An der Fensterfront sitzen die Mädchen. Sie melden sich nur zu Wort, wenn sie dazu aufgerufen werden. Ansonsten starren sie gedankenverloren in die Bücher, kichern oder spielen mit ihren Haaren. „Deutschland verdirbt die Kinder“, klagen die Väter in Frau Menichettis Sprechstunde.

 

Den Mädchen gegenüber sitzt der Klassenschönling aus Griechenland, der lieber flirtet, als im Unterricht mitzuschreiben. Ganz anders Mohammad aus Afghanistan. Ständig meldet er sich. Seine Familie möchte ihn bald aufs Gymnasium schicken. Seine Lehrerin ist realistischer: „Es würde ihn überfordern.“

Jeden September steht Michaela Menichetti vor neuen Gesichtern. „Ich habe so viele Schicksale in den Jahren erlebt.“ 1979  begann sie in den ersten Vorbereitungsklassen der Eduard-Spranger-Schule Deutsch zu unterrichten. „Ich habe mich mit Ausländerpädagogik beschäftigt, bevor das überhaupt Thema war.“ Mit vielen ehemaligen Schülern hält sie noch Kontakt. „Einige haben es bis an die Uni geschafft.“ Diese Geschichten erzählt sie gern.

Der Ehemann als Musterbeispiel

Menichetti ist in Deutschland geboren, aber ihre Familie stammt aus Italien. Sie redet gern und viel mit den Händen, Gestikulieren liegt ihr quasi im Blut. Sie hat Deutsch und Sport studiert, in den Nebenfächern Psychologie und Pädagogik. Sie weiß, dass die sprachliche Integration ihrer Schüler die Voraussetzung für eine funktionierende deutsche Gesellschaft ist. Ihr Mann Bayram kam einst als 18-Jähriger aus der Türkei nach Deutschland. Heute ist er Sozialarbeiter in der Bruderhaus-Diakonie und somit ein Musterbeispiel dafür, dass es auch Späteinsteiger ins hiesige Bildungssystem schaffen können.

Montagvormittag: Deutschunterricht bei Frau Menichetti. Vor den Schülern liegen Wörterbücher. Deutsch-Arabisch, Deutsch-Griechisch, Deutsch-Polnisch. Alex hat die ganze Woche sein Vokabelheft nicht mitgebracht, Frau Menichetti schickt ihn zur Strafe vor die Tür.

Mit 15 Jahren hat Alex seine dritte Migration hinter sich: in Russland geboren, in Portugal aufgewachsen, vor sechs Monaten in Deutschland angekommen. Er spricht vier Sprachen fließend: Russisch, Ukrainisch, Portugiesisch und Englisch. Alex zieht im Unterricht nie seine Jacke aus, so als ob es sich nicht lohnen würde, weil er ohnehin nicht lange bleibt. Frau Menichetti zerbricht sich den Kopf, wie sie den Jungen motivieren soll. „Wegen seiner Intelligenz schnappt er vieles beiläufig auf, aber er lernt und arbeitet nicht präzise.“

Das Leben in der Fremde

An der Fensterfront sitzen die Mädchen. Sie melden sich nur zu Wort, wenn sie dazu aufgerufen werden. Ansonsten starren sie gedankenverloren in die Bücher, kichern oder spielen mit ihren Haaren. „Deutschland verdirbt die Kinder“, klagen die Väter in Frau Menichettis Sprechstunde.

Den Mädchen gegenüber sitzt der Klassenschönling aus Griechenland, der lieber flirtet, als im Unterricht mitzuschreiben. Ganz anders Mohammad aus Afghanistan. Ständig meldet er sich. Seine Familie möchte ihn bald aufs Gymnasium schicken. Seine Lehrerin ist realistischer: „Es würde ihn überfordern.“

Jeden September steht Michaela Menichetti vor neuen Gesichtern. „Ich habe so viele Schicksale in den Jahren erlebt.“ 1979  begann sie in den ersten Vorbereitungsklassen der Eduard-Spranger-Schule Deutsch zu unterrichten. „Ich habe mich mit Ausländerpädagogik beschäftigt, bevor das überhaupt Thema war.“ Mit vielen ehemaligen Schülern hält sie noch Kontakt. „Einige haben es bis an die Uni geschafft.“ Diese Geschichten erzählt sie gern.

Der Ehemann als Musterbeispiel

Menichetti ist in Deutschland geboren, aber ihre Familie stammt aus Italien. Sie redet gern und viel mit den Händen, Gestikulieren liegt ihr quasi im Blut. Sie hat Deutsch und Sport studiert, in den Nebenfächern Psychologie und Pädagogik. Sie weiß, dass die sprachliche Integration ihrer Schüler die Voraussetzung für eine funktionierende deutsche Gesellschaft ist. Ihr Mann Bayram kam einst als 18-Jähriger aus der Türkei nach Deutschland. Heute ist er Sozialarbeiter in der Bruderhaus-Diakonie und somit ein Musterbeispiel dafür, dass es auch Späteinsteiger ins hiesige Bildungssystem schaffen können.

