Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)
Grüß Gott Frau Schmid, Sie stehen mit 97 Jahren immer noch hinter der Ladentheke Ihres Mieder-, Wäsche- und Bademoden-Geschäfts in Garmisch-Partenkirchen.
Ich hab schon Hilfe dabei. Es geht nimmer so gut. Ich mach jetzt einen Räumungsverkauf. Im August werde ich 98. Dann mache ich zu.
Seit wann betreiben Sie das Geschäft?
1955 hab ich angefangen.
Und seitdem haben Sie sicher viele Stammkunden?
Die kommen gerne zu mir, weil ich passende Modelle für Frauen mit schwieriger Figur habe. Sehr viele Frauen glauben, sie seien schlanker und jünger, als sie tatsächlich sind.
Was gab es in den 1950ern an Dessous?
Gar nichts. Da war das alles noch sehr handzahm und solide. BH’s und Korsetts. Da haben die Leute noch kein Geld gehabt. 1945 war der Krieg vorbei. Zehn Jahre drauf hab ich angefangen. Ja mei.
In 60 Jahren haben Sie viele Dessous-Trends miterlebt.
Ja Gott. So wie die Mode heute wechselt, hat sie halt damals auch gewechselt. Aber nicht so geschmackslos wie die Mode heute ist. Das ist keine Mode mehr. Ich weiß auch nicht, was sie da zusammenschneidern. Heute sind die Frauen nicht mehr gut angezogen.
Wie war das früher?
Früher waren die Frauen einfach angezogen und sind in die Kirche gegangen. Wenn sie eingeladen wurden, waren sie anständig angezogen. Sie hatten keine alten Lumpen angehabt, sondern waren sauber. Aber das hat sich alles verloren.
Die Mode ist knapper und bunter geworden. Gab es früher auch solche Farben wie heute?
Nein, im Anfang nicht. Dann aber mussten die Firmen liefern, damit die Frauen was anders sehen. Die Mode war in den 1960ern von den Franzosen und Italienern abgeschaut. Die deutschen Hersteller waren sehr solide. Ihre Ware erfüllte den Zweck, die Qualität war gut, aber bei den Dessous tat sich nicht viel.
Sie meinen, die deutsche Miederware war eher langweilig. Heute haben Sie auch String-Tangas im Angebot – wie die Warenhäuser.
Die Warenhäuser haben nichts Gescheites. Sie haben eine junge Kundschaft, die alles gleich wegwirft. Ich hatte früher gute Kunden, die haben auch was ausgegeben. Damals war es noch so, dass eine Frau schick sein musste, damit sie einen Mann bezirzen konnte. Aber heute?
Was meinen Sie?
Die Frauen waren früher anspruchsvoller Wäsche gegenüber sehr aufgeschlossen. Aber seit „Geiz ist geil“ in Mode ist, da ist es mit meiner jungen Kundschaft aus.
Wie hat sich Ihre Kundschaft verändert?
Ich hab immer Qualität verkauft. Ich hatte schöne, bequeme Sachen. Gut gearbeitet im Schnitt. Auch hochwertige Nachthemden von Schweizer Firmen. Nicht so unmögliche Sachen, wie sie heute verkauft werden.
Sie verkaufen auch Bademoden. Alles seriös und gesetzt. Oder?
Nein, das nicht. Aber auch nicht so billiger Ramsch, der für Menschen mit Geschmack unmöglich ist. Was man heute alles sieht – unmöglich. Die Frauen haben gar keine Hemmungen, die fetten Speckschwarten her zu zeigen. Das war früher nicht so.
Miederwaren sagt heute kaum noch jemand.
Mein Geschäft heißt immer noch so: „ Mieder Wäsche Bademoden Th. Schmid“. Wissen Sie, ich gehöre noch zu den Uralten. Das heute Blödsinnige liegt mir nicht. Die Leute würden sich doch einen Ast lachen, wenn ich auch so was machen würde.
Wollen Ihre Kinder das Geschäft nicht weiterführen?
Ich habe einen Sohn, der ist Mathematiker und hat bei einer Schweizerischen Lebensversicherung gearbeitet. Er ist schon in Pension.
Und Ihr Ehemann?
Der ist im Krieg gefallen. Ich habe meinen Sohn alleine aufgezogen. Die Mütter haben früher ihre Kinder groß gezogen und haben geschaut, dass sie einigermaßen über die Runden kamen und was auf die Beine brachten.
Viel Erfolg bei Ihrem Räumungsverkauf.
Dankeschön . . .
. . . und noch viele gesunde Jahre.
Ich weiß nicht, wie lange. Ich nehme es, wie es kommt. Ich tue etwas für meine Gesundheit. Aber wenn es aus ist, ist es aus. Bisher ist keiner übrig geblieben. Jeder muss den letzten Gang gehen, ob er mag oder nicht. Schön ist es bestimmt nicht.