Dietmar Hopp spricht vor dem Spiel Hoffenheim gegen Stuttgart über die Ausrichtung in der Zukunft und das Knowhow in der Talenteausbildung.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Lange hat sich Hoffenheim nur nach oben orientiert. Doch zuletzt beklagte der Mäzen Dietmar Hopp Fehleinkäufe, explodierte Spielergehälter und Millionenverluste. Nun sagt der 71-Jährige: "Die Zeit des Umdenkens ist gekommen."

 

Herr Hopp, die TSG 1899 Hoffenheim ist im Sommer 2008 als das spannendste Fußballprojekt Deutschlands in die Bundesliga gestartet. Nun verbreitet sie sportlich eher Langeweile. Wie konnte es so weit kommen?

Wir sind nach zwei Aufstiegen in Folge mit einer sehr jungen Mannschaft in der Bundesliga angekommen. Das Ziel war also weit schneller erreicht als gedacht. Die Vorrunde unserer ersten Bundesligasaison endete dann mit der Herbstmeisterschaft und verstellte leider vielen den Blick für die Realität - meine wiederholten Mahnungen wurden nicht ernst genommen. Nach 35 Punkten in der ersten Halbserie folgten ernüchternde 20 Punkte, die bei manchen, die uns schon in der Champions League wähnten, Alarm auslösten.

Das hört sich so an, als habe sich Hoffenheim von dieser euphorischen Phase vor zweieinhalb Jahren bis heute nicht erholt?

Die Folgen dieser letztlich leider auch verhängnisvollen Herbstmeisterschaft waren teure Fehleinkäufe, weit entfernt von unserem Ziel, auf junge deutsche Talente zu setzen. Die Fehler dieser zweiten Saison müssen wir nun versuchen auszubügeln. Zudem waren in dieser zweiten Saison unsere Spielergehälter explodiert und sie war sportlich schwach.

Danach hat der Club jedoch versucht, sich auf seine alten Stärken zu besinnen. Mit bisher überschaubarem Erfolg.

Richtig ist, dass sowohl die sportliche wie auch die wirtschaftliche Situation zu personellen Konsequenzen und zu Überlegungen geführt hat, wie man Hoffenheim auf den geplanten Weg zurückbringen kann. Schließlich habe ich gemeinsam mit dem Management eine Planung entworfen, wie die TSG die Vorschriften des sogenannten Financial Fairplay (europäisches Lizensierungsverfahren, Anmerkung der Redaktion) ohne Probleme erfüllen kann. Eine logische Konsequenz dieser Überlegungen war der Verkauf von Luiz Gustavo im Winter, der gleichzeitig das unmissverständliche Signal war, dass die Zeit des Umdenkens gekommen ist.

Kann es auf Dauer das sportliche Ziel der Hoffenheimer sein, Mittelmaß darzustellen?

Mittelmaß ist für mich eine Platzierung zwischen sechs und zwölf, was zumindest am oberen Rand der Bandbreite nicht schlecht ist. Eine attraktive, offensive Spielweise wünsche ich mir natürlich auch, jedoch ohne den leisesten Versuch zu unternehmen, dem Trainer etwa Ratschläge zu geben. Zudem finde ich, dass es für unsere Region, die zuletzt in der Saison 1989/90 mit dem SV Waldhof Mannheim einen Bundesligisten hatte, ein Wert an sich ist, die deutschen Spitzenvereine in der Metropolregion Rhein-Neckar zu Gast zu haben.

Befürchten Sie, dass 1899 zur grauen Maus mutiert und so an Attraktivität für neue Spieler, vielleicht sogar für Sponsoren, verliert?

Nein, denn nach der Neubesinnung in dieser Saison auf unsere Ziele, die von vielen fälschlicherweise als Umbruch gedeutet wird, haben wir die Chance, die TSG so zu positionieren, dass wir keinerlei Befürchtungen hegen müssen, auch nicht, zur grauen Maus zu mutieren.

Kommt der Verein in der Außendarstellung schlechter weg, als er es tatsächlich verdient, weil 1899 immer nur an Extremen gemessen wird? Ihnen werden zum Beispiel Champions-League-Ambitionen nachgesagt.

Ich habe nie davon gesprochen, dass wir in die Champions League wollten oder sollten. Vielmehr habe ich seit 2006 immer wieder betont, dass die TSG schnellstmöglich auf eigene Beine kommen muss, um unabhängig von mir zu werden.

