Stuttgart hat der Dichterin Margarete Hannsmann 27 Jahre lang eine günstige Miete gewährt und sollte dafür Kunstwerke erhalten. Doch dazu kam es nie und die Stadt ist wohl leer ausgegangen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Vor wenigen Tagen hat die Stadt Stuttgart das Dichterhaus, in dem die Stuttgarter Schriftsteller Margarete Hannsmann und Johannes Poethen jahrzehntelang gelebt haben, an eine Privatperson verkauft. Das Häuschen liegt idyllisch am Rand des Weißenburgparkes, oberhalb der Neuen Weinsteige. Für die Stadt ist die Angelegenheit, die in den vergangenen Jahren mit einigen Problemen behaftet war, damit erledigt. Doch jetzt könnte die Sache ein Nachspiel haben: Denn die Verwaltung hat vermutlich auf eine sechsstellige Summe verzichtet. Das Dichterpaar durfte 27 Jahre lang zu einer vergünstigten Miete im Häusle wohnen; als Gegenzug sollte die Stadt das Erbe des Holzschnitzers HAP Grieshaber erhalten. Dazu kam es aber nicht. Nun ist die Stadt wohl ganz leer ausgegangen.

 

Der Reihe nach. Schon seit 1960 lebte Margarete Hannsmann in dem Gebäude, nicht weit entfernt vom Teehaus. Als der Eigentümer das Gebäude 1969 verkaufen und die Dichterin auf die Straße setzen wollte, schrieb Hannsmann, die damals schon in Stuttgart bekannt war, in ihrer Verzweiflung an OB Arnulf Klett. Der wies den Kulturreferenten an zu helfen. In einer Hauruck-Aktion grub die Stadt ein Vorkaufsrecht aus und kaufte das Haus kurzerhand. Hannsmann hat dies so selbst in der Autobiografie „Pfauenschrei“ erzählt: „Am Freitagnachmittag kam der erlösende Anruf: Ich gratuliere. Sie können wohnen bleiben. Johannes [Poethen] und ich begriffen erst nach und nach, dass wir Herr über Haus und Garten waren, wie man ein Lehen erhält.“ Die Miete blieb unverändert.

Lebenslanges Mietrecht

Zehn Jahre später musste das Haus saniert werden. Wie eine Sprecherin der Stadt jetzt auf Nachfrage der StZ und nach langwierigen internen Recherchen bestätigt, wurde 1980 ein neuer Mietvertrag mit Margarete Hannsmann, der es zu jener Zeit finanziell nicht gutging, geschlossen: „Der Mietvertrag umfasste ein lebenslanges Mietrecht und wurde zu reduzierten Konditionen abgeschlossen, da der Landeshauptstadt im Gegenzug etwa 2000 Objekte – darunter diverse Holzschnitte und Unikate des Künstlers HAP Grieshaber – übereignet werden sollten. Der Mietvertrag schloss Erhöhungen aus.“ Dieser explizite Zusammenhang von reduzierter Miete und Erbe wurde vertraglich festgehalten. Der Gemeinderat habe dem Vertrag auch zugestimmt, betont die städtische Sprecherin.

Bis zu ihrem Tod im Jahr 2007 hat Margarete Hannsmann zu dieser geringen Miete im Dichterhäusle gewohnt. Tatsächlich gingen dann zahlreiche Kunstwerke Grieshabers, zu dem Hannsmann bis zu dessen Tod im Jahr 1981 eine enge Beziehung hatte, in den Besitz der Stadt über. Allerdings waren es nicht 2000 Objekte wie vereinbart und auch nicht 1000, wie bisher immer angenommen wurde, sondern nur 618 Bildnisse, Plakate und Dokumente. Diese Zahl nannte die Stadt jetzt. Kurze Zeit später kam es aber zu Streitigkeiten mit den Erben Hannsmanns – die Stadt monierte die geringe Zahl an Kunstwerken, umgekehrt kritisierten die Erben, dass die Stadt nicht wie versprochen ein Museum im Dichterhäusle einrichten wollte.

Menschlichkeit als Motiv

Die frühere Haltung der Stadt ist vielleicht nicht zu beanstanden, weil Menschlichkeit das Motiv war. Doch 2010 wurde nun der städtische Teil des Erbes wegen des Streits rückabgewickelt – die Stadt gab alle Kunstwerke zurück. Und dabei vergaß sie offenbar, einen Gegenwert für die reduzierte Miete geltend zu machen. Nimmt man hypothetisch an, die Stadt hätte auf monatlich 400 Euro Miete verzichtet, was in der exklusiven Lage durchaus realistisch ist, so käme man für 27 Jahre auf einen Betrag von rund 130 000 Euro. Zur konkreten Höhe der Miete äußert sich die Stadt nicht.

Verkaufspreis deutlich geschmälert?

Zudem gab es in fast drei Jahrzehnten keine einzige Mieterhöhung, was ebenfalls einem Verzicht auf einen bedeutenden Betrag gleichkommt. Die Stadt rechtfertigt diesen Vorgang damit, dass man dafür nun „die Verfügungsgewalt über das Anwesen Schillereiche 23 zurückerhalten“ habe. Aber das Gebäude hat der Stadt schon seit dem Jahr 1969 gehört.

Eine bewusste Entscheidung und ein politisches Signal ist dagegen, dass die Stadt verfügt hat, dass das Haus nicht abgerissen werden darf. Es soll zu Ehren der Dichter, die dort gewohnt und zu Gast waren, erhalten bleiben. Diese Einschränkung dürfte den Verkaufspreis deutlich geschmälert haben. Vor zwei Jahren galt ein Verkehrswert von 1,078 Millionen Euro; jetzt sollen 860 000 Euro bezahlt worden sein. Daneben will die Stadt einen Teil des Erlöses einsetzen, um ein Literaturstipendium zu finanzieren. Ein Museum sei dagegen nicht infrage gekommen, so die Stadt, weil das Haus dafür zu klein sei und auch zu schlecht erreicht werden könne.