Die Autorin E. L. James hat eine Erotiktrilogie geschrieben. Die „Fifty Shades“ haben sich in den USA bereits zehn Millionen Mal verkauft.

New York - Elektronische Lesegeräte gehören schon lange zur Standardausrüstung der modernen Großstädterin. Wenn in der New Yorker U-Bahn eine elegant gekleidete Büroarbeiterin ihr iPad oder ihren Kindle zückt, dann erregt das heute weniger Aufmerksamkeit, als wenn sie noch die verschwindende Kunst beherrscht, die „New York Times“ einhändig für den Bahngebrauch in Zweispaltenbreite zu falten.

 

In den vergangenen Wochen ist es dennoch schwierig, sich die Neugier zu verkneifen, wenn in der Öffentlichkeit das elektronische Lesegerät aus der Prada-Handtasche schlüpft. Seit Beginn dieses Frühjahrs ist es nämlich hochwahrscheinlich, das auf dem Kleinbildschirm weniger Erbauliches aufgerufen wird als etwa ein Klassiker, der für den Buchclub studiert wird – oder auch nur die neueste Ausgabe der „Vogue“.

Denn seitdem wird die „New York Times“-Bestsellerliste mit riesigem Abstand von „Fifty Shades of Grey“ angeführt – einem Buch, das man nicht anders charakterisieren kann denn als einen Softporno für eine weibliche Zielgruppe im Alter zwischen dreißig und fünfzig. Geschildert wird die Geschichte einer Studentin, die den sadomasochistischen Wünschen eines Mannes folgt.

Zehn Millionen Mal verkauft in sechs Wochen

Der Begriff Blockbuster ist für die „Fifty Shades“ noch zurückhaltend gewählt. In den vergangenen sechs Wochen wurde die Buchtrilogie zehn Millionen Mal verkauft. Die Mehrzahl der Exemplare ging dabei selbstredend elektronisch an die Leserin. Schließlich möchte Frau bei ihrem erotischen Lesevergnügen wohl kaum einen verräterischen Schutzumschlag vor der Nase tragen, wenn sie beim Zahnarzt im Wartezimmer sitzt oder die Schulaufgaben der Tochter beaufsichtigt.

Eines ist jedoch trotz allem unübersehbar: Amerikas Frauen können von dem Werk der Londoner Hausfrau und Mutter E. L. James, die bis vor Kurzem noch als Angestellte eines Fernsehsenders in London arbeitete, nicht lassen. Laut einer Umfrage der „New York Post“ haben die Leserinnen mehrheitlich mindestens eines der drei folgenden Dinge getan: 1. Die ganzen 1700 Seiten in weniger als zehn Tagen gelesen: 2. Das Buch einfach nicht weglegen können; 3. Es beim Frühstück im Beisein der Familie diskret auf dem Smartphone gelesen.

Unter New Yorker Müttern heißt „Fifty Shades“ mittlerweile einfach nur „The Book“. Von welchem Buch bei dieser Code-Bezeichnung die Rede ist, muss nicht weiter ausgeführt werden.

Nun fragt sich ganz Amerika, warum das Werk für Frauen so unwiderstehlich ist, obwohl man sich über die eher mittelmäßige literarische Qualität einig ist. „Ich kapiere das nicht“, sagte eine New Yorker Rechtsanwältin gegenüber der „New York Times“. „Alle meine Freundinnen verschlingen es, und das sind hochgebildete, selbstbewusste, professionelle Frauen.“

Manchmal will sich Frau nur hingeben

Der Hype ist angesichts dieses demografischen Leserinnen-Querschnitts tatsächlich schwer nachzuvollziehen. Denn „Fifty Shades“ ist eine Sadomasogeschichte, bei der sich eine gebildete junge Frau willentlich der Gewalt eines reichen, herrschsüchtigen Mannes ausliefert. Es ist eine Art abgemilderte „Geschichte der O“ für das 21. Jahrhundert – nicht gerade Literatur, von der man glauben würde, sie übe auf die moderne Karrierefrau eine besondere Anziehung aus.

