Die Urbanschule in Korb ist auf den Hund gekommen. Schulhund Anton, ein Mops, absolvierte beim Malteser Hilfsdienst eine zweijährige Ausbildung zum Besuchs- und Therapiehund - und tut den Kindern gut.

Korb - Anton stürmt voraus, hängt sich mit aller Kraft in sein Brustgeschirr. Die Leine spannt sich. Auf dem Fliesenboden im Gang der Korber Urbanschule ist das Scharren seiner kleinen Krallen zu hören. Anton ist ein Mops, und er ist im Dienst, gemeinsam mit seinem Frauchen, der Grundschulleiterin Susanne Kolbe, am anderen Ende der Leine. Von wegen kurzatmig: Anton ist auf Zack, und er weiß, wohin er will: zu seinen Schülern.

 

Als Erstes ist Mathe bei den Drittklässlern. Die Kinder erwarten den Schulhund schon. „Hallo Anton“, begrüßen sie ihn voll Freude, noch bevor der Mops die erste Pfote über die Schwelle gesetzt hat. Erst später, als die Kinder an ihren Plätzen sind, folgt im Chor ein artiges „Guten Morgen, Frau Kolbe“. Anton zieht nun nicht mehr an der Leine, sondern trippelt aufgeregt auf der Stelle, unschlüssig, welches Kind er zuerst begrüßen soll. Dabei wedelt er nicht nur mit seiner Ringelrute, das ganze Hinterteil wackelt mit. Susanne Kolbe leint ihren Anton los. Er flitzt zu den Kindern, wuselt nervös um sie herum, holt sich mal hier und mal da eine Streicheleinheit ab.

Rasch ist Ruhe im Klassenzimmer eingekehrt, denn die Schüler wissen: ihr Anton hat ein ganz feines Gehör, und lautes Schreien und Kreischen tut ihm in den Ohren weh. Das hat ihnen Susanne Kolbe erklärt. Im Erzählkreis zu Beginn der Unterrichtsstunde wissen die Kinder aber noch viel mehr über den Hund zu berichten. „Wenn man nicht aufpasst, dann holt sich der Anton das Vesper aus dem Ranzen“, sagt ein Mädchen. Damit der Mops nichts mopsen kann, müsse man die Schultasche immer gut zumachen. Dabei hat Anton immer auch ein eigenes Vesper, und zwar in dem großen Leckerlibeutel an Susanne Kolbes Gürtel.

Eine Win-Win-Situation

Die Leckerlis gibt es nicht umsonst, sie müssen erarbeitet werden – von den Kindern. Susanne Kolbe legt ein Blatt mit Rechenaufgaben in die Mitte des Erzählkreises. „Wer will eine Aufgabe lösen?“ 15 Zeigefinger schnellen in die Luft. Wer drankommt, erhält von der Rektorin ein Leckerli, das er auf das Rechenblatt werfen darf. Die Aufgabe, auf der es landet, muss dann gelöst werden. Wer das Ergebnis weiß, darf Anton dann das Leckerli geben. Diese Methode zieht: Alle machen eifrig mit.

Anton sporne die Schüler nicht nur zum Lernen an, sagt Susanne Kolbe. „Da läuft auch viel auf der emotionalen Ebene ab.“ Kinder, die im Unterricht zu weinen anfangen und bockig werden, weil nicht alles so klappt, wie sie wollten, fühlten sich, wenn der Hund dabei ist, bald wieder besser. „Anton hat dafür ganz feine Antennen.“ Wenn der Mops mit seinem knuffigen Gesicht und den großen Kulleraugen zum Schmusen komme, dann sei der Frust ganz schnell vergessen. „Er kanalisiert das.“

So begann auch Antons Pädagogenkarriere vor vier Jahren. „Wir hatten Geschwisterkinder in der Klasse, die kaum zu beschulen gewesen sind“, erzählt Kolbe. Ohne jede Empathie seien die beiden gegenüber ihren Mitschülern gewesen, so dass man sie immer wieder habe heimschicken müssen. Schließlich stand ein Ausflugstag an und damit die Frage im Raum: Kann man die beiden Störenfriede mitnehmen? „Aus dem Kollegium kam der Vorschlag, einen Hund mitzunehmen.“ Denn die positive Wirkung, die Tiere auf Kinder haben, war den Pädagogen bekannt.

Schmusen im Rektorat

So begleitete Kolbes Mops, damals erst ein Jahr alt, die Schülerschar. Und tatsächlich, der Hund habe die gesamte Aufmerksamkeit der Geschwister auf sich gebunden, sagt die Rektorin. Daraufhin habe man im Kollegium beschlossen, die Strategie weiter zu verfolgen. In Abstimmung mit den Eltern und mit Psychologen des Stuttgarter Olgahospitals kümmerte sich Kolbe mit ihrem Anton in Einzeltherapiestunden um die Geschwister. Anfangs hätten sie dem Mops noch übel mitgespielt, ihn gezwickt und mit Sand beworfen. Doch die Kinder lernten, sich in den Hund hineinzufühlen. „Vor allem der Ältere der beiden ist auch nach der Therapie immer wieder gerne zum Spielen und Schmusen ins Rektorat gekommen“, sagt Susanne Kolbe.

