Seit einem Jahr gilt das Russland-Embargo. Der Deutsche Bauernverband spricht von einer Milliarde Kosten für die Bauern – und fordert eine „Normalisierung der Handelsbeziehungen“.

Stuttgart - Nach Angaben des Deutschen Bauernverbandes (DBV) hat sich der Export deutscher Lebensmittel nach Russland durch die von Moskau verhängten Handelsbeschränkungen auf rund eine Milliarde Euro halbiert. Als Reaktion auf die Sanktionen der EU gegen Russland im Zuge der Ukraine-Krise hatte Präsident Wladimir Putin am 6. August 2014 ein Embargo gegen etliche EU-Agrarprodukte verhängt. Anlässlich dieses „Jahrestags“ hat der DBV jetzt eine Analyse zu den wirtschaftlichen Folgen für die hiesige Landwirtschaft vorgelegt. Der Verband schätzt den jährlichen Gesamtschaden auf rund eine Milliarde Euro. Das entspreche sechs Prozent der gesamten Wertschöpfung der deutschen Landwirtschaft.

 

„Russland zählte bis 2013 zu den drei wichtigsten Absatzmärkten für deutsche Lebensmittel außerhalb der EU“, schreibt der Bauernverband. Vor dem Embargo seien jährlich Agrarprodukte und verarbeitete Produkte im Wert von 1,5 bis 1,9 Milliarden Euro nach Russland exportiert worden. Betroffen von der Einfuhrsperre, die im Juni um ein weiteres Jahr verlängert wurde, ist eine ganze Palette von Nahrungsmitteln: Rind-, Schweine- und Geflügelfleisch sowie daraus hergestellte Fleisch- und Wurstwaren, Milch und Molkereiprodukte, Obst und Gemüse. Getreide, Backwaren sowie Öle und Fette sind ausgenommen.

Fleisch und Milch wird derzeit kaum exportiert

Neben den direkten Einbußen im Russland-Geschäft litten die deutschen Bauern auch darunter, dass mehr ausländische Agrarprodukte auf den europäischen Binnenmarkt drängten, die eigentlich für Russland bestimmt waren – etwa Schweinefleisch aus Dänemark. Dadurch gerieten die Preise zusätzlich unter Druck.

Bei Fleisch, Milch und daraus hergestellten Produkten sei der Export faktisch zum Erliegen gekommen, klagt der Bauernverband. Insgesamt entfällt knapp die Hälfte der Erlöse der deutschen Landwirtschaft auf die Erzeugung von Milch und Fleisch. Der Export tierischer Produkte nach Russland war bereits vor dem Embargo eingeschränkt worden. So hatte Moskau bereits im Februar 2013 rund 80 deutsche Milch- und Fleischverarbeiter gesperrt und dies mit hygienischen Mängeln begründet. Der Bauernverband räumt zwar „einige gerechtfertigte Kritikpunkte am deutschen Veterinärwesen“ ein – etwa die schlechte Koordination zwischen Bundes- und Landesbehörden. Gleichwohl sei auch „eine politische Motivation hinter der Sperre zu erkennen“. Sowohl die Erzeugerpreise für Schweinefleisch als auch für Milch sind in den letzten Monaten deutlich zurückgegangen. Gerade bei der Milch ist das russische Embargo aber nicht der einzige Faktor, der auf die Preise drückt. Auch die Exporte nach China waren zuletzt rückläufig. Hinzu kam die kräftige Ausweitung der EU-Milchproduktion im vergangenen Jahr, mit der die Nachfrage nicht Schritt halten konnte. Angesichts der Belastungen durch das Embargo fordert der Bauernverband, dass die Bundesregierung und die EU „politisch auf eine Normalisierung der Handelsbeziehungen mit Russland hinarbeiten“. Außerdem seien größere Anstrengungen nötig, um „alternative Märkte außerhalb der EU zu erschließen“.

Putin will massenhaft West-Lebensmittel vernichten

In Russland regt sich derweil Widerstand gegen die geplante Vernichtung illegal aus dem Westen eingeführter Lebensmittel. Mehr als 267 000 Menschen schlossen sich bis Donnerstag einer Online-Petition an, in der Präsident Wladimir Putin aufgefordert wird, die Anweisung zur Beseitigung der Lebensmittel zurückzunehmen und die Nahrungsmittel Menschen in Not zu übergeben. Das vor einem Jahr verhängte Verbot von westlichen Agrarimporten habe zu einem spürbaren Anstieg der Lebensmittelpreise geführt, kritisieren die Organisatoren der Petition. Besonders Rentner, Veteranen, Großfamilien und andere Menschen in prekärer Lage litten darunter.

Am Donnerstag begann die Umsetzung von Putins Anweisung, illegale Lebensmittelimporte zu vernichten. Im Fernsehen wurde gezeigt, wie zu einem kleinen Hügel aufgehäufter Käse mit schwerem Gerät zermalmt wurde. Nach Berichten russischer Medien wird im Landwirtschaftsministerium erwogen, mobile Verbrennungsanlagen für die Beseitigung der Lebensmittel anzuschaffen.

Die Sanktionen und der Ölpreisverfall haben die wirtschaftliche Krise in Russland maßgeblich beschleunigt, was in allen Bereichen zu spüren ist. Die Lebensmittelpreise zogen um 20 Prozent an. Nach amtlichen Statistiken lebten im vergangenen Jahr über 16 Millionen Russen beziehungsweise elf Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Im ersten Quartal des laufenden Jahres stieg die Zahl auf 23 Millionen Menschen, was einer Quote von 16 Prozent entspricht.