Fantasy für Große und nicht mehr ganz so Kleine: Sam Raimi borgt sich behutsam den Glanz des Klassikers „Der Zauberer von Oz“, um mit seinem eigenen Film zu bezaubern. „Die fantastische Welt von Oz“ läuft am Donnerstag in den Kinos an.

Stuttgart - Der Jahrmarktszauberer Oz ist Blender von Beruf. Mit seinem Publikum in den ländlichen USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat er es nicht leicht. Denn sobald die zunächst Staunenden bemerken, dass er nicht wirklich zaubern kann, erheben sich Buhrufe, recken sich Fäuste, wollen die Dörfler ihr Geld zurück. Man sieht dem Bedrohten an, dass er sich zu Höherem berufen fühlt. Und könnte man jetzt zur Leinwand hinaufsprechen, würde man diesem Zauberer raten, es doch mal in der Politik zu versuchen.

 

Sam Raimis Film „Die fantastische Welt von Oz“ verschafft seinem Helden aber einen anderen als den politischen Karrieresprung: Auf der Flucht vor einem eifersüchtigen Mitartisten rettet Oz sich in einen Heißluftballon, der von einer Windhose erfasst und in ein knallbuntes Land jenseits unserer Atlanten gewirbelt wird. Hier nun schlägt dem Neuankömmling höchste Wertschätzung entgegen. Man hält ihn für den Magier, den eine Prophezeiung als Retter des Landes angekündigt hat. Oz ist geneigt zuzustimmen, denn die Aufgabe könnte zu einem Goldschatz führen. Oz ist gleichzeitig aber auch geneigt davonzulaufen, denn zur Erfüllung der Prophezeiung müsste er böse Hexen, grimmige Soldaten und ganze Wolken fliegender Affenbestien besiegen. Wie also, fragt sich Oz, kommt er ans Gold, ohne das Land retten zu müssen?

Das ist nicht wirklich als spannende Frage gedacht, denn jeder Filmfan weiß bereits, wie es mit Oz weitergehen wird. Sam Raimis „Die fantastische Welt von Oz“ liefert deshalb die Vorgeschichte zu einem der beliebtesten Filmklassiker überhaupt, zu Victor Flemings Musical „Der Zauberer von Oz“ aus dem Jahre 1939. Judy Garland spielt darin das Mädchen Dorothy aus Kansas, das von einem Wirbelsturm in ein absonderliches Land getragen wird, in dem der große Zauberer Oz herrscht.

Altes Hollywood, neue Technik

Sam Raimis fantasievolle, opulente, nostalgische Erzählung beginnt wie Flemings Film in Schwarz-Weiß und im klassischen Normalformat. Erst als der Sturm nun Oz im Fabelland abliefert, werden die Bilder farbig – und Raimi kann das Bild nun aufs Breitwandformat aufziehen, ein Stilmittel, das gewiss auch Fleming eingesetzt hätte, wäre es damals verfügbar gewesen – wie überhaupt vieles an dem in 3-D gedrehten Prachtstück „Die fantastische Welt von Oz“ so aussieht, als hätte man den Meistern des alten Hollywood nun Techniken von heute in die Hand gegeben.

Sam Raimi hat sein Märchen für Große und nicht mehr ganz Kleine keinesfalls so aufgemotzt und übertaktet, wie es für aktuelle Popcornproduktionen angeblich nötig ist. Er hält einen eher bedächtigen Rhythmus ein, er zieht klassische Bildkompositionen den verzerrenden Großaufnahmen und ausgefallenen Blickwinkeln vor, er gibt seinen Darstellern – neben dem großartigen James Franco unter anderem Rachel Weisz, Mila Kunis und Michelle Williams – viel Raum, um sich zu entfalten. Er geht zwar durchaus ironisch an seine Figuren heran, ist dabei aber weit entfernt vom Zynismus etwa der „Shrek“-Reihe. Selbst ein computergenerierter Affe sieht hier nicht wie eine hyperrealistische Spitzenleistung neuester Software aus, sondern so, als hätten die Techniker von damals sich mit einer Fellfigur selbst übertroffen.

Das Dorf der Porzellanpuppen

Die ganze Karriere von Raimi ist von seiner Liebe zum Fantastischen und zum Genrekino geprägt, angefangen vom „Tanz der Teufel“ über „Ein einfacher Plan“ bis hin zu seiner Trilogie um „Spider-Man“. Darum ist auch „Oz the Great and Powerful“, wie der Film im Original heißt, frei von jedem herablassenden Belächeln des altmodischen Eskapismuskinos. Statt billiger Schlaumeierposen auf Kosten des Vorgängers liefert die neue Variante des Wunderlands respektvolle Betonungen der düsteren Elemente und Subtexte von Flemings Klassiker. „Der Zauberer von Oz“ spielte vorm Hintergrund der Wirtschaftskrise im Mittleren Westen. Raimi nun stupst mit der Behutsamkeit von damals sehr moderne Ängste an, etwa mit den Bildern eines zerstörten Porzellanpuppendorfs, in dem es nach dem Luftangriff der Hexenaffen nur eine einzige Überlebende gibt.

„Die fantastische Welt von Oz“, in dem der Held am Ende dem bösen Zauber der Hexen optische Illusionen entgegensetzt, also mit der Macht des Kinos gegen die Realität antritt, ist wie „The Artist“ eine ergreifende Huldigung an das Kino von einst. Aber der Film verkommt nicht zur Museumsführung. Er ist ein vitaler Beitrag zur Gruppe jener Leinwandmärchen, die uns helfen, in einem Winkel unseres Herzens das Staunen der Kindheit zu bewahren.