Sami Khedira hat sich beim 1:1 in Italien einen Kreuzbandriss zugezogen. Wenn kein Wunder geschieht, wird die WM in Brasilien ohne ihn stattfinden.

Stuttgart - Im Operationssaal der Hessingpark-Clinic in Augsburg versammelte sich am Samstag das geballte Fachwissen der internationalen Sportmedizin. Aus Spanien waren Jesús Olmo und Francisco Morate herbeigeeilt, die Teamärzte von Real Madrid; Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, der ewige Doktor der deutschen Nationalelf, kam aus Mailand. Sie alle schauten über die Schulter von Ulrich Boenisch, der nicht nur in Deutschland als großer Spezialist für Knieverletzungen gilt und die Operation übernahm – „erfolgreich“, wie Müller-Wohlfahrt hinterher berichtete.

 

Allerdings können auch die weltbesten Mediziner wenig daran ändern, dass Sami Khedira die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien zu verpassen droht. Mindestens ein halbes Jahr wird der Mittelfeldspieler ausfallen, nachdem er sich beim 1:1 der DFB-Auswahl am Freitagabend in Italien einen Innenbandriss sowie einen Riss des vorderen Kreuzbands im rechten Knie zugezogen hat. Hart war Khedira vorher von den Italienern attackiert worden – die Verletzung selbst aber zog er sich ausgerechnet bei einem eigenen Foul an Andrea Pirlo nahe der Mittellinie zu.

Bundestrainer Joachim Löw ist „unglaublich niedergeschlagen“

Eine böse Vorahnung hatte Joachim Löw schon in dem Moment, als Khedira in jener 65. Spielminute auf dem Rasen des Mailänder Stadions lag und verzweifelt Hilfe herbeiwinkte. Die Bestätigung folgte am späten Abend beim Bankett im Mannschaftshotel, wo eigentlich Löws 100. Länderspiel gefeiert werden sollte. Noch ehe Khedira im Rollstuhl aus dem Krankenhaus zurückkehrte, war dem Bundestrainer telefonisch die niederschmetternde Diagnose mitgeteilt worden. „Das war ein richtiger Genickschlag“, sagt Löw, „wir alle waren unglaublich niedergeschlagen.“ Khedira sei „eine große Persönlichkeit“, „ein unheimlich wichtiger Spieler“ – die Verletzung „hat uns sehr getroffen“.

Sein Taktgefühl gebietet es dem Bundestrainer, sich nicht unmittelbar danach öffentlich damit auseinanderzusetzen, dass die Weltmeisterschaft ohne den früheren Stuttgarter stattfinden könnte: „Es wäre falsch, sich jetzt schon festzulegen.“ Erst einmal wolle er die nächsten Wochen abwarten und verfolgen, wie der Heilungsprozess verläuft. „Irgendwann“ werde dann eine Entscheidung darüber fallen, ob es sinnvoll sei, Khedira mit nach Brasilien zu nehmen. Allerdings weiß Löw schon jetzt, dass es allenfalls „noch einen kleinen Funken Hoffnung“ gibt.

Khedira wird Löws Anforderungen kaum erfüllen können

Bereits seit Monaten weist der Bundestrainer darauf hin, dass die WM-Mission in Südamerika nur dann erfolgreich werden könne, wenn alle Spieler im Vollbesitz ihrer Kräfte sind. Dass Khedira diesen Anforderungen standhalten kann, gilt nach menschlichem Ermessen als zumindest sehr fraglich, wenn nicht ausgeschlossen (siehe auch das Interview: „Minimum sechs Monate – schneller geht es nicht“).

Weniger als sieben Monate sind es bis zum ersten Spiel dieser Weltmeisterschaft, die eigentlich das Turnier von Khedira werden sollte. Bei der WM 2010 in Südafrika hatte er von Michael Ballacks Verletzungspech profitiert und war Stammspieler geworden. In Brasilien wollte er im besten Fußballeralter von dann 27 Jahren als eine der großen Führungsfiguren dabei mithelfen, den WM-Titel nach Deutschland zu holen. Man kann sich vermutlich nur annähernd vorstellen, wie gewaltig das Ausmaß der Niedergeschlagenheit bei Sami Khedira seit Freitagabend ist.

Aus dem Luxusproblem wird ein akuter Notstand

Nicht nur für den Profi selbst, auch für die Nationalmannschaft bedeutet seine Verletzung einen herben Rückschlag. Khedira war zuletzt einer der wichtigsten Spieler in der DFB-Auswahl. Im zentralen Mittelfeld galt er als quasi unersetzbar – zumal der Münchner Bastian Schweinsteiger und Ilkay Gündogan von Borussia Dortmund schwer verletzt sind. Schweinsteiger musste sich gerade erst einer Operation am rechten Fuß unterziehen, bei der eine Verknöcherung außerhalb des Sprunggelenkes entfernt wurde. Und Gündogan muss wegen hartnäckiger Rückenprobleme seit seinem Kurzeinsatz im ersten Länderspiel der WM-Saison am 14. August gegen Paraguay (3:3) pausieren. Mit einer Rückkehr wird bei beiden erst im neuen Jahr gerechnet. Unklar ist, wie lange sie brauchen, um wieder in Form zu kommen.

Aus dem vermeintlichen Luxusproblem im Mittelfeld, als welches das Überangebot hochkarätiger Spieler einmal galt, ist spätestens mit Khediras Verletzung ein akuter Notstand geworden. Schon in Italien hatte Löw seinen Kapitän Philipp Lahm aus der Abwehr ins Mittelfeld beordert. „Es ist nach wie vor unser Plan, dass Philipp bei der WM hinten rechts spielt“, sagt Löw – und wird ahnen, dass er Khedira aus seinen Plänen wohl wird streichen müssen.