Politik: Matthias Schiermeyer (ms)
Werden Hauptschüler noch benachteiligt?
Ja, und zwar flächendeckend in der ganzen Republik, auch hier. Bundesweit bilden nur noch sieben Prozent der Betriebe Hauptschüler aus. Der DGB hat bei einer Analyse der IHK-Lehrstellenbörse festgestellt, dass Hauptschüler in zwei von drei Ausschreibungen bei Ausbildungsberufen von vorneherein wegen des Abschlusses ausgeschlossen sind. Das ist das Anspruchsdenken der Wirtschaft, die über viele Jahre aus dem Vollen schöpfen konnte. Für eine Ausbildung zum Werkzeugmacher oder zur Einzelhandelskauffrau, die früher von Hauptschülern absolviert wurden, gilt nun das Abitur als Kriterium. Deshalb muss die Wirtschaft auf den Boden der Tatsachen zurückkehren und mehr Zeit in Ausbildung investieren. Manche junge Menschen brauchen mehr Anschub als andere, sind aber zu jeder Facharbeiterausbildung in der Lage.
Gilt das für alle Unternehmen?
Das Handwerk macht das immer schon vorbildhaft: Es requiriert immer einen Anteil von zehn Prozent seiner Auszubildenden aus Förderklassen – mit großem Erfolg. In einigen Regionen muss und will es sich noch stärker auf diese Gruppe fokussieren. Aber auch die Großbetriebe haben eine Verantwortung gegenüber den schwächeren jungen Menschen. Überlegt werden nun gemeinsame Aktionen auch mit dem baden-württembergischen Kultusministerium – eine Werbekampagne bei den Großunternehmen, damit sie sich nicht nur für die Besten, sondern auch für die Schwächeren interessieren. Das wäre eine lohnenswerte Initiative. In Deutschland stecken 260 000 junge Menschen in den Warteschleifen fest, die keinen Ausbildungsplatz kriegen, aber trotzdem ausbildungsreif sind – im Südwesten immerhin 35000. Wenn man wie der Hotel- und Gaststättenverband sowie das Lebensmittelhandwerk über Fachkräftemangel klagt, muss man diese jungen Menschen auch mal an die Hand nehmen. Der Bund stellt künftig ausbildungsbegleitende Hilfen vom ersten Tag an zur Verfügung. Das sollten die Unternehmen jetzt auch nutzen.
Inwieweit kann man sich von jungen Asylsuchenden einen Beitrag erhoffen?
Ein Ausbilder der Gewerbeschule Lörrach hat mir gerade erzählt, wie viel Spaß er mit seiner Klasse habe, die nur aus Asylanten bestehe. Er habe noch nie so lernbegierige Schüler kennengelernt. Prinzipiell müssen die jahrelangen Asylverfahren beschleunigt werden, und die jungen Asylanten müssen unabhängig vom Aufenthaltsstatus ihrer Eltern die Möglichkeit bekommen, eine Ausbildung zu absolvieren. Sonst brechen sie ihre Ausbildung ab, um mit den ausgewiesenen Eltern mitzugehen. Die jungen Menschen müssen ihre Lehre auch abschließen dürfen und sollten auch nach der Ausbildung eine Perspektive in unserer Gesellschaft haben, das sehen wir ähnlich wie die Arbeitgeberverbände.