Die Fantastischen Vier haben an drei Abenden in der Stuttgarter Schleyerhalle ein Vierteljahrhundert Bandbestehen zelebriert. Zwischen ihren bekannten Krachern finden die Stuttgarter sogar Raum für Überraschungen.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Das gute alte Bad in der Menge wähnten wir eigentlich auf der Liste der aussterbenden Arten. Aber wenn man schon etwas länger im Geschäft ist, dann dürfen auch überkommene Riten fröhliche Urständ feiern. Zumal, wenn sie erfrischend unorthodox vorgebracht werden wie bei den Fantastischen Vier. Und so endet das Konzert nicht etwa mit einem Abklatschmarsch durch das Publikum, sondern es beginnt auf diese Weise. Auf der Bühne intonieren die Begleitband und Herr Rieke als Intro das Stück „Die vierte Dimension“, während sich seine Bandkollegen Beck, Schmidt und Dürr den Weg durch die Massen bahnen, um vis-à-vis zum Rest der Truppe in der Hallenmitte ein kleines Podest zu entern.

 

Rieke, Beck, Schmidt und Dürr – das klingt nicht nach Jetsetglamour, aber das macht so rein gar nichts, Fakt ist: am Freitagabend die seit Wochen gerammelt ausverkaufte größte Halle Stuttgarts, am Samstagabend die bis unters Dach ausverkaufte größte Halle Stuttgarts, und am Sonntagabend allenfalls noch ein paar verbliebene Restkarten für das letzte der drei Konzerte in der Riesenarena. Irgendetwas zwischen 35000 und 45000 Zuschauern kommt so zusammen, eine in jeder Hinsicht stolze Summe für eine Band, die vor knapp einem Vierteljahrhundert keine drei Kilometer Luftlinie entfernt auf einer aus Europaletten selbstgezimmerten Bühne vor vierzig Besuchern ihren ersten Auftritt absolvierte.

Die Zeit rast, und die Fantas rasen mit. Vor fünf Jahren haben sie gegenüber auf dem Wasen vor sechzigtausend Menschen anlässlich des zwanzigjährigen Bandbestehens ihr nicht zu toppendes Konzert für die Ewigkeit gegeben. Zur Silberhochzeit folgt nun abermals ein Novum. Gute alte Sitte ist, dass die Fantastischen Vier ihre Tourneen in der Schleyerhalle ausklingen lassen, zunächst mit einem Konzert, das in der Regel so fix ausgebucht ist, dass ein Zusatztermin anberaumt wird. Diesmal indes reichen zwei Abende nicht, es musste ein dritter her. Was für ein fantastischer Beleg für das Standing und die Wertschätzung dieser Truppe, die ihre Tournee diesmal trocken in Braunschweig beginnen ließ und – auch das ist anders als gewohnt – im Januar dann im Rest des deutschsprachigen Raums fortsetzen wird.

Großes Tennis gleich zum Auftakt

Man spricht schließlich Deutsch, und das aus gutem Grund. „25 Years“ heißt das Lied, das die drei Sänger nun auf dem Podest anstimmen, die aufgepäppelte Version des von Don Snows Falsettgesang geschwängerten The-Catch-Diskoklassikers. Tolle Nummer, anschließend – zum ersten Song! – Konfettiregen in der Halle. Großes Tennis gleich zum Auftakt, groß gefeiert tatsächlich von einem zu Recht sofort berauschten Publikum, das bei Versen wie „täglich 25 Stunden für dich da“ so mitgeht, wie geübte Schleyerhallenbesucher es nur selten sehen. Treueste Liebhaber also.

