Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)

In der Textfassung von Vasco Bosnisch und Tobias Staab darf Benny Claessens die Wut des Erzählers über den berühmten französischen Schriftsteller herausbrüllen, der 25 Mal „der Araber“ schrieb. Er darf aber eben auch die verletzte Eitelkeit herausstellen, geifern, dass sein Bruder – hätte er einen Namen und eine Identität verliehen bekommen – womöglich so berühmt geworden wäre wie Meursault. Und dass sie eine „Märtyrerwitwenrente“ bekommen hätte, wie in beleidigtem Ton Elsie de Brauw hinzufügt, die Moussas Mutter spielt und „Gefallen am Martyrium“ findet. Wie Meursault hat auch Haroun eine Freundin, Sandra Hüller sagt als Daouds Meriem Sätze, die eigentlich von Camus’ Maria stammen. Mit heller Stimme triumphiert sie „ich bin brauner als du“ und hüpft um den Freund herum, Meursault/Haroun (Benny Claessens). Zärtlich umwinden sie sich, seltene Momente der Nähe entstehen.

 

Der suadahafte Roman ist mit seiner permanenten Leseranrede an Dramatik ansonsten eher arm. Auch gibt es keine Entwicklung, denn wie sollte man nicht auf der Seite des so lange namenlosen Opfers sein? Es geht Johan Simons aber weniger um „die Gegendarstellung“, eine Abrechnung oder Verurteilung, als darum, zu zeigen, wie die Menschen durchs Leben taumeln und wanken. Zur dissonanten Musik rennen, tanzen die Schauspieler, wirbeln Staub auf, und können doch keine Orientierung finden in diesem riesigen Raum. Sie werfen fünfzig Meter lange Schatten, man sieht überhaupt nur noch Schatten, keine Figuren – so wie man in dieser literarisch-musikalischen Untersuchung den Schatten von Figuren sowie lang zurückliegende Ereignisse umkreist, zur Sprache bringt. Die Überwölbung der Halle hat etwas von einer Kirche. Doch ist dort kein Heiligenbild. Dort ist: Nichts. Bei allem Nihilismus, bei aller Düsternis ist aber ein lebensbejahender, ein weiß-blauer Tupfen – Sandra Hüller weltverloren tanzend – das letzte grandiose bewegte Bild des heftig gefeierten Abends.

Weitere Aufführungen: 8., 9. 10. September