Wenn morgen die Antiquariatsmessen in Stuttgart und Ludwigsburg beginnen, schlagen die Herzen der Sammler höher. Doch die ­Branche ist im Umbruch. Der Vorsitzende des Berufsverbandes, Christian Hesse, glaubt jedoch an den bleibenden Wert alter Bücher.

Kultur: Stefan Kister (kir)
Stuttgart- - Der Hamburger Antiquar Christian Hesse sitzt in einem leeren Büro. Sein Auktionshaus zieht gerade in das größere Nachbargebäude um. Während er expandiert, geben viele Ladenantiquariate auf und wandern ins Internet ab. Die Sammler werden immer älter, Studenten bleiben aus, die Preise fallen – doch Hesse bleibt zuversichtlich.
Herr Hesse, gibt es im Leben eines Antiquars ein Schlüsselerlebnis, das die Liebe zum alten Buch begründet hat?
Nietzsche hat einmal gesagt, Bücher die man liebt, darf man nicht leihen, man muss sie besitzen. Dieses Habenwollen trieb mich zu meinen ersten Streifzügen durch die Antiquariate.
Wenn man sich in den Antiquariatsforen im Internet herumtreibt, stößt man auf Händler, die klagen, dass sie ihre Krankenversicherung nicht mehr zahlen können.
Der Antiquar muss sich den Veränderungen des Marktes und der Käuferschaft stellen. Man kann heute nicht mehr auf dieselbe Weise Bücher verkaufen wie vor fünfzig Jahren – und auch nicht mehr die gleichen Bücher. Die Literatur etwa des 18. und 19. Jahrhunderts wird heute längst nicht mehr so intensiv gesammelt. Es gab früher nicht so viele Antiquariate wie heute. Das Berufsbild hat sich gewandelt, auch die Ansprüche an sich selbst. Kollegen erzählen mir, sie hätten 17 000 Bücher im Netz mit einem Gesamtverkaufswert von 50 000 Euro. Im Schnitt sind das lediglich drei Euro pro Buch. So etwas kann sich kaum rentieren.
Hat das Internet Ihren Beruf verändert?
Sehr viele Kollegen haben auf das Internet gesetzt. Anfangs hat das unbestritten auch Vorteile geboten. Heute überwiegen vielfach die Nachteile, die Leute kaufen nur noch dort, wo ein Buch am billigsten angeboten wird. Das Internet macht die Bücher beliebig und nimmt ihnen den haptischen Reiz. In den letzten Jahren hat es wohl deshalb eine Renaissance des gedruckten Katalogs gegeben.
Sterben die Sammler aus?
Wenn ich früher vor der Bücherwand meines Vaters stand, erfüllte mich der Gedanke, das einmal zu erben, mit Ehrfurcht. Wenn mein Sohn heute vor meinen Regalen steht, denkt er vermutlich: Um Gottes willen, wohin einmal damit? Das Phänomen des Sammelns ist rückläufig, auch weil wir eine sehr mobile Gesellschaft geworden sind. Gegenständliche Dinge erscheinen vielen Leuten heute eher als Last.
Das trifft eine Profession, in deren Kern das Sammeln steht, doch aber essenziell.
Es gibt ohne Frage weniger Leute, die sich diesem Sammeln so wie früher zuwenden. Es wird heute nicht mehr in die Breite gesammelt, dafür aber eher in die Tiefe. Das ist nicht rückläufig, im Gegenteil – es bevorzugt die Anbieter des Besonderen.
Wie repräsentativ für die Branche sind die Antiquariate, die in Stuttgart ausstellen?
Sie gehören zum oberen Qualitätssegment. Der Verband Deutscher Antiquare hat 230 Mitglieder, davon 208 in Deutschland, in Stuttgart stellen mehr als achtzig von ihnen aus, mehr als ein Drittel. In Zeiten des Niedergangs der Ladenantiquariate haben die Messen eine andere Bedeutung bekommen. Sie stellen den persönlichen Kontakt zu Sammlern her.
Verliert das Buch als Gebrauchsgegenstand für Antiquare seine Bedeutung?
Die Kunden, die sich für acht Euro eine Ausgabe von Thomas Manns „Buddenbrooks“ aus dem Jahr 1925 kaufen, weil ihnen eine Leinenausgabe von 2010 zu teuer ist, werden weniger. Studenten als breite Kundschaft sind uns sicher verloren gegangen. Das hängt mit dem Internet zusammen: wenn es um Informationsbeschaffung geht, löst es vielfach das Buch ab.
Was entscheidet, ob ein Buch vom Gebrauchsgegenstand zum Kunstobjekt wird?
Es kann das Alter sein, aber es gibt auch Bücher aus dem Jahr 2010, die gehandelt werden, weil sie selten sind und nur fünf Stück davon gedruckt wurden; die aufwendige Verarbeitung; die wissenschaftliche Bedeutung – der Erstdruck der Heisenberg’schen Unschärferelation kann weitaus kostbarer sein als ein hundert Jahre altes Werk über die Zahnheilkunde.
Ein Faktor ist auch der kulturhistorische Wert wie bei der Iffland-Korrespondenz. Wegen strittiger Eigentumsfragen wird sie nun hier nicht mehr angeboten. Besteht in Fragen der Provenienzforschung im Bereich der Antiquaria Nachholbedarf?
Ich bedauere außerordentlich, dass die Messe in den Schatten dieses Falls geraten ist. Im Antiquariat gibt es ein großes Preissegment, in dem Provenienzforschung nicht notwendig ist und auch nicht gemacht wird, einfach weil die Summen, zu denen das gehandelt wird, zu niedrig sind. Aber ein Antiquar, der seinen Beruf ernst nimmt, wird bei bestimmtem Objekten sehr sorgfältig vorgehen. Die in unserem Verband organisierten Antiquare verpflichten sich auf bestimmte Regeln, dass man darauf achtet, welche Ware man handelt und wie sie in den Handel gelangt ist. Das ist das Ärgerliche an dieser Iffland-Geschichte: Mit einem Minimum an Fingerspitzengefühl hätte es den Beteiligten klar sein müssen, dass das ein problematisches Angebot ist.
Dürfen Dinge von solcher Bedeutung gehandelt werden?
Der Handel hat eine wichtige Vermittlungsfunktion und sorgt für Preisfindung und -bestimmung. Preise sind ja nichts, was so aus dem Bauch gemacht würde. Sie gründen sich auf Berufserfahrung, auf das Wissen um vergleichbare Objekte.
Künftig werden Erstausgaben als E-Books erscheinen. Was heißt das für Ihren Beruf?
In welcher Form der Erstdownload eines E-Books einmal gehandelt wird und wie sich das nachweisen lässt, kann ich nicht sagen. Da habe ich die Gnade der frühen Geburt. Ich hoffe, dass es bis zum Ende meiner Berufstätigkeit noch Nachschub aus dem 20. Jahrhundert gibt. Je seltener Bücher werden, desto fester glaube ich an eine Renaissance des Interesses an ihnen.