Doch vielleicht lehrt ja der Erfolg von „Fifty Shades“, dass es ein Fehler ist, einen Widerspruch zwischen Emanzipation einerseits und dem Verlangen zur Unterwerfung andererseits zu sehen. Das glaubt jedenfalls die Kulturwissenschaftlerin Katie Roiphe, die im Nachrichtenmagazin „Newsweek“ einen viel diskutierten Essay zu dem Buch „Fifty Shades“ verfasst hat. „Frauen haben mehr Macht und mehr sexuelle Freiheiten als je zuvor“, schreibt Katie Roiphe. „Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht weiterhin komplizierte Gefühle von Scham und Wertlosigkeit haben.“

Laut Roiphe besteht ein klarer Zusammenhang zwischen dem einen und dem anderen. In einer Zeit, in der vierzig Prozent der arbeitenden Frauen mehr verdienen als ihre Männer und die Mehrheit der unter dreißig Jahre alten Frauen ihre Kinder alleine großzieht und ernährt, schreibt die Professorin der New York University, wachse das Bedürfnis, im Schlafzimmer die Kontrolle abzugeben. Das Verlangen zur Unterwerfung ist gemäß dieser Logik nichts weiter als eine Art Ermattung vom anstrengenden Geschäft der Gleichberechtigung: „Wir wollen Gleichstellung und Macht“, sagt Roiphe, „aber nicht immer und überall.“ Manchmal wolle Frau sich immer noch einfach nur hingeben.

Die E-Books werden besser verkauft

Der Erfolg von „Fifty Shades“ ist das deutlichste Symptom dieses Phänomens unserer Zeit, aber es ist bei Weitem nicht das einzige. Andere sind etwa die TV-Serie „Girls“, in der eine junge Karrierefrau masochistische Fantasien artikuliert oder etwa der Oscar-nominierte Film „A dangerous Mind“, über die Frühzeit der Psychoanalyse, in der eine sehr explizite S&M-Szene eine zentrale Rolle spielt. Die Zeitschrift „Psychology Today“ bestätigte jüngst mit einer Studie den Trend: 31 Prozent der für das Blatt befragten Frauen hatten regelmäßig Vergewaltigungsfantasien.

All das müsste Feministinnen und Feministen eigentlich Unbehagen bereiten. Doch die vorhersehbare Kritik der pornografischen Ausbeutung von Frauen in „Fifty Shades“ ist weitgehend ausgeblieben. Stattdessen freut man sich darüber, dass sich Frauen zu Millionen mittels „Fifty Shades“ offen und ohne Scham ihren sexuellen Wünschen hingeben.

Relativ offen jedenfalls, denn die Paperback-Verkäufe hinken weit hinter den E-Book-Zahlen her. Doch das kann wohl kaum als Argument für eine unterdrückte weibliche Sexualität ins Feld geführt werden. Auch die meisten Männer würden wohl lieber nicht in der U-Bahn offen erotische Literatur konsumieren. Und schon gar nicht am Frühstückstisch mit der Familie.

Wie das in Deutschland aussieht, wird sich bald zeigen. Der erste Band der Trilogie, die zunächst in einem kleinen australischen Verlag erschien, nur durch Mundpropaganda zu einem sensationellen internationalen Erfolg wurde und für die bereits die Filmrechte verkauft wurden, erscheint unter dem Titel „Shades of Grey – Geheimes Verlangen“ am 9. Juli im Goldmann-Verlag, die Bände zwei („Gefährliche Liebe“) und drei („Befreite Lust“) der Trilogie folgen, marketingtechnisch geschickt eingefädelt, am 1. Oktober und am 14. Januar. Und alle drei gibt es natürlich auch als E-Books.