Ayvar ist ganz schlimm, Milchkaffeeflecken gehen auch sehr schwer raus. Die Familie Haug weiß das seit Generationen. Ihre Wäscherei macht Tübingen seit 1936 porentief rein.

Tübingen - Wenn er als Jugendlicher morgens um vier von einer Party heimkam, fand Hans Haug seine Mutter meistens am selben Platz, wo er sich am Abend von ihr verabschiedet hatte: vor dem Bügelbrett. Beide hatten die Nacht durchgemacht. Er mit Freunden, sie mit einem Berg Wäsche. Der einzige Weg ins Haus führte durch den elterlichen Betrieb, die Wäscherei. Schon lange gibt es eine richtige Haustür, trotzdem gehen auch heute Haugs erwachsene Töchter nicht außen rum. Vielleicht, weil sie die wichtigen Menschen in der Wäscherei antreffen. Den Vater, die Großeltern. Vielleicht, weil der Betrieb mehr noch als die Wohnung ihr Zuhause ist.

 

Man verirrt sich nicht in den Hinterhof in der Tübinger Belthlestraße. Wer in die Wäscherei Haug kommt, kommt seit Jahren und Jahrzehnten. Oder weil ihm jemand ein Glas Rotwein über die Strickjacke gekippt hat – garniert mit dem Tipp, das gute Stück zur Reinigung hierherzubringen. Wer die Klinke nach unten drückt, betritt kein Geschäft, sondern einen Kosmos.Vorne an der Theke die Blöcke und gelben

Abreißzettel mit textilen Abkürzungen (Kl, He, Anz, Ja, Ko, Ro, An). Die kleine Bronzeglocke, damit die Kundschaft sich bemerkbar machen kann. Die Packen mit den zusammengelegten Hemden und Blusen. Die Jacken, Hosen, Mäntel, die auf Bügeln im Kleiderkarussell hängen und darauf warten, abgeholt zu werden. Vergessene Stücke kommen nach ein paar Jahren zum Roten Kreuz. Dieser Geruch, der einen empfängt: eine Mischung aus Waschmittel und warmem Dampf. Die sonderbaren Geräte, die aufblasen, pumpen, ruckeln, spritzen, sich immerzu drehen und den Lärmpegel hochhalten. Das Klima: hinten im Waschraum eine fast tropische Luftfeuche, vorne trocken und warm. Eine grundgute Wärme, die tröstet an verregneten Montagen wie diesem.

„Oma steckt immer noch alle im Bügeln weg“

Alicia Haug stürmt in die Wäscherei. Hinter der Heißmangel steht in einem weißen Kittel ihre Großmutter, lässt vorsichtig eine zerknitterte Teeserviette unter die Walze gleiten. „Mit der Naht nach unten, damit das Muster hinten schön rauskommt.“ Die kleine weißhaarige Frau tritt auf die Fußbremse der Mangel, schaut auf das Gepäck der Enkelin. „Warst du in Südamerika, du Rucksacktouristin?“ Alicia, 21, studiert Geschichte und Philosophie in Potsdam, es sind ihre ersten Semesterferien. Sie zieht ihre Jacke aus, krempelt die Ärmel hoch, riecht an einer frisch gemangelten Tischdecke wie an einem Fliederzweig, legt sie zusammen. „Meine Oma steckt heute noch alle im Bügeln weg!“ Im Lauf des Vormittags stapelt sich die gemangelte Wäsche in Körben. Gegenüber am Computer sitzt die Enkelin Juliana, 23. Sie studiert Jura, hilft bei der Buchhaltung und Kundenannahme. „Für mich war’s als Kind immer ein Wunder, wie sich die Kleider im Karussell auf Knopfdruck in Bewegung setzten und genau bei dem Stück stoppten, das der Kunde abgegeben hatte“, erzählt sie. Das Leben und die Arbeit lagen schon immer nah beieinander. Großmutter Wera steht heute noch täglich an der Mangel. Die 87Jährige war eigentlich nie woanders. Zwei Söhne und drei Töchter hat sie nebenbei großgezogen. Inzwischen hat sie fünf Enkelkinder. „Wenn man muss, kann man viel“, sagt sie. Und: „Es war ein großes Glück. Wir waren Tag und Nacht da.“ In den 60er Jahren türmten sich die Wäscheberge manchmal bis zur Garage. Ihr Mann Hans war damals schon hinten für die Wäsche zuständig, sie für vorne. „Wir sind froh, dass unser Sohn die Wäscherei übernommen hat.“ Beide heißen Hans. Die Großeltern lassen sich nicht vom Arbeiten abhalten. Obwohl sie seit Jahren in Bitz auf der Schwäbischen Alb leben, fahren Wera und Hans täglich nach Tübingen – „gschwind runter“ dem Sohn helfen, der nicht mehr so kann, wie er will, seit einer schweren Erkrankung im letzten Jahr.