TSG soll unabhängig von Hopp werden

Wie weit ist der Verein auf diesem Weg?

Die schwere Finanzkrise, die über dem europäischen Fußball, mit Ausnahme Deutschlands, liegt, hat die Uefa veranlasst, das Financial Fairplay ab 1. Juli 2011 einzuführen. Dies beschleunigt unser Vorhaben, die TSG unabhängig von mir zu machen. In den nächsten zwei Jahren wird eine wirtschaftliche Normalität im internationalen Fußballmarkt erzwungen, so dass Hoffenheim schon in naher Zukunft das von mir erhoffte Ziel erreichen wird.

Ist die sportliche Entwicklung einer jungen Mannschaft aber letztlich nicht doch nur eine Frage des Geldes?

Da gibt es mehrere Einflussfaktoren. Das Trainerteam muss es verstehen, Talente an ihre optimale Leistung heranzuführen. Bei Rückschlägen muss der Trainer und natürlich auch die Vereinsführung bereit sein, nicht gleich alles über den Haufen zu werfen. Eine erfolgreiche Jugendarbeit ist ein weiterer wichtiger Baustein. Ich hatte gehofft, dass wir schneller eigene Spieler in unser Profiteam bringen, aber ich glaube felsenfest daran. Natürlich braucht man auch Geld, um in neue junge Spieler zu investieren, weil kaum ein Verein es schafft, quasi Selbstversorger zu sein. Und schließlich wird ein Verein wie Hoffenheim nicht umhinkommen, immer wieder einen der Besten zu verkaufen. Aber ich denke, da sind wir in bester Gesellschaft von zwölf bis vierzehn weiteren Clubs der Liga.

Sie haben bisher sehr großen Wert darauf gelegt, dass ihr Geld vor allem auch in Infrastruktur und Konzepte fließt. Wie viel Geld haben Sie bereits in Ihren Heimatverein gesteckt?

Ich habe in der Tat viel Geld in Infrastruktur wie Stadion, Trainingszentrum, Nachwuchsleistungszentrum und einiges anderes mehr gesteckt. Auch der Aufbau der Mannschaft, des Betreuerstabes, der Verwaltung und so weiter hat eine Menge Geld gekostet. Aber die Investitionsphase für das Unternehmen TSG Spielbetriebs GmbH ist jetzt beendet und hat mich rund 240 Millionen Euro gekostet.

Versteht sich 1899 nun als ein Ausbildungsverein mit gelegentlicher Aussicht auf internationalen Fußball oder als ein international ambitioniertes Projekt mit Ausbildungscharakter?

Ich könnte mich durchaus mit dem international ambitionierten Verein mit Ausbildungscharakter anfreunden - das Wort Projekt mag ich nicht so gerne.

Wenn Hoffenheim die Ausbildung eigener Spieler großschreibt, schauen Sie dann neidisch auf den VfB Stuttgart, weil dort Bundesligatalente fast schon in Serie produziert werden?

Der VfB macht das überragend, und wir eifern in dieser Beziehung den Stuttgartern nach, ohne allerdings neidisch zu sein. Lassen Sie auch mich einmal die Tradition bemühen - Stuttgart hat in dieser Beziehung einen Vorsprung von fast 20 Jahren, den wir sicher verkürzt, aber noch nicht aufgeholt haben.

Würden Sie am liebsten das schwäbische Knowhow kaufen und in den Kraichgau transferieren?

Das würde uns sicher weiterhelfen, obwohl wir sehr, sehr gut aufgestellt sind im Bereich unserer Nachwuchsförderung.

Aber Sie befürchten keinen Protestbrief aus Stuttgart, wie ihn Hertha BSC an Hoffenheim und den Ligaverband DFL geschickt hat, weil zwei Berliner Nachwuchsspieler zu 1899 gewechselt haben?

In diesem Fall hat einer unserer Scouts in einem Streitgespräch unpassende Worte gewählt. Das haben wir offiziell bedauert. In der Sache waren die Vorwürfe aber haltlos. Es ging um zwei junge Spieler, die von sieben Clubs umworben wurden. Deren Eltern haben sich dann in Hoffenheim umgeschaut, und vor allem unser begleitendes Schulkonzept hat sie überzeugt. Danach wollten die Spieler zu uns.

