Ganz schön mickrig sind die Japanischen Schnurbäume rund um die neue Reutlinger Stadthalle. Von den grünen Visionen der Architekten ist die Realität weit entfernt. Jetzt sucht die Stadtverwaltung nach den Schuldigen.

Reutlingen - Von Baumkrone zu Baumkrone reicht der grüne Teppich, der die Reutlinger Stadthalle auf Höhe des Balkons umhüllt. Seine florale Optik bildet einen Kontrapunkt zur strengen Geometrie des 46-Millionen-Euro-Baus, dem neuen Schmuckstück und kulturellen Mittelpunkt der Stadt. Doch von der organischen Opulenz der 69 Japanischen Schnurbäume – wie sie die Architekten in Aussicht gestellt haben – ist nichts zu sehen. Im Gegenteil: Der Platz bietet ein tristes Bild. Die mindestens zehn Jahre alten Bäume wollen nicht recht wachsen; viel Grau, kaum Grün begrüßt die Besucher. Und wenn das von der Stadt beauftragte Gutachterbüro Roland Dengler, das die Misere um die Bäume ausgelotet hat, recht behält, werden die schönen Entwürfe der Architekten für immer Vision bleiben.

 

Bei den Schnurbäumen reiht sich eine Panne an die andere, kritisiert der Gutachter. Er hat in aller Ausführlichkeit dokumentiert, was alles schiefgelaufen ist. Drei Bäume durften die Experten fällen, sie machten Jahresringanalysen, untersuchten die Wurzelballen und nahmen Bodenproben. Die Mängelliste ist lang, die Mehrkosten für den gesamten Bürgerpark, der eines Tages 130 Bäume umfassen soll, werden auf 2,7 Millionen geschätzt. Vieles, was in der Ausschreibung gefordert wurde, sei nicht eingehalten worden: Die Pflanztröge wiesen statt der geplanten zwölf Kubikmeter nur ein Drittel des Volumens auf, und die Wurzeln hätten viel zu wenig Platz. Auch sei die Qualität der gelieferten Bäume so schlecht, dass alle hätten ausgetauscht werden müssen.

Zu verschieden sind die Bäume, um jemals gleich auszusehen

Die Bäume, die ein einheitliches Bild abgeben sollen, seien zu verschieden. Sie stammten nicht aus einer Charge, sondern aus zwei. Sie seien unterschiedlich alt, kämen aus unterschiedlichen Herkunftsquartieren und seien nicht so oft umgepflanzt worden, wie es für einen optimalen Wuchs gut gewesen wäre. Zudem seien die einen aus Sämlingen gezogen worden, die anderen dagegen aus einer veredelten Form. Charge eins würde eine ausladende Krone entwickeln, Charge zwei hoch aufgerichtete Äste und eine steilere Krone.

Zu allem Unglück sei ein Teil der Bäume mitten im Winter gepflanzt worden – kurz vor der Eröffnung der Stadthalle im Januar 2013. Damals standen die frostempfindlichen Pflanzen tagelang ohne einen Wurzelschutz auf der Baustelle, bemängeln die Gutachter. Es habe außerdem anfangs Probleme mit der Bewässerung gegeben, und später habe noch heftiger Hagel den Bäumen zugesetzt.

Der Schaden infolge der Bau- und Planungsfehler ist groß, auf 360 000 Euro schätzt ihn die Kommune. Hinzu könnten die Kosten für bis zu zwanzig Bäume kommen, die ersetzt werden sollen. Die potenziellen Ansprüche an die Baumschule, die die Pflanzen geliefert hat, sind allerdings schon verjährt. Unausweichlich scheint die Vergrößerung der Pflanzgruben. 20 Kubikmeter Platz sollen die Bäume künftig erhalten, genug, um in dem hoch verdichteten Boden rund um die Stadthalle ihre Wurzeln ausbilden zu können. Der Beginn der Sanierungsarbeiten soll im Herbst 2017 sein. Für die Kosten hafte in erster Linie das Stuttgarter Büro Kienleplan, so sieht es zumindest die Reutlinger Stadtverwaltung, denn die Landschaftsarchitekten hätten den Park nicht nur geplant, sondern auch den Bau überwacht.

Kienleplan weist die massive Kritik zurück

Die Vorwürfe kann Urs Müller-Meßner, der Geschäftsführer von Kienleplan, nicht nachvollziehen. „Wir haben keine eklatanten Fehler gemacht“, wehrt er die Kritik ab, das Gutachten habe er bis heute nicht erhalten. Die Größe der Pflanzgruben betrage nahezu die geforderten zwölf Kubikmeter, argumentiert Müller-Meßner, und zudem halte er die Entwicklung und den Wuchs der Bäume für ziemlich positiv.

Das Baumproblem im Bürgerpark hält nicht nur die Baubürgermeisterin Ulrike Hotz für ärgerlich, die sich einen großen Teil der Kosten von Kienleplan und der Landschaftsbaufirma Meyer aus Villingen-Schwenningen zurückholen möchte. Auch Reutlingens Stadträte haben genug von der Posse, bei der jeder jede Schuld von sich weist. In einem gemeinsamen Antrag forderten die Grünen und die CDU Akteneinsicht in die Causa Schnurbaum. Der CDU-Rat Karsten Amann kämpfte sich durch etliche der 106 Ordner und sieht vor allem bei den Pflanzgruben Versäumnisse. Letztlich müsse geklärt werden, wer für das unzureichende Wachstum der Bäume verantwortlich sei, sagt Amann. Womöglich habe an der einen oder anderen Stelle auch die Stadtverwaltung dazu beigetragen.

„Es wurden viele Fehler gemacht, die in der Summe zu einem Fiasko führten“, urteilt die Grünen-Gemeinderätin Susanne Müller, die sich ebenfalls in die Materie eingelesen hat. „Der Schaden ist wohl viel größer als bisher angenommen“, sagt sie nach der Lektüre und befürchtet, dass es mit dem Austausch von ein paar wenigen Bäumen nicht getan ist. Am meisten wundert Müller, dass im Vorfeld der Planung für den Bürgerpark die Bodenverhältnisse nicht ausreichend untersucht wurden. „Wenn um die Bäume herum nur Schotter und Steine liegen, wie sollen die denn dann wachsen“, fragt sie sich.

Das einzige, was in diesem Fall kontinuierlich wächst, sind die Kosten. Nicht genug damit, dass das Sanierungskonzept für die angeschlagenen Bäume ordentlich zu Buche schlagen wird. Viel teurer als anfangs kalkuliert, ist auch das Gutachten des Büros Dengler. Das vereinbarte Honorar stieg von ursprünglich 25 000 Euro auf mittlerweile 192 000 Euro. Ein „Wahnsinnsbetrag“, wie der von der Stadt beauftragte Anwalt kritisierte, schließlich habe man keine „botanische Dissertation“ bestellt. Gezahlt wurden schließlich 75 000 Euro, ob ein Rechtsstreit folgt, ist offen.