Nach der Wahl wurde eine Koalition aus der CDU-Allianz, SPD und Liberalen gebildet. Hatte diese Regierung angesichts der politischen Dynamik, die auf eine Wiedervereinigung hinführte, überhaupt die Chance zu einer eigenständigen Politik?
Bei allem, was mit den Rahmenbedingungen der Vereinigung, der Wirtschafts- und Währungsunion zu tun hatte, ging es natürlich nach den westdeutschen Normen und Empfehlungen. Das lag in der Natur der Sache. Aber bei anderen Regelungen hatten wir eine ziemliche Freiheit.
Was allerdings dazu führte, dass die Volkskammer zwar fleißig Gesetz um Gesetz beschlossen hat, diese aber zum großen Teil nicht in das vereinigte Deutschland überführt wurden.
Im Einigungsvertrag ist das im Osten einzuführende Bundesrecht auf 175 Seiten aufgelistet. Die Auflistung des fortgeltenden DDR-Rechts umfasst 54 Seiten. Das ist etwas mehr als nichts. Es gab vor allem zwei Punkte, bei denen der Westen auf Granit gebissen hat und die Gesetze der Volksammer übernehmen musste. Das eine war die Bodenreform, die nicht zurückgedreht wurde. Das andere war die Öffnung der Stasiakten.
De Maizière hat immer wieder betont, er habe die Ostdeutschen auf Augenhöhe und in Würde in die Wiedervereinigung führen wollen. Ist ihm das gelungen?
Das denke ich schon. Dieses immer wieder von Ostdeutschen beschworene Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein, ist nicht nach 1990 entstanden, sondern viel früher. Das gab es seit den Fünfziger Jahren, das war praktisch die Kehrseite des Wirtschaftswunders. Die Leute sahen auf der Transitautobahn, wer ihren Trabbi überholt. Sie hatten das Gefühl, sie hätten den Zweiten Weltkrieg zweimal verloren, der Westen aber nur einmal. Dieses Gefühl ist nach der Wende nicht gewachsen, es ist aber auch nicht verschwunden. Man hat sich vielfach in dem alten Vorurteil bestätigt gefühlt, weil das Verwaltungs- und Justizwesen, auch viele Führungsetagen in der Wirtschaft mit Westdeutschen besetzt wurden. Ich finde aber, die Westdeutschen sollten sich da nicht zu schnell ein schlechtes Gewissen machen. Denn was wäre passiert, wenn das Justizwesen nicht schnell funktioniert hätte? Dann wäre der wirtschaftliche Aufbau langsamer und chaotischer gewesen.