Im vergangenen Jahr haben rund 170 ehrenamtliche Mitarbeiter 62 305 Telefonanrufe entgegen genommen. Die Tendenz ist steigend, deswegen werden laufend neue Mitarbeiter für die katholische und evangelische Telefonseelsorge gesucht.

Stuttgart - Rund 20 Stunden im Monat verbringt Lieselotte Maier am Telefonhörer in einem Bürogebäude in der Stuttgarter Innenstadt. Lieselotte Maier ist nicht der richtige Name der Rentnerin, und was sie während dieser 20 Stunden macht, weiß auch nur ihr engster Familienkreis. Sie ist eine von 170 ehrenamtlichen Mitarbeitern bei der Telefonseelsorge, und genau wie ihre Kollegen bleiben auch sie und ihre Arbeit weitestgehend anonym. Das hat einen ganz einfachen Grund, sagt der Leiter der evangelischen Telefonseelsorge, Krischan Johannsen: „Wir wollen nicht, dass jemand Hemmungen hat, bei uns anzurufen, weil er befürchten muss, den Mitarbeiter am anderen Ende zu kennen.“

 

Bis zu 450 Stunden ehrenamtliche Arbeit

Dabei ist es gerade das, was die Telefonseelsorge auszeichnet: ein niederschwelliges Angebot, bei dem der Anrufer sofort Hilfe bekommt und wenig Hemmungen haben soll, zum Telefonhörer zu greifen und über seine Nöte zu reden. Wer psychische Probleme hat, muss sich normalerweise erst um einen Termin bei einem Psychotherapeuten bemühen – und die haben teilweise Wartezeiten von bis zu sechs Monaten. „Mit unserem Angebot decken wir einen Bereich ab, der vom Gesundheitssystem sonst gar nicht erfasst wird“, sagt Johannsen. Bis zu 450 Stunden pro Jahr arbeiten die einzelnen Ehrenamtlichen in den Räumlichkeiten der evangelischen oder katholischen Telefonseelsorge. Das öffentliche Lob für diese Mitarbeiter bleibe aber aus, sagt Johannsen, denn: „Es weiß ja kaum jemand, wer hinter den Telefonstimmen steht.“ Auch der Arbeitsort wird nicht öffentlich gemacht. So soll verhindert werden, dass psychisch erkrankte Menschen den Mitarbeitern auflauern und ihnen gegenüber gewalttätig werden könnten.

Im vergangenen Jahr haben die Ehrenamtlichen der katholischen und evangelischen Telefonseelsorge zusammen 62 305 Anrufe entgegengenommen. In diese Zahl gehen allerdings alle Kontakte ein, also auch die Kurztelefonate, bei denen der Anrufer sofort wieder auflegt oder gar nichts sagt. Zu ernsthaften Gesprächen kam es im vergangenen Jahr rund 45 000-mal – Tendenz steigend. Vergleichszahlen aus den vergangenen Jahren hat Johannsen zwar nicht parat, aber dass die Zahl der Anrufer steigt, daran lässt er keinen Zweifel. Deswegen suchen sowohl die evangelische Telefonseelsorge als auch die katholische Beratung „Ruf und Rat“ momentan wieder ehrenamtliche Mitarbeiter.

Supervisionsgruppen sind ein wichtiger Bestandteil

Während der Ausbildung, die insgesamt 300 Stunden umfasst, lernen die Ehrenamtlichen den professionellen Umgang mit den Sorgen, Ängsten und Nöten der Anrufer. Das kann für die Seelsorger sehr belastend sein, wie die stellvertretende Leiterin der evangelischen Telefonseelsorge, Martina Rudolph-Zeller, sagt: „Supervisionsgruppen sind deshalb ein wichtiger Bestandteil.“ Schließlich haben rund neun Prozent der Anrufenden eine ernsthafte Selbstmordabsicht. „Das ist heftig“, sagt Krischan Johannsen, „das ist eine total hohe Zahl.“ Ein Drittel der ernsthaft Anrufenden, also rund 15 000 Menschen, geben an, bereits die Diagnose einer seelischen Erkrankung erhalten zu haben. Etwa 6000 Gespräche wurden zum Thema Streitigkeiten in Familien und Beziehungen geführt.