Seit einer Woche fehlt von der 81 Jahre alten Christa N. jede Spur. Die Anteilnahme in den sozialen Medien ist enorm. Die Polizei hat verschiedene Suchaktionen gestartet – die erfolglos blieben. Ein Gespräch auch über Menschen, die verschwinden.

Gerlingen/Ludwigsburg - Mit Streifenwagen und Hubschrauber wird in den meisten Fällen sofort gesucht. Aber jede Fahndung ist individuell. Im Kreis Ludwigsburg werden seit dem 2014 vier Menschen vermisst. Von zweien vermutet man, dass sie tot sind, hat aber keinen Beweis dafür. Christa N. aus Gerlingen fehlt seit einer Woche, ein 81-Jähriger aus dem Kreis Ludwigsburg wurde nach acht Wochen tot gefunden. Der Polizeisprecher Peter Widenhorn erklärt, wie bei Vermisstenfällen vorgegangen wird.

 
Herr Widenhorn, wie oft kommt es vor, dass Menschen spurlos verschwinden?
Spurlos? Nicht sehr oft. Wir hatten in den Landkreisen Ludwigsburg und Böblingen, für die wir zuständig sind, seit Jahresbeginn mehr als 1300 Fälle mit dem Anfangsverdacht „vermisste Person“. Dazu zählen auch Menschen, die mal für ein paar Stunden bei Freunden oder beim Einkaufen sind – und andere machen sich wegen dieses Wegseins Sorgen. Tatsächlich zu polizeilichen Ermittlungen führen sehr viel weniger Fälle. Die überwiegende Anzahl der Vermissten wird noch am gleichen Tag oder am Tag darauf gefunden.
Sind bestimmte Altersgruppen auffällig?
Sehr häufig sind es ältere Menschen, oft auch mit Altersdemenz, die von zuhause oder aus einem Altenheim weggehen. Wir haben auch jugendliche Ausreißer, die nach Liebeskummer, nach der Zeugnisausgabe oder nach einem Streit mit Eltern verschwinden. Und dann gibt es Menschen, die Suizid ankündigen und weggehen.
Aber es gibt auch Fälle, in denen Menschen längere Zeit fehlen.
Langzeitvermisste gibt es sehr wenige: Im Kreis Ludwigsburg sind es seit 2014 nur vier. Dazu zählen ein Mann aus Großbottwar. Eine Frau aus Bietigheim-Bissingen ist vermutlich beim Bergwandern in der Nähe von Oberstdorf verunglückt; sie wurde bisher nicht gefunden. Ein Mann aus Ludwigsburg ging 2015 wahrscheinlich von einer Fähre zwischen Deutschland und Finnland über Bord. Man fand einen Abschiedsbrief. Und aktuell Christa N. aus Gerlingen.
Ein Mensch hat das Recht, seinen Aufenthaltsort selbst zu bestimmen. Wann sucht ihn die Polizei?
Wenn Gefahr für Leib und Leben des Gesuchten angenommen wird, durch Krankheit oder Abhängigkeit von Medikamenten, oder wenn Menschen orientierungslos sind, oder wenn die Gefährdung anderer nicht ausgeschlossen werden kann.
Gibt es in Vermisstenfällen bestimmte Routinemaßnahmen oder Vorgehensweisen?
Standard ist, dass sofort begonnen wird, im Umfeld des Vermissten zu ermitteln. Wir suchen Verwandte, Freunde, Bekannte oder Arbeitskollegen. Diese Recherchen oft mit dem Telefon können zeitaufwendig sein. Wir wollen herausfinden, wo sich der Gesuchte gerne aufhält. Das ist bei Personen mit Demenz wichtig. Demente Menschen gehen häufig an Orte, die sie kennen. Es kommt auch darauf an, wie viel Zeit zwischen dem Verschwinden und der Anzeige verstrichen ist. Bei vermissten Kindern beginnen die Suchmaßnahmen sofort.
Wovon hängt ab, was zuerst getan wird?
Zunächst ist entscheidend, ob es noch Sinn hat, im Nahbereich zu suchen. Suchhunde einzusetzen ist nur dann erfolgversprechend, wenn ich eine konkrete Spur habe. Eine Flächensuchaktion ist nur sinnvoll, wenn man Anhaltspunkte hat, wo eine Suche erfolgversprechend sein könnte. Ich kann nicht Suchhunde aufs Geratewohl durch den Wald schicken.
Können Sie das am Beispiel von Christa N. aus Gerlingen erläutern?
Da hat man sofort mit Hubschrauber und Streifenwagen begonnen. Auch einen Suchhund haben wir am Samstag eingesetzt. Der führte uns zum Schloss Solitude und der Bushaltestelle dort. Die Befragung der Busfahrer brachte aber keinen Anhaltspunkt – Christa N. kann einen Bus genommen haben, muss aber nicht.
Entscheidungen über Fahndungsmaßnahmen können über das Wohl und Wehe des Vermissten bestimmen. Warum wird nicht in der ersten Stunde alles getan was geht?
Das tun wir, soweit das möglich ist. Wenn eine Fahndung Erfolg verspricht, wird sie gemacht. Im Fall des 81-Jährigen haben wir nichts unversucht gelassen. Da wurden große Flächen abgesucht und Taucher in der Glems eingesetzt. Dennoch wurde er erst jetzt ganz in der Nähe tot gefunden.
Wer entscheidet über welche Maßnahme?
Der Sachbearbeiter hat den Überblick. Die Einsatzleitung fordert meist als erstes den Hubschrauber an. Damit kann ich in kurzer Zeit ein großes Gebiet absuchen. Über die weiteren Maßnahmen entscheidet das Fachdezernat gemeinsam. Da wird gefragt: Welche Hinweise haben wir, was ist sofort wichtig, was später, gehen wir an die Öffentlichkeit? Wenn wir viele Kräfte brauchen und die selbst nicht haben, wenden wir uns an die Feuerwehr, ans Technische Hilfswerk, an das Rote Kreuz.
Die Formulierung „Suche eingestellt“ ist nicht nur für Angehörige extrem schlimm. Wie geht man damit um?
Wir müssen dann den Angehörigen klar machen, dass alles polizeilich Machbare getan ist, es keine weiteren Ansätze gibt und weitere Suchen nicht mehr erfolgversprechend sind. Das stößt in der Regel auf Verständnis. Es bleibt Angehörigen und Privatleuten unbenommen, selbst zu suchen – wie im Fall des 81-Jährigen. Wir weisen auf Gefahren hin und sagen, wo wir schon waren.
Nochmals zum Gerlinger Fall. Warum wurde die Suche mit Hunden im Wald bei der Solitude erst am Montag angeordnet?
Eine Flächensuche braucht Vorlauf – und vor allem die Chance eines Erfolgs. Die sah man im Fall von Christa N. erst am Montag – nachdem der Spürhund nochmals eingesetzt wurde und er erneut beim Schloss stehenblieb. Dann haben die Kollegen die Suche im angrenzenden Wald beschlossen.
Wie schätzen Sie die Chancen im Gerlinger Vermisstenfall ein?
Die Chancen schwinden mit jedem Tag. Es wäre sehr ungewöhnlich, dass die Frau bei jemandem ist, den wir nicht kennen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.