Don Winslow schenkt sich und seinen Lesern nichts: Auch „Das Kartell“, die Fortsetzung seiner „Tage der Toten“, zeichnet sich durch barbarischen Realismus aus. Doch das Drogen-Epos kann nicht alle Erwartungen erfüllen.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Stuttgart - Keine Frage: Don Winslow gehört zu den ganz Großen im internationalen Krimigeschäft, sein Roman „Tage der Toten“ ist einer der ganz großen Vertreter des Genres. Auf der anderen Seite ist der 1953 geborene US-Amerikaner ein zur Eitelkeit neigender Autor, der ein erstes Kapitel schon mal auf zwei Worte beschränkt („Fuck you!“), was dann von seinen Anhängern begeistert gefeiert wird.

 

Und so steht bei jedem neuen oder neu aufgelegten Winslow stets sofort die spannende Frage im Raum: Daumen hoch oder Daumen runter?

Um es gleich zu sagen: bei Winslows neuestem Thriller mit dem Titel „Das Kartell“ fällt die Antwort zwiespältig aus. Seit vielen Jahren setzt sich der Autor intensiv mit dem Drogenkrieg auseinander, mit der Gewalt, der Korruption, der Hoffnungslosigkeit. Und keineswegs sieht er die Hauptschuld für das große Gemetzel nur in Mexiko. Im Gegenteil: er klagt auch die USA an, die als Hauptimportland das Geschäft erst möglich macht – kein Käufer, also auch kein Verkäufer. So hat es eine gewisse Logik, dass Don Winslow in Interviews die völlige Freigabe von Narkotika aller Art fordert.

Wieder heißt es: Art Keller gegen Adán Barrera

Erneut schildert Winslow das Drogengeschäft in seiner ganzen Härte. Wie auch schon in „Tage der Toten“ ist Gewalt, selbst solche gegen Kinder, bei ihm künstlerisch gerechtfertigt, weil aus Gründen der Wahrhaftigkeit notwendig. Wenn er einen großen Bogen spannt und die beiden alten Gegner Art Keller (Drogenfahnder) und Adán Barrera (Drogenboss) aufeinander krachen lässt, dann bettet er das in eine gesellschaftliche Entwicklung ein, wie sie fataler und grauenerregender kaum sein kann.

Besonders stark ist das Buch in jenen Momenten, in denen er die persönliche Tragik von Menschen schildert, die gar nicht anders können, als zum Opfer oder zum Täter oder sogar beides zu werden.

Stereotypen und unfreiwillige Komik

Auf der anderen Seite rutscht der Bestsellerautor bei Liebesgeschichten ins Triviale ab, er bedient unnötig Stereotypen (zum Beispiel umwerfende Frau in teuren Kleidern), wird sogar unfreiwillig komisch („Eddie vermisst die Kinder sehr. Aber was ist mit Teresa? Ähh... Fakt ist, dass er mehr Frauen kriegt, als er vögeln kann, um es mal direkt zu sagen.“) oder zumindest ungelenk („Mit ihr zusammen zu sein fühlt sich so gut an, so natürlich, so ,richtig‘, um ein Schlagerklischee zu bedienen. Er hat sie gern, er respektiert und bewundert sie – okay, er will auch mit ihr schlafen.“).

Da brauchen dann auch keine Handgranaten mehr zu platzen oder Worte jemandem „ins Gesicht springen wie Granatsplitter“, um zu der festen Überzeugung zu gelangen, dass das alles ist, bloß keine große Literatur. Spätestens an der Stelle, an der Winslow doch tatsächlich eine Parallele zu Don Quijote und Käptn Ahab zieht, wird die Fallhöhe überdeutlich.

So ist „Das Kartell“ der ambitionierte 832-Seiter eines routinierten Erfolgsschriftstellers, der gut gemeint ein weiteres Mal das US-amerikanisch-mexikanische Großdrama angreift. Der aber im Vergleich etwa zu Jennifer Clements ungleich kompakteren „Die Vermissten“ auf der technokratischen Strecke bleibt.

Don Winslow: „Das Kartell“. Roman. Aus dem Englischen von Chris Hirte. Droemer TB, München 2015. 832 Seiten, 19,99 Euro. Auch als E-Book, 14,99 Euro; und als ungekürzte Hörbuch-CD, 16,99 Euro.