Damit auch die anderen von Anton profitieren können, beschloss die Rektorin, ihn als Schulhund auszubilden. Da einem Hund im Unterrichtsalltag doch einiges an Geduld und Nervenstärke abverlangt werde, wollte sie ihren Anton gut vorbereitet wissen. Beim Malteser Hilfsdienst absolvierte ihr Mops eine zweijährige Ausbildung zum Besuchs- und Therapiehund. Die Urkunde hängt nun in ihrem Büro, umringt von Fotografien, die Anton mit seinen Schülern zeigen. Gleichzeitig trat Susanne Kolbe den Weg durch sämtliche Instanzen an. Nachdem die Gesamtlehrerkonferenz, der Elternbeirat und die Gemeinde als Schulträger für das Vorhaben votiert hatten, klopfte Kolbe mit ihrem Projekt beim Schulamt an. Sie bekam die Erlaubnis – unter dem Vorbehalt, dass das Gesundheitsamt sein Einverständnis erteilt und die Rektorin zudem noch ein Konzept über den genauen Einsatz des Hundes vorlegt. Kolbe erfüllte alle Auflagen, und schließlich konnte Anton seinen Dienst antreten.

Neben ihm gibt es nach Auskunft der Staatlichen Schulämter noch sieben weitere Schulhunde in der Region Stuttgart. Wie viele Vierbeiner in ganz Baden-Württemberg zurzeit im Einsatz sind, ist nicht bekannt. An den Regierungspräsidien werden dazu keine Listen geführt. Jedoch organisieren sich die Herrchen und Frauchen der Schulhunde im Internet über das „Schulhundweb“, tauschen in Arbeitskreisen Erfahrungen und Informationen über die noch junge Pädagogikmethode aus.

Anton liebt die Kinder heiß und innig

Der erste Schulhund-Arbeitskreis wurde 2007 im Schwarzwald-Baar-Kreis gegründet. Inzwischen ist er wegen der großen Mitgliederzahl in eine Arbeitskreisgruppe Baden-Württemberg Nord und Süd aufgeteilt. Laut Bettina Brecht, eine der Ansprechpartnerinnen, gehören den beiden Arbeitskreisen inzwischen 100 Lehrer an. „Aber nicht alle haben im Moment ihren Hund im Einsatz.“

Auch Susanne Kolbe hat sich dem Schulhundweb angeschlossen. Ihr Mops fällt unter den vierbeinigen Lehrerassistenten aus dem Rahmen. „Der typische Schulhunde ist ein Golden Retriever oder ein Labrador“, sagt Kolbe. Letztlich komme es nicht auf die Rasse, sondern auf das Wesen an. Und das sei individuell ganz verschieden. So könnten etwa ihre beiden Mops-Hündinnen, eine davon ist Antons Tochter, dem Trubel in der Schule überhaupt nichts abgewinnen. Der inzwischen fünfjährige Anton hingegen liebe Kinder heiß und innig. „Wenn ich morgens zu Anton sage‚ heute gehen wir in die Schule, dann springt er schon freudig auf.“ Zwei bis drei Mal in der Woche darf er mit. Für die Kinder sind das immer die schönsten Schultage.

Nach der Mathestunde bei den Drittklässlern geht es in die große Pause, selbstverständlich mit Anton. Die achtjährige Gianna darf ihn in den Schulhof führen. Darauf ist sie mächtig stolz. Es sei „voll cool“, einen Hund an der Schule zu haben, sagt das Mädchen. „Der Hundedienst ist heiß begehrt“, sagt Kolbe. Wenn es darum gehe, den Mops in den Pausenhof, zu seiner Pipistelle auf dem Schulgelände oder ins Rektorat zu bringen, stehe gleich eine ganze Schar von Freiwilligen parat.

Körbchen vor der Tafel

Kaum hat Susanne Kolbe mit dem Mops den Pausenhof betreten, wird sie auch schon von einer Schülertraube umringt. Anton flitzt quer über das Gelände erst einer Frisbee-Scheibe nach, später dann einem großen Schaumstoffball. „Wenn Anton dabei ist, bräuchten wir eigentlich keine Pausenaufsicht“, sagt Kolbe. Zurück im Schulhaus wird der Mops bereits von den Viertklässlern zur Deutschstunde erwartet. Sein Körbchen haben die Kinder schon bereitgestellt, gleich vor der Tafel.