FDP-Parteichef Christian Lindner vermittelt den Liberalen die Hoffnung, dass es mit ihm eine Zukunft geben wird. Er sieht für seine Partei große Chancen. Die größte Möglichkeit heißt: die große Koalition.

Stuttgart - Wieder ein Tiefschlag – die Sternsinger lassen FDP-Chef Christian Lindner beim Dreinkönigstreffen der Partei im Stuttgarter Staatstheater sitzen. Lindner nimmt’s gelassen. Er hat schon Schlimmeres überstanden in den vergangenen Monaten. Warum er denn nicht selbst singe, wird er gefragt. „Ich heiße Christian, nicht Patrick Lindner“, antwortet er und bahnt sich ohne königlichen Beistand aber bester Laune seinen Weg zum Podium. Den Neustart seiner Partei will Lindner ausrufen, symbolisiert auf den Projektionen über der Bühne durch das blaue Leuchten der On/Off-Buttons des Computerzeitalters. Auf dem Parteitag, der ihn zum Vorsitzenden wählte, hat die FDP die Vergangenheit aufgearbeitet. Jetzt ist es für Lindner an der Zeit, die FDP neu zu entwickeln. Jetzt soll es seine FDP werden.Eine Partei ist das, die mit der untergangenen Ära von Guido Westerwelle und dem glücklosen Kurzeinsatz von Philipp Rösler – beide nicht in Stuttgart anwesend – nichts mehr zu tun haben will. Im Film vor den Reden, in dem an die 150-jährige Tradition des Treffens erinnert wird, ist zwar von vielen Persönlichkeiten der Partei die Rede, aber die Liste namentlicher Erwähnungen endet bei Hans-Dietrich Genscher. Westerwelle und Rösler, das sind Namen, die vorerst nicht mehr genannt werden dürfen.

 

Lindner vermittelt Liberalen die Hoffnung

Die historische Niederlage bei der Bundestagswahl deutet Lindner als historische Chance: „Wir sind so unabhängig, in der Sache und politisch, wie niemals zuvor in unserer Geschichte.“ So kann man es sich schönreden, wenn man schlicht nichts mehr zu sagen hat. Aber den FDP-Anhängern im voll besetzten Staatstheater tun diese Worte gut. Lindner vermittelt ihnen die Hoffnung, dass der FDP mit ihm eine Zukunft vergönnt ist. Mehr kann der FDP-Chef vorerst nicht erreichen.

Die FDP steht vor einem schwierigem Jahr. Zwar sehen manche Umfragen die Partei wieder bei fünf Prozent, aber schon die Europawahl im Mai wird als Gradmesser dienen, ob Lindners Bemühungen Erfolg versprechend sind. Sollte die Partei scheitern und sollte zu allem Überfluss die Alternative für Deutschland (AfD) erfolgreich sein, dann wäre der nächste Richtungsstreit in der FDP gewiss.

Mit der AfD beschäftigt sich Lindner nur kurz

Deshalb widmet sich Lindner in weiten Teilen seiner Rede Europa. Mit der AfD beschäftigt er sich dabei nur kurz. Er stellt sie gleichsam unter politische Quarantäne, indem er sie auf eine Stufe stellt mit den ultranationalen rechten Parteien in Frankreich und Großbritannien. Kein Grund, sie weiter zu erwähnen. Aber weil er weiß, dass einige in seiner Partei die Thesen der AfD teilen, begibt er sich auf eine Gratwanderung, die es den Kritikern in den eigenen Reihen erleichtern soll, nicht fahnenflüchtig zu werden.

Er nennt diesen Kurs „ein klares Bekenntnis zu Europa, verbunden mit dem Mut, seine Probleme anzusprechen“. Keiner soll an der proeuropäischen Ausrichtung der FDP zweifeln, weil Frieden und wirtschaftlicher Erfolg in Deutschland nur in einem starken Europa gewahrt bleiben könnten. Aber das bedeute nicht, dass deshalb die Kommission so aufgebläht sein müsse. Er wolle kein Europa, „wo Beamte und Kommissare sich erst einmal eine Aufgabe suchen müssen“.

Lindner ahnt, dass die größte Chance der FDP die große Koalition ist

Lindner ahnt, dass die größte Chance der FDP die große Koalition ist. Und so arbeitet er sich vor allem an Union und SPD ab, die Politik auf Kosten der jungen Generation machen würden und Datenschutz und Bürgerrechte außen vor ließen. Immerhin: der jüngsten Hartleibigkeit des Justizministers Heiko Maas (SPD) beim Thema Vorratsdatenspeicherung begegnet er mit Respekt. Die Berufung von Andrea Voßhoff (CDU) zur neuen Datenschutzbeauftragten beschreibt Lindner dagegen als schlechten Witz, weil diese als Abgeordnete für die Vorratsdatenspeicherung, für die Internetzensur und für die Online-Durchsuchung gestimmt habe.In dem von der CSU angezettelten Streit über die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien greift er Kanzlerin Angela Merkel (CDU) an. Er hätte erwartet, dass die Kanzlerin „ihr monatelang andauerndes Schweigen zu allen innenpolitischen Fragen endlich bricht und hier Klartext spricht, damit Deutschland ein weltoffenes Land bleibt“. Wenn einer nach Deutschland ziehe, hier arbeite, Steuern zahle und die republikanische Grundordnung akzeptiere, dann „fragen wir nicht, wo er herkommt, sondern wohin er mit uns will“, sagte Lindner. In einigen Städten gebe es zweifellos Probleme. Aber das europäische Recht ermögliche es schon jetzt, einen Zuzug in die Sozialsysteme zu verhindern. Das helfe jedoch nicht weiter , wenn dieses Recht in Deutschland nicht angewandt werde.

Der FDP-Chef, das wird auch in Stuttgart wieder deutlich, will die FDP sozialer wirken lassen, will in allen Bevölkerungsschichten jene erreichen, die ihr Leben in die Hand nehmen wollen, egal wie groß oder klein deren Ziele von außen betrachtet auch sein mögen. Man dürfe künftig nie mehr den Eindruck erwecken, nur bestimmte Interessengruppen zu bedienen und das Leben all der anderen auszublenden. „Wir haben Anerkennung für die, die es schon zu etwas gebracht haben“, sagt Lindner. „Aber unser Herz gehört jenen, die sich erst noch etwas aufbauen wollen.“