Von 1961 bis 1995 war Birgit Keil ein Star des Stuttgarter Balletts. Entdeckt und gefördert hatte sie John Cranko. Jetzt ist sie in Karlsruhe selbst Chefin einer Ballettkompanie. Am Montag wird sie 70 Jahre alt.

Stuttgart - Manchmal verlieben sich Komponisten, Schriftsteller und Choreografen so sehr in die Künstler, die ihre Werke und Geschöpfe auf der Bühne lebendig werden lassen, dass sie Rollen auf sie zuschneiden. Mozart stichelte die Koloraturen der Königin der Nacht ins Stimmfutter seiner Schwägerin Josepha Hofer, Bellini zog die Tonperlen der Norma für Giuditta Pasta auf, und Thomas Bernhard erfand ein Stück, das gar als Titel die Namen der Schauspieler trägt, die es erstmals aufführten: „Ritter, Dene, Voss“ – Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss. Bernhard war allerdings nicht der erste, der diese Titel-Idee hatte. 1972 kam in Stuttgart John Crankos Choreografie „Initialen R.B.M.E.“ auf Johannes Brahms’ zweites Klavierkonzert B-Dur heraus, in der der geniale Ballettchef den individuellen Persönlichkeiten seiner Kompaniestars Richard Cragun, Birgit Keil, Márcia Haydée und Egon Madsen huldigte.

 

In Jürgen Roses Pastell-Bühnenbild verschmelzen Kunst und Leben, professionelle und private Sphäre: die vier Tänzer in leicht gespannter rivalisierender Freundschaft huldigen dem reinen Tanz, der Liebe. Birgit Keil ist die zweitjüngste im Quartett, das Gegenmodell zu Haydée, der sieben Jahre älteren, deren Vitalität sie ihre „imperialer Allüre“ entgegensetzt, so der Kritiker der „Zeit“ damals, ohne sich ganz „hinter Marcia Haydée zu behaupten“. Nun, das hielt die ätherische Keil aus, diszipliniert wie sie als Ballerina war, auch abseits der Bühne immer Dame. Und der lange Atem belohnte sie, die Einsicht, aber auch die Gewissheit trug reiche Früchte, dass sie als Teil dieser Viererbande ebenso unersetzlich für die anderen sei, wie ihr etwas fehlen würde ohne sie.

Trotz vieler Angebote – Keil bleibt Stuttgart treu

Und so war Birgit Keil Teil der Rettungstruppe des Stuttgarter Balletts, als sein Kopf John Cranko im Juni 1973 überraschend auf dem Rückflug von einem Gastspiel in New York starb.

Wie für Cragun, Haydée und Madsen mangelte es Birgit Keil nicht an attraktiven Angeboten von außerhalb. Doch alle blieben, als Crankos Statthalter – und garantierten so das Weiterblühen des Stuttgarter Ballettwunders; erst unter der unglücklich-kurzen Leitung von Glen Tetley – mit dem Keil übrigens sehr gerne arbeitete, sie schätzte seine Stücke –, danach in einer zwei Dekaden umfassenden Konsolidierungsphase mit Marcia Haydée als Direktorin bis 1996. In diesen Jahren schöpfte Keil ihre ganzes Potenzial als Tänzerin mit schier endlosen hohen Beinen aus, wurde „eine der großen Tanz-Schauspielerinnen dieser Zeit“, wie der britische Tanzkritiker Clive Barnes schrieb.

In Stuttgart war eine ihrer Parderollen die Odette in „Schwanensee“, mit ihr gastierte sie in Wien, New York, London, an der Mailänder Scala. Keil war immer eine Anhängerin klassischer Linie, von Eleganz und Schönheitsglanz. Das hinderte sie nicht, vielseitig zu sein, sie trat auf in Werken von Jirí Kylián, John Neumeier, George Balanchine, Kenneth MacMillan, Heinz Spoerli, Hans van Manen und Uwe Scholz. Seit 1961 Mitglied des Stuttgarter Balletts, verabschiedete sie sich im Juli 1995 mit einer Gala von der wichtigen Bühne.

Talenteförderin, Pädagogin und Kompaniechefin

Danach begann Keils zweites Leben als Talenteförderin, Pädagogin und Kompaniechefin – immer mit dem Tanz- und Lebenspartner seit 1968 an der Seite: Vladimir Klos. 1997 beginnt sie an der Akademie des Tanzes der Staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Mannheim zu unterrichten, 2003 übernimmt sie außerdem die Direktion des Balletts des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe und schafft dort ein eigenes kleines (badisches) Ballettwunder. An diesem Montag gratuliert die Tanzwelt Birgit Keil zum siebzigsten Geburtstag. Stuttgart auch.