„Troy“, die selbstvergewissernde Hymne für das Band zwischen Band und Fans, kommt, wie es auch gute Tradition ist, als letzter Song der üppigen Zugabe. Davor zünden sie ihre Kracher. Das nach wie vor herausragende „MFG“, den längst zum Klassiker avancierten „Picknicker“, das den Übermut der jungen Jahre ausstrahlende „Was geht“, den rockigsten Song des dreißig Stücke langen Abends, „Ernten was wir säen“ (inklusive, wer hätte das jemals gedacht: Gitarrensolo!), und schließlich, nomen est omen, „Populär“. Fünf Songs aus fast allen Schaffensphasen und fünf Belege, warum die bekannteste Band Stuttgarts längst auch eine der bekanntesten Bands Deutschlands ist.

Die andere Hälfte wird im regulären Teil des Konzerts gegeben. „Yeah Yeah Yeah“, „Dicker Pulli“, „Sie ist weg“, „Einfach sein“ und der „Tag am Meer“ als letztes Stück vor der Zugabe; schaut man sich die anderen Stars an, die in den vergangenen Wochen in der Schleyerhalle ein Feuerwerk ihrer größten Erfolge präsentiert haben – Elton John oder Bryan Adams etwa – , müssen sich die Fantastischen Vier allein schon in Sachen Hitquantität nicht vor großen Namen verstecken.

Grundsolide Band mit zwei Schlahzeugern

Dazwischen allerdings, Herr Michael Bernd Schmidt alias Smudo hat die Bandbefindlichkeiten vor einigen Wochen im StZ-Interview bereits angedeutet, wird das Erfolgsmaterial einfach auch mal links liegen gelassen und Raum für Unerwartetes gewährt. Für die zugegeben etwas esoterischen Songs des Herrn Thomas Dürr alias Thomas D etwa, für die Knöpfchenspielereien des Chefkomponisten Andreas Rieke alias And Ypsilon, für den sich den Mund fusselig rappenden Michi Beck und die – mit zwei Schlagzeugern – grundsolide grundierende Band.

Das optische Bild dazu ist mit üppig dimensionierten Videowänden und allerlei Bühnenzierrat auf Hauptstadtniveau, das klangliche Bild allerdings nicht vom Feinsten: die Stimmen sind deutlich zu leise ausgesteuert, die Reimpracht und Versdrechselkunst müssen sich die Zuhörer folglich aus dem Gedächtnis kramen. Das wiederum funktioniert bei den „Troy“esten, die sich umgehend Tickets für den Premierenabend gesichert haben, am Freitagabend zumindest bestens.

Und so hören sie also im bombigen Eröffnungsstück die Verse „Seit unser Name fällt, denkt keiner mehr an Marvel-Helden“. Das stimmt natürlich, kein Hahn kräht mehr nach den seltsamen amerikanischen Comic-Heftchen, die Fantastischen Vier indes sind Inbegriff für richtig gute und vor allen Dingen fantasievolle deutsche Popmusik geworden. „Hätten sie sich noch ein bisschen Zeit genommen, wären sie sicher auch so weit gekommen“ heißt noch so einer der Reime in diesem Lied, rotzfrech auf die Beatles gemünzt, anmaßend freilich, aber das Prinzip Dicke Hose haben sich die vier Familienväter (schlag nach im Video zu „25 Years“) auch nach 25 Jahren noch bewahrt. Wie auch den neugierig auf die Welt staunenden Blick, der sie von allen anderen deutschen Sprechgesangsartisten und Möchtegernartisten abhebt und sie übrigens – das wird in den Ansagen deutlich – auch demutsvoll auf der Bühne der Schleyerhalle stehen lässt.

Stuttgart verneigt sich

Sinnbildlich dafür vielleicht die zwei Fragen, die Thomas D selbstreflexiv gegen Mitte des Konzerts stellt: „Was sind wir? Und was machen wir hier eigentlich?“ Er zögert einen Moment, dann schiebt er die Worte „Wir machen Kunst“ nach. Ja? Nein? Jein? Soll ich’s wirklich machen oder lass ich’s lieber sein? Es spielt in diesen Momenten keine Rolle, Kunstanspruch hin und bloße Unterhaltung her. Ein Vierteljahrhundert neigt sich. Und Stuttgart verneigt sich.