Lars Eidinger kann Film und Theater. In beiden Genres gehört er zu den auffälligsten Darstellern seiner Generation. Am Mittwoch ist er um 20.15 Uhr in dem ARD-Drama „Du bist dran“ zu sehen.

Stuttgart – - Eidinger kann beides: Film und Theater. Engagiert ist er an der Berliner Schaubühne, doch seit der subtilen Beziehungsstudie „Alle anderen“ (2009) ist er auch ein gefragter Leinwanddarsteller. Im Gespräch erklärt der 37-jährige, häufig bis zum Äußersten gehende Extremspieler, warum seine Generation zum Unglücklichsein neigt.
Herr Eidinger, einige der besten Schauspieler wirken sehr selbstbewusst, sind im Alltag aber schüchtern. Wie ist das bei Ihnen?
Ähnlich. Thomas Ostermeier, mein Regisseur an der Schaubühne, hat mal gesagt, ich sei „ein angstfreier Schauspieler“. Das Gegenteil ist der Fall: Ich habe Angst davor, mich vor Leuten auf die Bühne zu stellen.
Warum tun Sie’s trotzdem?
Weil ich von dieser Angst auch angetrieben werde. Das war ein Grund, warum ich diesen Beruf ergriffen habe. Es verschafft mir große Befriedigung, wenn ich den Mut aufbringe, der Angst entgegenzutreten. Natürlich findet man mit zunehmender Erfahrung Mittel und Wege, die Angst zu überspielen, deshalb hält man mich auf der Bühne für selbstbewusst. Meine eigene Wahrnehmung ist eine andere. Ich bin nicht besonders selbstbewusst, habe aber einen großen Geltungsdrang.
Ist das kein Widerspruch?
Keineswegs. Weil ich mir selbst nicht genüge, betreibe ich einen wahnsinnigen Aufwand, um Bestätigung von außen zu bekommen. Das ist meine Art, mit meinen Minderwertigkeitskomplexen umzugehen.
Kann man das verallgemeinern: angstfreie Schauspieler sind keine guten Schauspieler?
Ich bin überzeugt, dass angstfreie Menschen dem Tode geweiht sind, weil Angst eine Grundlage unserer Existenz ist. Wenn ich Auto fahre, muss ich mir darüber im Klaren sein, dass ich im Straßenverkehr sterben kann.
Lähmt Angst nicht auch?
Natürlich gibt es diese Gefahr. Die Aufregung, die ich spüre, wenn ich eine Bühne betrete, darf nicht dazu führen, dass ich keinen Ton rauskriege. Aber ich habe gelernt, die Nervosität sogar zu genießen, weil sie mich in die Lage versetzt, Höchstleistungen zu vollbringen. Doch ich weiß, dass diese Leistungen aus der Angst vor dem Absturz resultieren.
Welche Folgen hat so ein widersprüchliches Leben zwischen den Extremen?
„Die Widersprüche sind unsere Hoffnung“, sagt Bertolt Brecht. Dieser Satz gibt mir sehr zu denken: der Widerspruch nicht als Ende eines Gedankens, sondern als Anfang. Es ist ein großes Privileg, wenn man seine Persönlichkeit in all ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit ausleben darf. Bei mir führt das zu einer großen Ausgeglichenheit.
In den ARD-Krimis verkörpern Sie oft Menschen, die von der Norm abweichen. Warum?
Weil es viel spannender ist, extreme Charaktere zu verkörpern, als den Liebhaber in einer romantischen Komödie. Kein Schauspieler hat den Beruf ergriffen, um sich selbst zu spielen.
Auf der anderen Seite Ihres Rollenspektrums finden sich normale Männer wie der Protagonist in „Alle anderen“. Schöpfen Sie das alles aus sich selbst?
Jede Rolle, die man spielt, ist eine Facette der eigenen Persönlichkeit. Alles, was ich dazu brauche, finde ich in mir, und die Freude an dieser Selbstfindung ist ein wichtiger Motor meiner Arbeit. Jeder Mensch hat die Veranlagung zu großen Emotionen, aber die wenigsten sind in der Lage, sie auch auszuleben.
Die Antihelden aus diesen Filmen gelten als typische Dreißiger, weil die Generation angeblich kein Talent zum Glücklichsein hat.
Ich wollte nie Prototypen meiner Generation spielen. Aber ich kann die Einschätzung nachempfinden: Als Kinder der Achtziger sind die Menschen meiner Generation von der Popkultur geprägt. Pop lässt einen an eine Welt glauben, die perfekt wirkt, aber nicht existiert. Pop weckt also Träume und Sehnsüchte, die im echten Leben gar nicht befriedigt werden können. Das macht auf Dauer unglücklich. Mir ist das nicht anders ergangen – und daran arbeitet man sich lange ab.
Sind Sie tatsächlich 1,90 Meter groß?
Ja, wieso?
Weil Sie in vielen Filmen kleiner wirken.
Klar, ich spiele das so. Im Ernst: wenn sich bei meinem Spiel dieser Effekt einstellt – umso besser! Menschen sind oft überrascht, wie groß ich bin. Normalerweise ist es ja umgekehrt, viele Schauspieler sind in Wirklichkeit kleiner, als sie im Film wirken. Ich sehe das aber als Bestätigung meiner Arbeit. Schauspielerei hat ja viel mit Projektion zu tun, denn ich muss den Zuschauern die Möglichkeit geben, Dinge in mir zu sehen, die gar nicht da sind. Mir ist das mal bei einem Puppenspiel selbst so ergangen. Nach dem Stück habe ich die Puppenspieler gefragt, wie sie es geschafft hätten, die Mimik der Puppen zu steuern. Die waren verblüfft und haben gesagt, sie könnten nur Arme und Beine bewegen. Der Rest stammte aus meiner Fantasie.