Korrespondenten: Inna Hartwich

„Gehst du etwa auch auf den Platz“, fragte Maxims Mutter am Telefon. Da war es gerade November, und einige Studenten hatten sich auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew, dem Maidan, versammelt, um ihren Unmut über das nicht unterschriebene Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union kundzutun. Sie waren sauer auf Viktor Janukowitsch, damals noch ihr Präsident, wenn auch zu der Zeit schon ein unbeliebter. Maxim murmelte ein kurzes „Mmh“. Die Mutter begriff nicht, warum die Studenten auf dem Platz standen, warum es später Zehntausende Menschen wurden, warum auch ihr Junge dahin gehen musste. In Belgorod war er doch auch nicht politisch engagiert gewesen. Doch Maxim hat sich seit dem Umzug in die Ukraine verändert. Hat viel über das Land erfahren, über die Kultur, hat es bereist, Ukrainisch gelernt. Über seine Schönheit kommt er heute oft ins Schwärmen.

 

„Als ich auf dem Maidan ankam und man mich fragte, woher ich stamme, hatte ich erst Bedenken zu sagen: aus Russland.“ Dann aber hätten ihm die Demonstranten Borschtsch angeboten, mit ihm geplaudert. Zu dem Zeitpunkt habe er längst begriffen, dass die Menschen selbst Verantwortung übernehmen müssten, wollten sie, dass sich in ihrem Leben, in ihrem Land etwas ändere. Das aber hieß nicht nur Widerstand gegen die Regierung, sondern auch Widerstand in der Familie, eine Zerreißprobe. Katja und Maxim hatten es sich leichter vorgestellt.

Die Fernsehpropaganda wirkt bei der russischen Verwandtschaft

Das Paar packte Kleidung ein, immer mal wieder Essen, und brachte Nachschub auf den Maidan. Maxims Mutter sagte in den Telefonhörer nur noch: „Pass auf dich auf, Junge, denn Russen werden von den Ukrainern ständig bedrängt. Im Fernsehen, da zeigen sie das ganz genau.“ Maxim wird auch heute noch wütend, wenn er daran denkt. „Ich werde hier nicht angegangen, man muss mich weder beschützen, befreien oder rausholen.“ Er könne jederzeit Russisch sprechen und sei kein einziges Mal schikaniert worden. Im Gespräch mit seinen Eltern wiederholt er die Sätze immer wieder, als ob sie ihm nicht zuhören, ihn nicht verstehen. „Warum glauben meine Eltern und meine Freunde dieser Fernsehpropaganda“, fragt sich Maxim und kann die Reaktionen nicht fassen. „Warum glauben sie nicht mir, wenn sie mit mir sprechen?“

Es ist die Enttäuschung darüber, dass er einen guten Freund verlor, als dieser ihm auf die Frage „Wie geht’s?“ ein „Was bist du denn für ein Mann? Ein Verräter, ein Feind! Du stehst unter dem Einfluss von westukrainischen Faschisten“ entgegnete. Maxim hat nie wieder mit dem Freund gesprochen. Mit Argumenten komme man da nicht weit, sagt er. Er und Katja sind auch enttäuscht darüber, dass ihre Sommerreise in diesem Jahr wohl nicht auf die Krim führen wird, so wie das immer war.

Maxim hat sich seit dem Umzug in die Ukraine verändert

„Gehst du etwa auch auf den Platz“, fragte Maxims Mutter am Telefon. Da war es gerade November, und einige Studenten hatten sich auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew, dem Maidan, versammelt, um ihren Unmut über das nicht unterschriebene Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union kundzutun. Sie waren sauer auf Viktor Janukowitsch, damals noch ihr Präsident, wenn auch zu der Zeit schon ein unbeliebter. Maxim murmelte ein kurzes „Mmh“. Die Mutter begriff nicht, warum die Studenten auf dem Platz standen, warum es später Zehntausende Menschen wurden, warum auch ihr Junge dahin gehen musste. In Belgorod war er doch auch nicht politisch engagiert gewesen. Doch Maxim hat sich seit dem Umzug in die Ukraine verändert. Hat viel über das Land erfahren, über die Kultur, hat es bereist, Ukrainisch gelernt. Über seine Schönheit kommt er heute oft ins Schwärmen.

