Die Ebola-Epidemie hat Westafrika in ein Inferno verwandelt. Die Zahl der Kranken überfordert jede medizinische Versorgung. Und was geschieht mit den vielen Toten? Ein Tag mit den Leichensammlern von Monrovia.

Monrovia - Sonntagmorgen in Monrovia: Während andere in die Kirche gehen oder im Trikot den Fußballplatz ansteuern, macht sich Friday Kiyee auf den Weg, um Leichen einzusammeln. Jeder Handgriff des 37-Jährigen ist Routine. In seine Geländewagen packt er mehrere Kartons mit Schutzkleidung, drei Sprühsets, wie man sie anderswo aus Bauernhöfen kennt, und eine Box mit Leichensäcken. Sein Team besteht aus neun Männern, drei Fahrzeugen – eines davon ein Pick-up mit offener Ladefläche – und einem Polizeiauto, das mit Blaulicht und Sirene voraus fährt, damit der Konvoi nicht unnötig aufgehalten wird. Es regnet, und die Passanten schauen dem vorbeirasenden Konvoi mit aufgerissenen Augen nach.  

 

Kiyee und seine Leute werden von der Einsatzzentrale zunächst in einen im Westen gelegenen Teil der Stadt gelenkt. Sie müssen nicht lang suchen: Eine Mutter und ihre Tochter rennen vor einer Hütte auf und ab und schlagen schreiend die Hände über dem Kopf zusammen. „Ich werde ihn nie wieder sehen“, schluchzt die Schwester des Verstorbenen. Der Junge war 15 Jahre alt. Kiyees Team steigt in die Schutzkleidung, die außer dem weißen Overall aus Handschuhen, Brille, Mundschutz und einer Kapuze besteht. Jeder Handgriff sitzt. Mehrere Dutzend Nachbarn schauen in gebührendem Abstand wie angewurzelt zu. Zunächst gehen zwei Sprüher zum Desinfizieren in die Hütte – auch wenn keiner weiß, ob der Junge tatsächlich dem Virus zum Opfer fiel. In den Zeiten von Ebola ist in Liberia jeder Leichnam verdächtig.

Die Totensammler kommen mit der Arbeit nicht nach

Als schließlich vier Träger mit dem weißen Leichensack aus der Hütte kommen, fällt die Mutter in Ohnmacht.   Eine Szene, die sich an diesem Sonntag noch dreizehn Mal wiederholen wird. Er habe keine Ahnung, wie viele Tote er bereits geborgen habe, sagt Kiyee. Er ist seit dem Ausbruch der Seuche vor mehr als einem halben Jahr an sechs Tagen der Woche unterwegs.

Monrovias Rotes Kreuz unterhält derzeit sechs Totensammler-Teams, bald kommen weitere hinzu. Kiyee und seine Kollegen kommen mit der Arbeit nicht nach. Allein in Monrovia sterben täglich rund 50 Menschen an Ebola. Bald, sagen US-Wissenschaftler, könnten es täglich Hunderte oder sogar Tausende sein.

  Kiyees nächstes Ziel ist ein besonders dicht besiedelter Teil der Stadt. Kaum passt sein Geländewagen durch die engen Gassen. In einem Backsteinhaus ist ein zwei Monate altes Baby abzuholen. Es liegt schon seit drei Tagen tot in einem der Zimmer. Vor dem Kind sind dessen Mutter, der Vater, die Tante und die Großmutter gestorben – für Kiyees Team ein klarer Fall. In dem Haus befinden sich noch immer sechs Familienmitglieder: „Du hast auch schon ganz rote Augen“, sagt einer der Leichensammler zu einer stattlichen Frau, die daraufhin in Tränen ausbricht. Kiyee bläut den Verbliebenen ein, im Haus zu bleiben und keine Gäste zu empfangen. Falls sie Halsweh oder Übelkeit spürten, sollten sie sofort die Notzentrale anrufen.

Die Ebola-Patienten können nur warten

Nützen würde das nichts, die Zentrale wie die Isolierstationen sind heillos überlastet.   Seit Tagen hätten sie die Nummer gewählt, ohne dass jemand abgehoben habe, klagt ein Mann am nächsten Ziel der Totensammler. Seine Schwester habe vor einer Woche über die bekannten Symptome geklagt, als niemand ihr zu helfen wusste, sei sie eines Morgens losgegangen. Auf der Straße sei sie von Nachbarn verprügelt und nach Hause geschickt worden: Dort verkroch sie sich in einer sechs Quadratmeter großen Wellblechhütte, in der sie zwei Tage später starb. Ihren Leichensack können zwei Männer tragen, so leicht ist er.

Die nächste Station, die Erlösungs-Klinik neben dem Douala-Markt, wurde zum Auffanglager für Ebolakranke umfunktioniert. Behandelt wird hier niemand – die Patienten warten lediglich, bis ein Platz in einer der drei Isolierstationen der Hauptstadt frei wird. Inzwischen fließt auch das Auffanglager über. Obwohl die liberianische Regierung und die Organisation Ärzte ohne Grenzen seit Wochen die internationale Gemeinschaft um Experten und mobile Kliniken anfleht, kommt keine Hilfe an.

Vor der Erlösungs-Klinik liegen Menschen auf dem Gehsteig. Eine Mutter hält ihren neunjährigen Sohn im Arm, der mit abwesendem Blick ins Leere starrt. „Warum nimmt man mir meinen Jungen weg?“, schreit die Mutter und wirft sich, nachdem sie ihr Kind auf eine Decke gelegt hat, neben ihm auf den Boden. Der Junge atmet noch flach. Dann ist er still.

Das Kind hieß Jinky. Kiyees Männer schlagen seine Leiche in die Decke ein und besprühen den Asphalt mit ihrer Chlorwasserlösung. Dann legen sie den kleinen Körper auf die Ladefläche zwischen die anderen Leichname. Am Vortag hätten sie beim Hospital 13 Leichen eingesammelt, sagt Daniel Morris. Der Biologiestudent verdingt sich seit zwei Monaten als Totensammler, die Universität ist ohnehin geschlossen. Wenn er abends nach Hause komme, müsse er sich alleine in sein Zimmer verkriechen, erzählt der 27-Jährige: Weder seine Eltern noch seine Freunde wollten ihm begegnen. Die Totensammler sind die Aussätzigen der Ebola-Epoche, obwohl sie in ihren Schutzanzügen einem der sichersten Berufe nachgehen. Keiner seiner Leute sei bisher angesteckt worden, sagt der Teamleiter Kiyee.  

Die Toten werden verbrannt

Die Totensammler steuern das letzte Ziel des Tages an: das mehrere Kilometer außerhalb der Stadt gelegene Krematorium. Tote zu verbrennen gilt in Afrika als barbarischer Akt, doch Liberias Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf hat ein Dekret erlassen, wonach alle der Ebola-Infektion verdächtigten Toten (und das sind angesichts des Mangels an Ebola-Test-Kits alle) nicht mehr bestattet werden dürfen.

Der Scheiterhaufen ist schon vorbereitet. Arbeiter haben auf einer Betonplattform Holzlatten aufeinandergeschichtet, auf denen heute 49 Plastiksäcke liegen. Die Brandarbeiter werden später Benzin und große Batzen an Margarine hinzufügen. Damit wird das Feuer 15 Stunden lang brennen. Hinter dem archaischen Scheiterhaufen sind zwei große Maschinen auszumachen, moderne Verbrennungsöfen aus London, die die Ärzte ohne Grenzen nach Liberia verschiffen ließen.