Riesensupermarkt statt Feinkost, süße Brause statt Wildfleischhandel: in der bayerischen Landeshauptstadt gibt es immer mehr Kommerz statt Kultur. Selbst jahrzehntealte Akazien müssen dran glauben, beklagt unser Kolumnist Mirko Weber.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Acht Tage bei Richard Wagner & Erben im Fränkischen, zwei Wochen in den Hausbergen, wenn es das Wetter zuließ – schon ist man rituell leicht entwöhnt: zum Beispiel vom mehr oder minder regelmäßigen mittäglichen Suppenküchenbesuch am Münchner Viktualienmarkt, einer der preiswertesten und besten Möglichkeiten, in der bayerischen Landeshauptstadt warm zu essen.

 

So entwöhnt ist man dann aber auch wieder nicht, dass einem nicht direkt auffiele, was im momentan sehr touristenwuseligen Wimmelbild des Platzes fehlt. Ecke Frauen-/Blumenstraße nämlich stand immer eine Akazie, zumindest seit Jahrzehnten, und nun steht hier – über Nacht gefällt, sagt die nächste Standlfrau – keine Akazie mehr: Blattläuse.

Man braucht gute Gründe, wenn man zwischen März und Ende September einen nicht mehr ganz jungen Baum umlegt, und das mit den Blattläusen stimmt schon, Blattläuse waren die Plage des Frühjahrs, aber schade ist es natürlich trotzdem, weil der neue Jungbaum, der hinkommen soll, nur geringen Schatten werfen wird – und überhaupt. Es häufen sich hier allmählich ein paar schlechte Zeichen. Mit den Menetekeln angefangen hat es am mittlerweile 207 Jahre alten Viktualienmarkt, als die restaurierte Schrannenhalle am Kopfende unter dem vormaligen Investor Klaus Thannhuber nach fünf Jahren schon 2008 pleiteging. Thannhuber bot neben viel Handwerk in der Schranne abends auch Kultur an, aber so richtig durchsetzen konnte sich sein Konzept nicht. Dann war zwei Jahre geschlossen, bevor ein Sammelsuriumsverkaufsangebot an den Start ging, inklusive Feinkost von Käfer. Ebenfalls ein Reinfall. Jetzt soll, nach dem Willen des Betreibers Hans Hammer, ein Riesensupermarkt aufsperren. Der träfe freilich auf dem Viktualienmarkt mitten in die Händlerherzen.

Ausgerechnet ein Sexspielzeugladen!

Bei der Stadt sieht man die Dinge gemischt. Einerseits doktert das Kommunalreferat schon lange daran herum, wie man den ganzen altertümlichen Budenzauber zeitgemäßer ins Städtebild setzten könnte, andererseits warnen Gegner dieser Vorstellungen quer durch die Rathausfraktionen davor, dass vorne eingerissen würde, was sich hinten – wenn auch noch so zeitgemäß – nie mehr aufbauen ließe. Manche Dinge behalten ihren Charme ja tatsächlich nur, wenn sie weitgehend bleiben, wie sie sind, was Veränderungen ja trotzdem nicht ausschließt. Es muss vielleicht nicht gleich die Eröffnung eines Ladens für Sexspielzeug aller Arten sein, den ein Bremer(!) Geschäftsmann an der Ecke Reichenbach-/Frauenstraße zum Herbstbeginn avisiert. Mitten auf dem Viktualienmarkt, worauf man aus der sogenannten Fun Factory wird schauen können, hat sich im Übrigen gerade die Firma Red Bull breitgemacht, und zwar in den seltsamerweise seit längerem leer stehenden Verkaufsräumen des ehemaligen Wildhändlers Pörrer. Red Bull verkauft keine Getränke, sondern versuchsweise und vorübergehend Broschüren des „Servus“-Magazins vom eigenen Fernsehsender, sowie Kochbücher und Kunsthandwerk. Eine Art Testlauf, heißt es, und man kann nur hoffen, dass Red Bull nicht gelingt, was der Gummibärchenkette Bears and Friends und Amorino-Eis auch schon versucht haben: nämlich den Fuß mit sanfter Gewalt in eine Standltür zu bekommen. Hernach wäre es, frei nach Brecht, dann doch besser, der Münchner Stadtrat ginge dran und wählte sich ein anderes Volk.