„Als ich auf dem Maidan ankam und man mich fragte, woher ich stamme, hatte ich erst Bedenken zu sagen: aus Russland.“ Dann aber hätten ihm die Demonstranten Borschtsch angeboten, mit ihm geplaudert. Zu dem Zeitpunkt habe er längst begriffen, dass die Menschen selbst Verantwortung übernehmen müssten, wollten sie, dass sich in ihrem Leben, in ihrem Land etwas ändere. Das aber hieß nicht nur Widerstand gegen die Regierung, sondern auch Widerstand in der Familie, eine Zerreißprobe. Katja und Maxim hatten es sich leichter vorgestellt.

Die Fernsehpropaganda wirkt bei der russischen Verwandtschaft

Das Paar packte Kleidung ein, immer mal wieder Essen, und brachte Nachschub auf den Maidan. Maxims Mutter sagte in den Telefonhörer nur noch: „Pass auf dich auf, Junge, denn Russen werden von den Ukrainern ständig bedrängt. Im Fernsehen, da zeigen sie das ganz genau.“ Maxim wird auch heute noch wütend, wenn er daran denkt. „Ich werde hier nicht angegangen, man muss mich weder beschützen, befreien oder rausholen.“ Er könne jederzeit Russisch sprechen und sei kein einziges Mal schikaniert worden. Im Gespräch mit seinen Eltern wiederholt er die Sätze immer wieder, als ob sie ihm nicht zuhören, ihn nicht verstehen. „Warum glauben meine Eltern und meine Freunde dieser Fernsehpropaganda“, fragt sich Maxim und kann die Reaktionen nicht fassen. „Warum glauben sie nicht mir, wenn sie mit mir sprechen?“

Es ist die Enttäuschung darüber, dass er einen guten Freund verlor, als dieser ihm auf die Frage „Wie geht’s?“ ein „Was bist du denn für ein Mann? Ein Verräter, ein Feind! Du stehst unter dem Einfluss von westukrainischen Faschisten“ entgegnete. Maxim hat nie wieder mit dem Freund gesprochen. Mit Argumenten komme man da nicht weit, sagt er. Er und Katja sind auch enttäuscht darüber, dass ihre Sommerreise in diesem Jahr wohl nicht auf die Krim führen wird, so wie das immer war.

Die Regisseurin kam auf der Krim zur Welt. Als Siebenjährige verließ sie die Halbinsel und fährt seitdem jedes Jahr dorthin, für ein paar Tage nur, manchmal auch für Wochen. Schön sei es am Schwarzen Meer, die Verwandten lebten da. Doch wie lange noch? Die Tante würde am liebsten heute schon die Koffer packen, sie wolle keine Russin werden. Der Onkel aber wolle bleiben. Es sei schließlich ihr Zuhause, sie könnten unmöglich weg. Die Frau des Cousins habe für den Anschluss der Krim an Russland gestimmt. „Für ihn war das ein Schock“, erzählt Katja. „Ein totaler Vertrauensbruch“ – unverständlich. Ähnlich erging es einem Freund aus Kiew. „Du musst herkommen, nach Sewastopol, deinen neuen Pass abholen“, drängten seine Eltern. Der Freund aber wollte nicht. Seine Mutter ruft seither ständig an und beschimpft ihn: „Es ist deine ukrainische Ehefrau, die hat dir die Flausen in den Kopf gesetzt, diese Faschistin!“

Die Telefonate mit der Familie in Russland sind knapper

Solche Vorwürfe erschüttern Katja, und doch ist sie froh, dass ihre eigene Schwiegermutter weniger harsch reagiert. Allerdings fallen die Telefonate mit der Familie in Russland wesentlich knapper aus als früher. „Hast du gegessen? Wie ist das Wetter bei euch? Ist auf der Arbeit alles okay“, wollen die Eltern von Maxim wissen. Dabei gäbe es so viel anderes, über das man reden könnte. Werden sich die Russen auch die Ostukraine einverleiben? Warum handelt die ukrainische Übergangsregierung nicht aktiver? Wie wird man diese Angst los? Diese verdammte Angst, die seit Januar im Körper sitzt und nicht weggehen will? „Mama, verstehst du das?“ Doch es bleibt all das unausgesprochen, wozu eigentlich alle etwas zu sagen hätten.