Hinter den Kulissen arbeitet der neue „Spiegel“-Chefredakteur Wolfgang Büchner an einer Reform des Magazins, denn die Auflage sinkt und die Titelgeschichten werden lahmer. Doch die Frage lautet vor allem: Wo will es hin?

Hamburg - Am vergangenen Montag, als alle Welt auf die russische Intervention auf der Krim blickte, erschien „Der Spiegel“, das größte und wichtigste Nachrichtenmagazin der Republik, mit einer Titelgeschichte über Google. „Die Welt ist nicht genug“, lautete die Titelzeile. Gegen Pech im Kampf um den interessantesten Aufmacher ist man als Printmedium mit Redaktionsschluss und Druckzeiten nie gefeit. Dennoch war diese Montagsausgabe in zweifacher Hinsicht symptomatisch für die Probleme, mit denen „Der Spiegel“ zu kämpfen hat. Zum einen das Offensichtliche: Gegen die Aktualität des Internets kommt kein gedrucktes Medium an. Dank „Spiegel Online“ deckt der Verlag diese Flanke immerhin gut ab. Die erfolgreichste seriöse Nachrichtenwebseite Deutschlands verzeichnet fast 143 Millionen Zugriffe (Unique Visits) im Monat und schreibt nach Angaben des Verlages schwarze Zahlen. Anders als die Angebote vieler Tageszeitungen, soll die Seite auch zukünftig für die Nutzer kostenfrei bleiben, verspricht der „Spiegel“-Chefredakteur Wolfgang Büchner.

 

Das zweite Problem geht tiefer. Der Untertitel der Google-Geschichte am Montag lautete: „Spiegel-Report aus den geheimen Labors des Hightech-Imperiums“. Thomas Schulz, der Korrespondent des Blattes in Los Angeles, habe mehr als zwei Dutzend Interviews mit Managern und Wissenschaftlern von Google geführt, hieß es im Editorial. Trotzdem erweist sich die Geschichte bei der Lektüre als so lahm, dass nicht einmal die bei solchen Themen eigentlich hypersensiblen Netzblogger sie bissiger Kommentare für wert befanden.

Wer die über acht „Spiegel“-Seiten gelesen hatte, erfuhr kaum mehr als zwei Dinge: Erstens, dass der größte Teil der Google-Labore eben gar nicht im Geheimen operiert. Und zweitens: Im angeblich geheimen Teil des Labors werde an einer Funktion gearbeitet, mit der die Suchmaschine ungenaue Fragen korrekt beantworten könne. Diese Informationen hätte man sich in Sekundenschnelle aber auch er-googeln können. Exakt hier liegt Büchners zentrales Problem: Schneller als an Auflage verliert sein Magazin an Relevanz.

Die Auflage sinkt, die Titelgeschichten werden lahm

Ende Januar hatte der Chefredakteur in einem „FAZ“-Interview gesagt: „Der ‚Spiegel‘ ist ein Nachrichtenmagazin. Also brauchen wir – bestenfalls exklusive – Nachrichten.“ Just eine Woche zuvor war das Blatt mit der Titelgeschichte „Kopfschmerz. Die unterschätzte Volkskrankheit“ an den Kiosk gegangen – das hätte man zuvor eher vom Konkurrenten „Focus“ erwartet. So dürfte es dem „Spiegel“ schwerfallen, Leser neu vom Mehrwert seiner Printausgabe zu überzeugen.

„Ein gedrucktes Nachrichtenmagazin wie ‚Der Spiegel‘ kämpft mit den veränderten Rezeptionsgewohnheiten, vor allem dem Wunsch nach schneller, bequemer Information“, sagt der Kommunikationswissenschaftler Franco Rota, Professor an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Das lässt sich in Zahlen ausdrücken: Im vierten Quartal 2013 sank die verkaufte Auflage im Jahresvergleich um rund 5,5 Prozent auf etwa 842.000 Exemplare. Noch vor fünf Jahren verkaufte der Verlag über eine Million Exemplare. Die Anzeigenerlöse sanken 2013 um 7,5 Prozent.

Der 47-jährige Büchner löste im September 2013 das zerstrittene Chefredakteursduo Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron ab. Büchner war zuvor Chefredakteur der Nachrichtenagentur dpa gewesen. Als eine seiner ersten Maßnahmen berief er den stellvertretenden Chefredakteur der „Bild“-Zeitung, Nikolaus Blome, in die Chefredaktion.

Investigative Recherche wird auch anderswo betrieben

Inzwischen hat Büchner weitere strategische Entscheidungen getroffen. Er ernannte den Chefredakteur von „Spiegel Online“, Rüdiger Ditz, zum geschäftsführenden Redakteur der Printausgabe, um Print und Online besser zu verzahnen. Auch gegen diese Personalentscheidung soll es laut Informationen des „Handelsblattes“ Widerstand in der Mitarbeiter KG gegeben haben. Bis Mai werden die Titelseite und das Layout des Heftes neu gestaltet. Spätestens im Januar kommenden Jahres will Büchner den Erscheinungstermin von Montag auf Samstag vorziehen, um das lesestarke Wochenende zu erreichen.

Trotzdem bleibt Medienexperte Rota skeptisch: „Es dürfte dem ‚Spiegel‘ schwerfallen, seine jetzige Bedeutung in der Medienlandschaft zu behalten.“ In seinen Kernkompetenzen haben andere Medien inzwischen die Nase vorn. Die „Süddeutsche Zeitung“ bildet gemeinsam mit dem WDR und dem NDR ein Team investigativer Journalisten, die Skandale in Politik und Wirtschaft recherchieren – geleitet vom Ex-„Spiegel“-Chef Georg Mascolo. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ ist das wichtigste intellektuelle Debattenmedium des Landes. Der Journalismusforscher Tobias Eberwein von der Uni Dortmund glaubt dennoch: „Das Grundkonzept des ‚Spiegels‘ kann auch in einem digitalen Umfeld funktionieren.“ Er rät den Verantwortlichen, beim Printprodukt zu entschleunigen und stattdessen auf gut erzählte Nachrichtengeschichten zu setzen. „Das Kunststück wird sein, dieses Erzählen von Nachrichtengeschichten im Netz und in Print miteinander zu verbinden.“

Dabei können die Redakteure sich auf eine Tradition besinnen. Als Rudolf Augstein das Blatt 1947 gründete, stand ihm das amerikanische „Time Magazine“ vor Augen. Dort pflegte man den Stil der „Newsstory“, bei der Nachrichten in eine Erzählform verpackt werden. Diese Art des Schreibens übernahm Augstein. „Time“ hat allerdings in den vergangenen zehn Jahren fast ein Viertel seiner Auflage verloren, wenngleich sie noch immer bei 3,2 Millionen liegt. Das Gegenbeispiel: Der britische „Economist“ positioniert sich geschickt als ein Nachrichtenmagazin für eine weltweite Elite aus Politik und Wirtschaft. Seine Auflage steigt seit Jahren – in Print und digital.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben im ersten Absatz die zunächst falsche Zahl der monatlichen Zugriffe auf Spiegel Online korrigiert.