Die Misere im deutschen Angriff und die Tore in Istanbul verhelfen dem Stürmer zu einer neuen Chance in der Auswahl des Weltmeisters. Vor dem Länderspiel am Freitag in Frankreich ist Mario Gomez bereit zum Neuanfang.

Paris - Bei der großen Party ist Mario Gomez gar nicht dabei gewesen, die Katerstimmung aber erfasst ausgerechnet ihn mit voller Wucht. Wütende Pfiffe der eigenen Fans bekommt er zu hören, als er das Tor nicht trifft und schließlich ausgewechselt wird. Der Sündenbock ist er wieder einmal bei der 2:4-Niederlage gegen Argentinien im August 2014, dem ersten Schaulaufen nach dem WM-Titel in Brasilien, den Gomez vor dem Fernseher erleben musste. Dass der Fußball gnadenlos sein kann, das spürt der Stürmer an jenem Abend in Düsseldorf nicht zu ersten Mal.

 

14 Monate ist es her, dass Gomez zum letzten Mal das DFB-Trikot getragen hat – zum letzten Mal überhaupt, wie viele glaubten. Nun aber ist er zurück, beim Testländerspiel an diesem Freitagabend (21 Uhr/ARD) in Paris gegen Frankreich steht er erstmals wieder im Aufgebot des Bundestrainers Joachim Löw. „Es ist nur ein Anfang nach schwierigen Jahren, mehr nicht“, sagt Gomez. Doch ist es immerhin der passende Ort für den Neustart, denn genau hier wird in acht Monaten das Finale der Europameisterschaft ausgetragen. Und so lebt die Hoffnung, dass sie doch noch gekrönt wird, die so wechselhafte Nationalmannschaftskarriere des Mario Gomez.

Gomez hat zuletzt viel Gegenwind verspürt

Als neuer Wunderstürmer, für den es nach oben keine Grenzen zu geben schien, hat der Stuttgarter 2007 im DFB-Team debütiert – und musste danach sehr vieles über sich ergehen lassen: den Spott nach vergebenen Großchancen, die Pfiffe der Fans, die vernichtende Kritik des TV-Experten Mehmet Scholl, die Nichtberücksichtigung für die WM, die ewigen Debatten über echte und falsche Neuner und darüber, ob ein wuchtiger Mittelstürmer wie er im Fußball noch zeitgemäß ist. Es bedarf einer stabilen Persönlichkeit, um sich von so viel Gegenwind nicht komplett aus der Spur bringen zu lassen.

Dass es Gomez, inzwischen 30 Jahre alt, nun wieder zurückgeschafft hat, dafür gibt es neben dieser psychischen Robustheit zwei Gründe. Zum einen haben sie in der Auswahl des Weltmeisters gemerkt, dass es eben doch nicht schaden kann, wenn es neben aller spielerischen Brillanz auch noch einen Mann gibt, dessen Spezialdisziplin der schnörkellose Torabschluss ist. „Spieler, die den tödlichen Pass spielen können, gibt es genügend“, sagt Gomez: „Ich finde, in manchen der letzten Spielen hätte ein richtiger Stürmer gutgetan. Manchmal braucht es den Killerinstinkt.“

Regelmäßig musste sich Joachim Löw zuletzt über die mangelhafte Chancenverwertung seiner Fußball-Feingeister ärgern. Beim kargen 2:1-Sieg im letzten EM-Qualifikationsspiel gegen Georgien fanden nicht weniger als 29 Schüsse Eingang in die Statistik, allein Marco Reus versiebte ein halbes Dutzend bester Torgelegenheiten. Nicht viel besser war das Verhältnis zwischen Abschluss und Torerfolg in den vorherigen Partien, weshalb der Bundestrainer zu Beginn dieser Saison begann, sich eingehend mit Daniel Ginczek zu befassen. Doch verhinderte ein Bandscheibenvorfall das geplante Debüt des Stuttgarter Mittelstürmers – und so richtete sich der Blick von Joachim Löw nach Istanbul.

Der Wechsel von Gomez zu Besiktas ist überraschenderweise der zweite Grund für seine Rückkehr. Dabei sprach eigentlich viel dafür, dass er sich mit dem Gang in die eher zweitklassige Süper Lig endgültig aus dem Fokus der Nationalelf verabschieden würde. „Ich habe mir das lange überlegt und wusste, dass dieser Schuss sitzen muss“, sagt Gomez, „und im Nachhinein kann ich sagen, dass der Schritt genau richtig war.“

Sportlich war der Wechsel nach Florenz ein Fehler

Im Nachhinein war er auch zur Erkenntnis gelangt, dass es zwei Jahre vorher ein Fehler war, sich gegen die Angebote der beiden Madrider Großclubs und für einen Wechsel vom FC Bayern zum AC Florenz zu entscheiden. Das Land, die Kultur und die Sprache reizten ihn, „Freunde fürs Leben“ habe er in Italien gefunden – sportlich aber wurde er bitter enttäuscht. Er wurde nie richtig fit, vermisste das Vertrauen des Trainers, erlebte „zwei verkorkste Jahre“.

In Istanbul absolviert Gomez Sonderschichten

In Istanbul stehen seit diesem Sommer nicht mehr Land und Leute im Vordergrund, auf Türkisch-Unterricht verzichtet Gomez, was nicht schwerfällt, „weil zehn Spieler in meiner Mannschaft Deutsch sprechen“. Vom ersten Tag bestand sein einziges Ziel darin, wieder komplett fit zu werden. Er bat den Trainer um Zusatzschichten, denn: „Die letzten zwei Jahre haben mir verdeutlicht, wie sehr ich die Fitness brauche. Mein Spiel lebt von der Power und Spritzigkeit.“ Und siehe da: in elf Spielen erzielte Gomez acht Tore, wurde in Istanbul von Joachim Löw besucht und nun wieder zur Nationalmannschaft eingeladen. „Er macht einen sehr guten, austrainierten und selbstbewussten Eindruck“, sagt der Bundestrainer: „Ich spüre bei ihm eine unglaubliche Motivation, bei der EM eine wichtige Rolle zu spielen.“

Zunächst aber geht es zu Testzwecken erst gegen Frankreich und am nächsten Dienstag gegen die Niederlande. Zumindest zu Teileinsätzen wird der Rückkehrer kommen. „Ich freue mich sehr auf diese Spiele“, sagt Mario Gomez.