer Vorteil, dass er die EU in- und auswendig kennt“, sagte Grünen-Politikerin Brugger. Polen gehörte zuletzt zu den Ländern gehört, die eine Reform der Asylpolitik in der EU erschwerten. Noch Anfang Oktober hatte der amtierende polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki zum EU-Asylstreit gesagt, er habe keine Angst, sich dem „Diktat aus Brüssel und Berlin“ zu widersetzen.

Barley sieht „Signal an die anderen Autokraten in der EU“

Auch bei der Unterstützung der Ukraine könnte man nach zuletzt einigen Irritationen wieder zu mehr Gemeinsamkeiten kommen. Beobachter rechnen auch damit, dass es unter einer Tusk-Regierung keinen scharfen Anti-EU-Kurs mehr geben wird. Für Katarina Barley, stellvertretende Vorsitzende des EU-Parlaments und SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl im kommenden Jahr, hat der Sieg des Oppositionsbündnisses daher Bedeutung über Polen hinaus: „Diese Wahl ist auch ein Signal an die anderen Autokraten in der EU. Am Ende setzt sich der Rechtsstaat durch.“ Ohne die PiS-Regierung im Europäischen Rat verlöre Orban einen bedeutenden Verbündeten, sagte Barley dieser Redaktion. Damit könne Orban in aktuellen Vertragsverletzungsverfahren nicht mehr auf Rückendeckung aus Warschau zählen. Sie sagte: „Das wäre ein entscheidender Schritt hin zu einer stärkeren Rechtsstaatlichkeit in Europa.“

Die Bundesregierung selbst äußerte sich am Montag nicht konkret zum Wahlausgang, ein Sprecher sagte lediglich, man wünsche sich ein „partnerschaftliches, freundschaftliches bilaterales Verhältnis mit Polen“, als auch eine gute Zusammenarbeit in der EU.