Die EU-Kommission lenkt mit ihrer Kritik an der Mitbestimmung vom eigenen Versagen ab, meint StZ-Autor Michael Heller

Stuttgart - Die Situation ist verzwickt. Das deutsche Mitbestimmungsgesetz, das am 1. Juli vor 40 Jahren in Kraft getreten ist, hat eindeutig Schlagseite. Was 1976 kaum als Defizit wahrgenommen wurde, fällt in Zeiten einer globalisierten Ökonomie negativ auf: Die Mitarbeiter im Ausland sind in den Aufsichtsräten nicht vertreten. Daraus nun aber – so wie die EU-Kommission – den Schluss zu ziehen, dann sollten die Unternehmen einfach die Beschäftigten im Ausland auch wählen lassen, führt nicht weiter. Der Sache nach wäre solch ein Schritt zwar durchaus geboten, aber ohne einen Ordnungsrahmen kann das nicht funktionieren. Dass es eines Hinweises der Gewerkschaften hierauf bedarf, ist schon ein wenig merkwürdig.

 

Ausgerechnet die Institution, die im deutschen Gesetz ein Demokratiedefizit ausmacht, hat selbst beim Thema Arbeitnehmerrechte und Mitbestimmung so gut wie nichts vorzuweisen: die EU-Kommission. Gewiss hat sich der Tonfall geändert, seit Jean-Claude Juncker an der Spitze der EU-Kommission steht; es geht jetzt moderater zu. Aber im Kern hat Brüssel stets eine Politik verfolgt, auf die das Etikett „freie Marktwirtschaft“ – und nicht „soziale Marktwirtschaft“ – passt. Die Rechte von Aktionären haben für die Kommission schon immer einen höheren Stellenwert gehabt als die Ansprüche von Arbeitnehmern. Deshalb sollte sich niemand Illusionen darüber machen, was geschehen würde, wenn die EU-Kommission das Thema Mitbestimmung an sich zieht.

Deutschland ist in der EU keineswegs das einzige Land mit Mitbestimmungsrechten; aber nirgendwo gehen die Rechte weiter. Das deutsche Modell wäre somit gewiss nicht das Vorbild für eine Mitbestimmung à la EU-Kommission. Paritätische Mitbestimmung oder gar Montanmitbestimmung? Das würde rasch der Vergangenheit angehören. Da die Länder der EU aus ganz verschiedenen Traditionen und Kulturen der Arbeitsbeziehung kommen, gibt es aber auch keinerlei Bedarf, eine europäische Einheitslösung einzuführen. Die EU-Kommission wäre also gut beraten, wenn sie ihr eigenes Monitum ernst nehmen würde. Sie müsste dafür sorgen, dass es im Rahmen weiterhin nationaler Gesetze möglich wird, für eine angemessene Vertretung von Auslandsbelegschaften in den Aufsichtsräten so sorgen.