Hopp über den neuen Trainer Pezzaiuoli

 Mit sechs Spielern gehören jedoch noch immer mehr Profis, die beim VfB ausgebildet wurden, zum Stamm der Mannschaft von 1899 als Hoffenheimer Eigengewächse. Wird sich daran bald etwas ändern?

Ich hoffe, wir haben unsere Stuttgarter noch recht lange im Team der TSG, aber es werden bald auch mehr eigene dabei sein.

In Marco Pezzaiuoli glaubten Sie einen Trainer gefunden zu haben, der prädestiniert schien, um Talente zu entwickeln und zu veredeln. Was ist schiefgelaufen?

Marco ist ein ausgezeichneter Fachmann, dem wir sehr dankbar sind, dass er in einer schwierigen Zeit die Verantwortung übernommen hat. Und sein Talent, mit jungen Spielern umzugehen, hat er schon beim DFB bewiesen. In der Tat hofften wir auf eine längerfristige Lösung, hatten aber dennoch in seinen Cheftrainervertrag eine Rückfallklausel zum Co-Trainer für diesen Sommer eingebaut. Ich hätte mir gewünscht, die Medien wären wohlwollender mit Marco umgegangen, dann hätte er vielleicht schneller die notwendige Sicherheit für die Cheftrainerposition erlangt.

Sportlich hat sich die Mannschaft aber immer in der sicheren Tabellenregion bewegt.

Ich bin auch erst mal froh, dass wir die Situation gemeistert haben, und weiß wohl, dass es sportlich eindeutig in die positive Richtung gehen muss. Doch es gab Turbulenzen, auf die wir nicht eingestellt waren. Am meisten hat uns der Abgang unseres Trainers Ralf Rangnick getroffen, weil wir keinen Plan B hatten. Völlig unvorbereitet mussten wir auch Demba Ba ziehen lassen, für den wir zwingend einen Ersatz finden mussten, zumal Chinedu Obasi noch auf unabsehbare Zeit verletzt war. Hier mussten wir mit der Verpflichtung von Ryan Babel durchaus gegen die geplante strategische Linie handeln, sonst wären wir vielleicht doch noch abgestiegen.

Und mit Holger Stanislawski wird jetzt in der nächsten Saison alles besser?

Das hoffen wir. Bisher habe ich ausschließlich positive Rückmeldungen auf unsere Einigung mit Holger Stanislawski erhalten. Sowohl von Experten, die seinen fußballerischen Sachverstand loben als auch von den Fans. Denn beim FC St. Pauli steht er ja nicht nur für einen leidenschaftlichen Umgang mit den Anhängern, sondern ebenso für einen feinfühligen.

Beim Übergang von Ralf Rangnick zu Marco Pezzaiuoli hatten Sie sich ähnlich hoffnungsvoll über den neuen Trainer geäußert, aber auch kritisch über den alten.

Ralf ist ein Spitzentrainer, und was ich über unsere Situation im Januar gesagt habe, war nicht als Kritik an ihm und seiner Arbeit gemeint. Doch wenn man sich heute lobend über einen neuen Trainer äußert, dann wird das gleich als Breitseite gegen den alten interpretiert

War Ihnen Ralf Rangnicks Ehrgeiz zu groß?

Für ihn hieß es: die Champions League ist es. Doch das ist eine Kragenweite zu groß für uns. Bei Holger Stanislawski gehen wir davon aus, dass er die Balance zwischen sportlichem Ehrgeiz und unseren finanziellen Möglichkeiten sorgfältig auslotet.

Und was für einen Fußball möchten Sie künftig in der Rhein-Neckar-Arena sehen?

Am Liebsten den Fußball, den unser Team im Herbst 2008 in Mannheim zelebriert hat - ohne Wenn und Aber ...

Der Gesellschafter

Spielbetrieb: Dietmar Hopp gehören 49 Prozent der Spielbetriebs GmbH, 51 Prozent dem Verein. Damit verstößt Hoffenheim nicht gegen die 50-plus-1-Regel, die verhindert, dass Investoren die Kontrolle übernehmen. Allerdings hält Hopp 99 Prozent am Stammkapital.

Stadion: Für 60 Millionen Euro hat Hopp die Sinsheimer Arena bauen lassen. Seit der Eröffnung im Januar 2009 bezahlt 1899 dafür Miete an den milliardenschweren Gesellschafter.

Das Spiel gegen Hoffenheim gibt es ab 15.30 Uhr bei uns im Liveticker.