Kleine Pause. Michaela Menichetti verschlingt ein Käsebrot im Stehen, sie hat heute noch nichts gegessen. Vor ein paar Tagen hat sie sich in der Schule den linken Fuß gebrochen, ausgerechnet als sie mit den Schülern für das Klassenfoto fotografiert wurde. Sie knickte auf einer Stufe um, dumm gelaufen. Mit gelben Krücken humpelt sie nun über den Pausenhof, anstatt sich krankschreiben zu lassen.

Stefan Hochgreve, Schulleiter und Mathematiklehrer in den Kooperationsklassen, kennt Frau Menichetti seit Jahren. Er kann sich nicht daran erinnern, dass seine Kollegin jemals länger ausgefallen sei. Für die Arbeit in den Kooperationsklassen sei sie unersetzlich. „Ihr Engagement kann ich ihr nur teilweise vergüten.“

Ein schrecklicher und schöner Job

Die Lehrerin hat ihre eigenen Methoden. Vertretungen organisiert sie selbst. Darf ein Schüler nicht an einem Ausflug teilnehmen, bleiben alle zu Hause. Sie spricht die Muttersprachen der halben Klasse: Türkisch, Italienisch, Englisch, Französisch. In Spanisch, Russisch, Griechisch und Kurdisch hat sie Grundkenntnisse. Manchmal ist sie streng: Wenn das Handy eines Schülers klingelt, wird es sofort konfisziert. Dann wirkt sie wieder, als sei sie abwesend, als schwirrten ihr tausend Dinge durch den Kopf. „So“, sagt sie zwischen den Sätzen, als ob sie sich wieder ins Hier und Jetzt zurückholen müsste. Wenn sie um die beste Formulierung ringt, verliert sich ihr Blick. Ihre tiefe Stimme klingt manchmal müde.

Ihr Job ist schrecklich und schön. „Wenn ich sehe, dass sich Schüler nicht anstrengen, möchte ich am liebsten nicht weitermachen“, sagt sie. Aber auch: „Wenn jemand meine Hilfe braucht, dann helfe ich natürlich.“ Das Mobiltelefon ist immer eingeschaltet. „Ein Lehrer hat kein Wochenende.“ Das bekommt auch ihre 16-jährige Tochter zu spüren, die sich ihre Mutter mit zig anderen Jugendlichen teilen muss.

Mittwochvormittag in der Deutschstunde. „Was ist wertvoll für euch?“, fragt die Lehrerin. „Zeit“, sagt einer, „Familie“ ein anderer. „Sprecht in ganzen Sätzen“, ermahnt Frau Menichetti die Schüler. Ein paar von ihnen lachen über einen Jungen, der nur in Silben spricht. Frau Menichetti wird wütend. „Ihr habt nur euch!“, ruft sie.

Viele Hürden stehen vor den Schülern

Manchmal sieht sie in der Abgeschiedenheit der Schüler auch Nachteile. „Aber wie könnten wir so viele Migranten in eine normale Klasse integrieren? Es ist auch schon schiefgegangen.“ Immer melden sich die Gleichen zu Wort, die zwei, drei Fleißigen, die es wirklich schaffen wollen. Menichetti ist nicht glücklich darüber: „Ihr habt ein Ziel, ihr wollt besser sein. Das kommt nicht von allein.“ Die Schüler schweigen. „Warum lernt ihr nicht? Nennt mir die Gründe.“ Keiner meldet sich.

Die Pausenglocke klingelt, und die Schüler stürmen hinaus. Zurück in der Klasse bleibt Aylin. Ständig klagt sie über Unterleibsschmerzen, eine Folgeerscheinung der Entbindung in Bulgarien. Aylin bittet darum, früher gehen zu dürfen. Vor der Tür weint sie. Frau Menichetti nimmt das Mädchen in den Arm.

Ihre Schüler müssen viele Hürden überspringen, um den Hauptschulabschluss zu erreichen, und selbst die intelligentesten kommen dabei mitunter ins Straucheln. Manche waren Klassenbeste in ihren Geburtsländern und scheitern in Deutschland an der fremden Sprache – oder den fremden Sitten. „Sie haben ein bestimmtes Bild von Familie, Freundschaft und Schule. Nichts davon finden sie hier.“

Letzte Stunde. Die Schüler sitzen im Kreis. Es geht darum, gemeinsam eine Geschichte zu erzählen. Der erste Schüler sagt „Ich sitze . . .“, der nächste sagt „. . . im Grünen . . .“, ein dritter sagt „. . . und ich liebe . . .“ Großes Gelächter, denn nun ist die Lehrerin an der Reihe. Die Schüler schauen sie gespannt an. „Ich liebe euch alle“, sagt Frau Menichetti.